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ОглавлениеEines Tages, Anfang Dezember, bekam ich durch Zufall Teile eines Gesprächs zwischen dem technischen Leiter der Computerabteilung, Ludwig Sommer, und unserem Chefprogrammierer Peter Melchior mit. Ich glaube, ich habe schon einmal festgestellt, dass ich beide nicht leiden kann. Das sind servile, karrieregeile Typen, die dauernd den Vorgesetzten herauskehren und von Kollegialität wenig halten.
Ich befand mich im Ablageraum, in dem die Magnetbänder gelagert werden; die Tür zum Computerraum stand angelehnt. Da hörte ich die beiden hereinkommen, offensichtlich mitten in einem Gespräch.
Melchior: »… kann ich bestätigen, dass es soweit ist. Wir werden unser Programm einhalten können.«
Sommer: »Wie macht sich das Mädchen?«
Melchior: »Sie besitzt eine erstaunliche Spannbreite an Ausdruckskraft. Ihre physische Konstitution ist hervorragend.«
Sommer: »Wie ist es mit ihrer psychischen Resistenz?«
Melchior: »Neuerdings ist sie starken Gefühlsschwankungen unterworfen. Ab und an kriegt sie schon mal einen hysterischen Anfall. Aber sie fängt sich immer wieder sehr schnell.«
Sommer: »Hm, das ist schlecht, Sie müssen sie mehr unter Druck setzen.«
Melchior: »Natürlich, das versuchen wir auch. Ich bin ziemlich sicher, dass wir sie dahin bekommen, wo wir sie haben wollen.«
Sommer: »Wie lange haben Sie mit ihr noch zu tun?«
Melchior: »Nur noch wenige Tage. Zwischen Weihnachten und Neujahr werden wir fertig.«
Stille, dann Sommer: »Ich verlasse mich ganz auf Sie. Es darf nichts schiefgehen. Denken Sie bei Beendigung des Programms an § 17 c unserer vertraulichen Dienstanweisung. Das Haus kann sich unnötige Folgekosten nicht leisten. Die finanzielle Lage ist angespannt, wir alle müssen unser Bestes tun, da Abhilfe zu schaffen.«
»Klar, Herr Sommer, ich …«
Dann waren die beiden wieder draußen, sodass ich ihr Gespräch nicht weiter verfolgen konnte.
Aber ich machte mir so meine Gedanken. Bellinda hatte es nun also bald geschafft. Ich freute mich für sie, hatte aber auch Angst vor dem Tag, an dem der Anschlussvertrag, der das große Geld und den Starruhm bringen würde, unterzeichnet wurde. Denn mit Anlaufen der ersten großen Produktion für das Publikum würde sich für Bellinda eine neue Welt auftun. Und damit, fürchtete ich, würde sie mir immer fremder werden. Denn wie sollte ich gegen den Glanz und die Verlockungen einer solchen Karriere anstehen können?
Meine Zweifel trieben mich zu ihr, ich fand sie in der Garderobe, einem ihrer Lieblingsplätze. Sie wurde gerade von der Maskenbildnerin für den nächsten Auftritt im Studio hergerichtet. Anscheinend sah sie mir den Sturm der Gefühle an, der in mir tobte, denn Bellinda entschuldigte sich kurz bei der Maskenbildnerin und zog mich auf den Gang hinaus.
»Was ist los mit dir?«, fragte sie und sah mich forschend an.
Ich beichtete ihr meine Bedenken, doch sie lachte mich mit ihrer glockenhellen Stimme aus.
»Du bist ein rechter Dummkopf, da brauchst du doch keine Angst zu haben. Schlimm wäre mir nur, wenn ich über dieses Jahr hinaus weiter so schuften müsste. Das könnte ich nicht mehr verkraften, ich glaube, dann würde ich lieber …«
Ich schämte mich ein wenig, denn in Wahrheit war ja sie die Belastete, und jetzt machte ich ihr mit meiner egoistischen Eifersucht auch noch das Leben schwer. Ihre Nerven waren lange nicht mehr die besten. Oft genug in den vergangenen Wochen war sie in Heulkrämpfe ausgebrochen und hatte mir anschließend ihr Leid ausgeschüttet. Mein Versuch, ihr Trost zuzusprechen, endete meist in der Prophezeiung vom baldigen Ende der Tortur. Doch was, wenn es weiterging?
Sonst fühlte ich mich in jenen Tagen beschwingt. Ich war glücklich, denn ich liebte Bellinda. Und ich war zufrieden darüber, dass sie mich mochte. Das Wort »Liebe« freilich gebrauchte sie mir gegenüber nie, doch war mein Gefühl für sie so stark, dass ich über ihre Zurückhaltung hinwegsah.