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Bogomilen

Der bulgarische Priester Bogomil sammelte seit etwa 930/940 Anhänger um sich. Die wichtigste Quelle zu den Anfängen seiner Bewegung liegt mit der Gegenschrift (Discursus) des Priesters Kosmas aus der Zeit um 970 vor. Nach Kosmas’ Angaben bestand Bogomils Lehre im Wesentlichen aus einem kosmologischen Dualismus, der Elemente der älteren dualistischen Bewegungen der Manichäer und Paulikianer übernahm, jedoch auch neue Deutungen enthielt: Bogomil erkannte Gott als Schöpfer des Universums in seiner physischen und geistigen Realität an. Dieser Kosmos zerbrach durch eine Rebellion der Engel gegen Gott. Aus dem Himmel verbannt, schloss Gott die abtrünnigen Engel unter der Herrschaft des ältesten Engels – eine andere Deutung machte daraus Luzifer (Lucibel), den ältesten Sohn Gottes – in die Welt der Materie ein. Als gefallene Engel warteten die Menschen auf ihre Wiederaufnahme in das Gottesreich. Christus wurde von Gott als Engel – oder abweichend als jüngerer Sohn Gottes – in menschlicher Gestalt auf die Welt gesandt, um die Gutwilligen zu retten. Die menschliche Natur Christi leugnend, vertrat Bogomil eine ausgeprägte Verachtung der körperlichen und sichtbaren Welt. Diese traf die Heiligen-, Kreuzes- und Bilderverehrung wie auch die Sakramente und Liturgie der Kirche sowie die Amtsgewalt und Lebensführung des Klerus. Sie tangierte jedoch ebenfalls das Leben der Laien, da etwa die Ehe als Ort der körperlichen Fortpflanzung, die Handarbeit als Quelle materieller Werte und jede Form weltlicher Herrschaft in die religiöse Kritik der Bogomilen gerieten. Seine Anhänger verpflichtete Bogomil auf eine strenge asketische Lebensführung, die sich des Fleischgenusses, sexueller Kontakte und weltlicher Tätigkeiten enthielt. Wesentlich ist die Scheidung von einfachen Anhängern und Eingeweihten. Nur für Letztere galten die strengen Askesevorschriften; nur ihnen – Männern wie Frauen – stand die Predigt und Durchführung der Rituale zu. Für die Aufnahme in den Kreis der Eingeweihten diente eine Zeremonie, bei der den Kandidaten ein Johannesevangelium auf das Haupt gelegt und die Gemeinde zur Zustimmung aufgefordert wurde. Als arme Wanderprediger erzielten die Bogomilen im 10. Jahrhundert vor allem bei der bulgarischen Landbevölkerung große Missionserfolge. Selbst Kosmas, der Bogomil in seiner Schrift bekämpfte, machte im glaubwürdigen Auftreten der Häretiker und im trostlosen Erscheinungsbild der bulgarischen Kirche einen Grund für den Erfolg der Bogomilen aus.

Paulikianischer Einfluss auf die Bogomilen

Über die Beziehungen zwischen Bogomilen und Paulikianern haben bereits zeitgenössische Kirchenleute spekuliert. Die um 870 in Byzanz verfasste Geschichte der Paulikianer des Petros Sikeliotes berichtet nach dem Fall von Tephrike von paulikianischen Missionaren in Bulgarien. In der Tat hatten sich die nicht immer friedlichen Beziehungen zwischen Bulgaren und Byzantinern im Laufe des 9. Jahrhunderts verdichtet. Missionare der orthodoxen byzantinischen Kirche traten seit spätestens 865 in dem Land auf, in dem bereits seit Jahrhunderten kleinere christliche Gemeinschaften und Kirchen existierten. Im Jahre 870 wurde die bulgarische Kirche offiziell dem Patriarchat Konstantinopel angegliedert. In den Jahren vor dem Auftreten Bogomils machten sich verstärkt Spannungen zwischen der bulgarischen und byzantinischen Kirche bemerkbar, die 918 in der Erhebung des Erzbischofs von Preslav zum bulgarischen Patriarchen gipfelten. Die Paulikianer, die sich im 9. Jahrhundert bis nach Konstantinopel und Thrakien verbreitet hatten, konnten mithin im benachbarten Bulgarien gewisse Sympathien und Schutz vor byzantinischer Verfolgung erwarten. Für die These paulikianischer Einflüsse auf Bogomil spricht auch ein Antwortbrief des Patriarchen Theophylaktos von Konstantinopel an Zar Peter von Bulgarien (927–969) aus der Zeit um 945: Besorgt hatte der Zar um nähere Informationen über eine neue Häresie in Bulgarien gebeten, die in dem Brief als „Mischung aus Paulianismus und Manichäismus“ beschrieben wird. In die vorgeschlagene Abschwörungsformel bezog der Patriarch sowohl Mani als auch die paulikianischen Lehrer mit ein. Dass Bogomil bei der Formulierung seiner Lehre auf ältere dualistische Vorstellungen in Bulgarien zurückgreifen konnte, bestätigt nicht zuletzt das Zeugnis des bulgarischen Klerikers Johannes, der bereits in der Regierungszeit Zar Symeons (893–927) über „schmutzige Manichäer und heidnische Slawen“ schrieb, „die sagten, der Teufel sei der älteste Sohn Gottes“.

Bogomilen im byzantinischen Reich

Für die weitere Entwicklung der bogomilischen Bewegung ist entscheidend, dass sie sich auch in Byzanz rasch etablieren konnte. Ein Zentrum entstand in der alten paulikianischen Hochburg Dragowitz (Bosnien). Dort formte sich ein radikaler Dualismus aus, der nicht mehr von der ursprünglichen Schöpfung des einen Gottes ausging, sondern den bösen Schöpfer der sichtbaren Welt mit dem guten Gott des Himmels auf eine Stufe stellte. Aber auch in Konstantinopel und sogar am kaiserlichen Hof waren Angehörige dieser Bewegung anzutreffen. Einen interessanten Hinweis verdanken wir dem Mönch Euthymios aus dem Peribleptos-Kloster in Konstantinopel, der um die Mitte des 11. Jahrhunderts über die große Verbreitung von „Neumanichäern“ klagte. Im Westen würden diese Häretiker Bogomilen, im Osten Phundagiagiten genannt. Sie selbst bezeichneten sich allerdings als „Christupolitai“ („Bürger der Stadt Christi“). Bereits Kosmas hatte 80 Jahre zuvor über die Bogomilen berichtet, sie hielten sich selbst – in Anspielung auf Phil. 3,20 – für „Himmelsbürger“. Solche Bezeichnungen spiegeln das Selbstbewusstsein dieser Gruppen, die besseren, wahren und auserwählten Christen zu sein. Ein Jahrhundert später nannten sich die abendländischen Katharer, deren Bewegung von den Bogomilen beeinflusst wurde, in diesem Sinne „boni Christiani“ oder „boni homines“ („gute Christen“ oder „gute Leute“). Euthymios selbst entdeckte in seinem Kloster vier Bogomilen unter seinen Mitbrüdern, die er aus dem Kloster ausschließen und von der Staatsmacht festnehmen ließ. Er berichtet weiter, zur Mission in Griechenland und Kleinasien hätten die Bogomilen nach dem Vorbild der Apostel ihre Predigtgebiete per Los untereinander verteilt. Besonders verwerflich fand der Mönch aus Konstantinopel, dass viele seiner Landsleute, die sich den Bogomilen anschlossen, in der Öffentlichkeit weiterhin der orthodoxen Kirche anhingen und an deren Riten teilnahmen. Dadurch gelang es ihnen, in bedeutende Stellungen zu gelangen und weithin unbemerkt zu bleiben.

Alexios I. Komnenos

Unter Kaiser Alexios I. Komnenos (1081–1118) wurde dem Mönch Basileos der Prozess gemacht, der über Jahrzehnte die bogomilische Gemeinde in der Reichshauptstadt geleitet und dabei viele Gemeindeglieder in höchsten Stellungen unter sich gehabt hatte. Anna Komnena, Tochter des Kaisers und Chronistin, berichtet ausführlich über Wirken, Verurteilung und Feuertod des Basileos, dessen Fall zu einem großen Skandal am Hof geführt habe (Alexiade 15, 8–10). An einer anderen Stelle ihres Werks vermerkt sie die Anwesenheit von Bogomilen in Philippopel (Plovdiv). Ein von Alexios beauftragter Mönch, Euthymios Zigabenos, verfasste zu dieser Zeit unter dem Titel Dogmatische Rüstkammer einen Traktat, der in 28 Titeln alle damals bekannten Häresien abhandelte. Name und Inhalt dieser Schrift belegen, dass der byzantinische Staat am Vorabend der Kreuzzüge nicht nur von der Ausbreitung der Seldschuken am östlichen Mittelmeer, sondern auch von Ketzerbewegungen tief beunruhigt wurde. Auch die ersten westlichen Kreuzfahrer, die im Sommer 1096 den Balkan und den Westen des byzantinischen Reichs durchzogen, trafen auf Bogomilen und Paulikianer. Nach dem Augenzeugenbericht der normannischen Gesta Francorum soll der Herzog Bohemund von Tarent in Makedonien auf eine von Ketzern (die Quelle spricht abschätzig von „Publicani“) bewohnte Stadt einen Angriff unternommen haben. Ob es sich dabei allerdings um einen Akt der Ketzerverfolgung oder um eine der während des Kreuzzugs üblichen Plünderungen handelte, muss offen bleiben.

Zentren des östlichen Dualismus

Der Skandal des Basileos in Konstantinopel und das Auftreten westlicher Kreuzfahrer im byzantinischen Reich haben unter Alexios I. zu verstärkten Repressalien gegen Bogomilen und Paulikianer geführt. Manche moderne Forschungen gehen davon aus, die dualistische Häresie der Katharer, die nur wenige Jahrzehnte später erstmals im Abendland auftrat, sei durch eine Fluchtwelle aus Byzanz ausgelöst worden. Dennoch darf man sich vom Ausmaß der Ketzerverfolgung im byzantinischen Reich und auf dem Balkan wohl keine übertriebenen Vorstellungen machen. Bulgarien, Bosnien und Dalmatien galten im gesamten 12. und 13. Jahrhundert weiterhin als Hochburgen der dualistischen Ketzerei. Der katholische Erzbischof von Split stand im Mittelpunkt mehrerer päpstlicher Initiativen zur Eindämmung der Ketzerbewegungen. Bogomilische Grabsteine aus der Herzegowina im 12. Jahrhundert sprechen aber für eine akzeptierte religiöse Praxis auf hohem kulturellen Niveau. Im Jahre 1167 trat in den neuen katharischen Gemeinden in Italien und Okzitanien ein bogomilischer Bischof Niketas auf, der selbst den Gemeinden im byzantinischen Reich vorstand, von denen er die bogomilischen Kirchen in Bulgarien, Dragowitz und Dalmatien unterschied. Fast ein Jahrhundert später zählte der Inquisitor Rainer Sacconi in seinem Traktat über die Katharer auch die östlichen Zentren des Dualismus auf, die seiner Meinung nach in Konstantinopel, Philadelphia, Bulgarien, Dragowitz und Dalmatien lagen. Papst Gregor IX. (1227–1241) rief im Jahre 1238 den christlichen König von Ungarn und seinen Adel sogar zum Kreuzzug gegen die benachbarten Bulgaren auf, deren Herrscher als Förderer der Ketzerei galten.

Bereits für mittelalterliche Zeitgenossen lag mithin der Zusammenhang des alten östlichen mit dem neuen westlichen Dualismus auf der Hand: Kreuzfahrer, Händler, Diplomaten, Flüchtlinge und Missionare – die Kontakte zwischen der östlichen und der westlichen Welt intensivierten sich im 12. Jahrhundert auf vielen Ebenen. Eine sichtbare Folge war die Entstehung einer starken dualistischen Bewegung im Westen nach dem Vorbild der Bogomilen. In den lateinischen Quellen lassen sich die Katharer in den Jahren vor 1150 erstmals besser greifen. Gleichwohl zeichnete sich bereits um die Jahrtausendwende im Westen die Verbreitung häretischer, teilweise auch dualistischer Vorstellungen an unterschiedlichen Orten und in verschiedenen sozialen Milieus ab.

Ketzerei und Inquisition im Mittelalter

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