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Es ist eben doch ein himmelweiter Unterschied zwischen dem, was man auf der Schule lernt, und den Anforderungen, die dann in der Praxis gestellt werden. Der gleichmäßige Trott, an den wir uns auf der Schule für Fernsehtechnik in den vergangenen drei Jahren gewöhnt hatten, wurde bei der Staatlichen Fernsehgesellschaft abgelöst durch ein Stoßgeschäft mit hektischen Aktivitäten, worauf dann lange Zeiten der Pause folgten. Ebenso plötzlich flammte dann wieder Arbeitswut auf, bedingt durch Termine oder auch nur menschliche Unzulänglichkeiten, da niemand in den oberen Etagen in der Lage zu sein schien, für eine gleichmäßige Auslastung der Mitarbeiter zu sorgen.

Ganz schön aufreibend, eine solch sporadische Hektik. Das geht an die Nerven; kaum einer, der nicht gereizt reagiert, wenn ihn ein anderer nur schräg ansieht.

Bald war ich in diesem Chaos, das wunderbarerweise immer wieder mit wirklich bemerkenswerten Resultaten aufwarten konnte, voll integriert. Ich schimpfte wie meine Kollegen auf »die da oben«, war dennoch ganz zufrieden, mein gutes Geld auch für streckenweises Nichtstun zu erhalten, und maulte, wenn Terminarbeiten dieses Nichtstun unterbrachen.

Bereits in die ersten Wochen fiel meine entscheidende Begegnung mit Bellinda. In jenen Tagen wurde ich in der Abteilung herumgereicht, um überall einmal hineinschnuppern und mich akklimatisieren zu können – so der technische Leiter Sommer, mit dem ich am Tag nach meinem Arbeitsantritt eine kurze Unterredung gehabt hatte. Sommer war mir herzlich unsympathisch, ein diensteifriger Strebertyp, wie ich sie noch nie habe leiden können. Ich war auf dem Weg zur Computerzentrale, da wurde ich auf dem Gang von einem jungen Mädchen angesprochen. Sie war höchstens achtzehn Jahre alt und lächelte mich etwas schüchtern an.

»Können Sie mir sagen, wo ich Herrn Peter Melchior finde?«, fragte sie.

Ich musterte das Mädchen etwas erstaunt. Peter Melchior ist unser Chefprogrammierer, ein serviler Typ. Was konnte sie von ihm wollen …

»Es geht um die Anlage der Programme«, fügte das Mädchen wie als Antwort auf meine unausgesprochene Frage hinzu. Es war etwas kleiner als ich, also etwa einen Meter siebzig groß, hatte ziemlich kurzgeschnittenes, kastanienbraunes Haar und hellblaue Augen, die mir sofort auffielen. Ihre Figur war vielleicht nicht üppig zu nennen, doch saß da alles am richtigen Fleck. Es ging eine natürliche, eine selbstverständliche Anmut von ihr aus.

»Na, genug gesehen?« Mit einem Mal wirkte sie nicht mehr schüchtern. Ein schneller, prüfender Blick aus den umwerfend blauen Augen begleitete die kecke Frage.

»Hm, ja.« Jetzt war ich verlegen. »Ich habe mir gerade überlegt, was Sie wohl bei Melchior … ich meine, Herrn Melchior …«

»Warum ich ihn suche? Nun, ich bin Beate Michalowski …«

Sie sah mich an, als müsste mir nach dieser Eröffnung alles klar sein. Wahrscheinlich starrte ich ihr nur blöde wie ein Rindvieh auf der Weide entgegen, denn der Name sagte mir gar nichts.

Sie lachte hell auf.

»Ach so! Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, ich bin Bellinda.«

Nun staunte ich erst recht. Das also war sie, unser neuer Superstar. Aus Tausenden von Bewerberinnen ausgewählt, die selbst bereits mehrere Wettbewerbe erfolgreich hinter sich gebracht hatten. Man erzählte sich bereits Wunderdinge von Bellindas Talent vor der Kamera, von ihrer Ausstrahlungskraft, ihrem Charme.

Nun konnte ich mich selbst davon überzeugen.

Ich glaube, ich war in jenem Moment der Überraschung keines gescheiten Gedankens mehr fähig. Immerhin war ich noch ausreichend bei Verstand, um Bellinda bei Melchior abzuliefern.

Dann aber war für den Rest des Tages nicht mehr viel mit mir anzufangen. Immer wieder sah ich jene hellblauen Augen vor mir, im Kontrast dazu die kastanienfarbenen Haare, die kleine gerade Nase … Ich glaube, ich hatte mich damals schon, gleich bei der ersten Begegnung, hoffnungslos in Bellinda verknallt.

Ob da nun bei mir ein besonderer Funke gezündet hatte oder ob die Auswahl der Fernsehanstalt so zielsicher erfolgt war, dass einfach alle Männer auf die Ausdruckskraft des lieben Gesichts ansprangen, darüber möchte ich nicht zu lange nachdenken. Die erste Erklärung ist mir lieber, sie lässt mir mehr individuelle Befriedigung; andererseits ist der große, ja überwältigende Erfolg von »Bellinda Superstar« eine Tatsache.

Damals freilich konnten alle nur auf so einen Erfolg hoffen. Bellinda wäre, bei all ihrer Bescheidenheit, sicherlich auch mit weniger Erfolg zufrieden gewesen – zumindest am Anfang, denn im Laufe des Aufbaujahres entwickelte sie einen recht beachtlichen Ehrgeiz. Vielleicht hätte sie sonst die folgenden Monate auch gar nicht durchhalten können.

Die Welten des Jörg Weigand

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