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2. Der byzantinische Osten a) Die Kaiser als Hüter der Rechtgläubigkeit
ОглавлениеDie im Westen fortschreitende „Dekomposition der alten Welt“ (A. Angenendt) vergrößerte den Abstand zum griechischen Osten, der als Bewahrer des römischen Erbes Ansprüche auf die westlichen Territorien und die kaiserliche Kirchenherrschaft weiter aufrecht erhielt. Waren die einstigen Reichsgebiete außerhalb des byzantinischen Kernreiches durch germanische und arabische Invasoren zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert dramatischen Umwälzungen ausgesetzt, konnte die östliche Theologie in ihrem Bemühen um Orthodoxie und um die Ausschaltung von Häresie an die Tradition der ersten vier allgemeinen Konzilien anknüpfen. Die byzantinischen Kaiser verstanden sich in der Nachfolge Konstantins und Theodosius’ als Garant kirchlicher Einheit und Verteidiger der wahren Lehre. Sie leiteten aus diesem Verständnis entschieden die kaiserliche Prärogative in allen kirchlichen Angelegenheiten ab, die ihnen von der östlichen Kirche auch bereitwillig zuerkannt wurde: „Es ist angemessen, dass nichts, was in der allerheiligsten Kirche diskutiert wird, entgegen der Ansicht und dem Befehl (des Kaisers) entschieden werde“, lautete der Beschluss einer Synode unter Patriarch Menas von Konstantinopel im Jahre 536. Unter Kaiser Justinian I. (527–565) verbanden sich diese Ansprüche mit einem entschlossenen Programm zur Wiederherstellung des römischen Weltreiches, dem er innenpolitische Reformen und gesetzgeberische Maßnahmen unterordnete. Die Machtprobe mit dem römischen Papsttum, das innerhalb der Kirche auf einem allgemeinen Primat bestand, ließ nicht lange auf sich warten.
Drei-Kapitel-Streit
Im so genannten Drei-Kapitel-Streit ließ Kaiser Justinian im Jahre 544 drei syrische Bischöfe posthum bannen, denen die Häresie des Nestorius vorgeworfen wurde. Papst Vigilius (537–555) weigerte sich zunächst, das kaiserliche Edikt zu unterzeichnen, wurde jedoch von byzantinischen Beamten festgesetzt und nach Konstantinopel verbracht, wo er auf die Linie Ostroms einschwenkte. Der Seitenwechsel des Papstes rief nun im westlichen und nordafrikanischen Episkopat heftige Kritik hervor. Der Abhängigkeit von den östlichen Kaisern konnten sich Kirche und Papsttum jedoch bis zum 8. Jahrhundert nicht entziehen. Sie schlug sich nicht zuletzt auch in der Gesetzgebung nieder. Die systematischen Rechtssammlungen der Kaiser Theodosius II. von 439 und Justinian I. von 534 stellten die Regelungen zu Kirche und Glaubensfragen ganz an den Anfang. Gegen Ketzer gingen die kaiserlichen Gesetze mit besonderer Härte vor. Justinian erklärte in einem 527 gemeinsam mit Kaiser Justin erlassenen Edikt, „der Name der Häretiker soll vom Erdboden getilgt sein“ (Cod. Iust. I, 5, 12). Als rechtliche Konsequenzen drohte allen, „die nicht der katholischen und rechtgläubigen Kirche angehören“, der Ausschluss von öffentlichen und militärischen Würden und der Verlust der Erb- und Rechtsfähigkeit. Gegenüber den „abscheulichen Manichäern“ forderte derselbe Erlass von 527 das harte Einschreiten aller staatlichen Stellen und die Verhängung der Todesstrafe. Nach der Rückeroberung Nordafrikas von den Wandalen erließ Justinian weitere Gesetze zur Unterdrückung der dort lebenden Arianer und Donatisten.
Größere Milde ließ der Kaiser gegen die Monophysiten und Nestorianer walten, die die dogmatischen Beschlüsse des allgemeinen Konzils von Chalkedon weiterhin ablehnten und vor allem in den östlichen Provinzen noch stark vertreten waren. Möglicherweise mit Blick auf den 531 wieder aufgeflammten Krieg gegen die Perser organisierte Justinian im Jahre 532 sogar ein Zusammentreffen der unterschiedlichen Glaubensrichtungen in Konstantinopel, bei dem der Kaiser den Gegnern des chalkedonischen Bekenntnisses weit entgegenkam. Erst als Papst Agapet (535–536) die Abhaltung eines Konzils in Konstantinopel forderte und sich dort die Mehrheit der Bischöfe hinter die Formel von Chalkedon stellte, ging auch Justinian schärfer gegen Monophysiten und Nestorianer vor. Während der christologische Streit langsam an Aktualität verlor, entstanden im Zeitalter nach Justinian „andere Theologien, die zeigen, dass die Rechtgläubigkeit eine immer genauere und einengendere Definition erfuhr“ (B. Flusin). Die Auseinandersetzungen um die Lehre des frühchristlichen Theologen Origines (184–252), der von einer Präexistenz der Seelen und einer ursprünglichen Einheit aller vernunftbegabten Wesen gesprochen hatte, waren bereits noch zu Lebzeiten Justinians entbrannt. Diese Lehre wurde schließlich am Ende des 6. Jahrhunderts durch kaiserlichen Bannspruch verurteilt.
Monotheletismus
Im frühen 7. Jahrhundert, als sich das Kaiserreich durch die persische Expansion und das Aufkommen des Islams im Osten großen Herausforderungen stellen musste, beherrschte erneut eine christologische Kontroverse die byzantinische Theologie. Die Streitfrage knüpfte an die Formel von Chalkedon an: Kam jeder der beiden Naturen Christi jeweils ein eigener Wille (thelema) und eigenes Wirken (energeia) zu oder gab es nur ein einziges gottmenschliches Wollen und Wirken? Der Streit hielt über Jahrzehnte an, bis das sechste allgemeine Konzil von Konstantinopel (680/81) die Lehre von dem einen Willen Christi (Monotheletismus) als Irrlehre verwarf. Dieser Beschluss war nicht ohne politische Brisanz, da auch Papst Honorius I. (625–638) und die byzantinischen Kaiser seit Herakleios (†641) Anhänger des Monotheletismus gewesen waren. Im Westen hatte zuerst Papst Martin I. (649–655) die Kehrtwende vollzogen, als er sich von dieser Lehre auf einer römischen Synode öffentlich abwandte. Wegen Hochverrats ließ ihn Kaiser Konstans II. im Jahre 653 verhaften und verbannen. Erst unter Konstantin IV. (668–685) besserten sich die Beziehungen zwischen Rom und Byzanz wieder. Die endgültige Verurteilung des Monotheletismus durch das Konzil im Jahre 681 hatte nicht nur die Absetzung des Patriarchen Markarios von Antiochia zur Folge, sondern auch die Verfluchung einer Reihe früherer Patriarchen von Konstantinopel und des Papstes Honorius.
Bilderstreit
Dennoch ließen sich die Spannungen zwischen der römischen und der byzantinischen Kirche nicht dauerhaft überbrücken. Sie traten in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts im so genannten Bilderstreit (Ikonoklasmus) erneut und ungleich heftiger hervor.