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1. Juni
ОглавлениеMann, bin ich geschlaucht.
Gestern Abend bin ich mit Pierre und Hajime in einer Bar der Altstadt versackt. Hajime hat mir ein paar Tipps gegeben, wo für meine Featurestory eventuell noch etwas an Bildteppich zu holen ist. Ich habe zwar den Verdacht, dass er selbst dort schon fleißig abgegrast hat, aber ich denke, wir werden uns dennoch nicht ins Gehege kommen.
Als angenehme Überraschung stellte sich heraus, dass Pierre Mireau vor sieben Jahren ebenfalls in Saudi-Arabien war, als die amerikanische Eingreiftruppe die Ölquellen besetzte. Komisch, dass wir uns damals nicht gesehen haben. Andererseits herrschte dort damals ein solches Durcheinander …
Saudi-Arabien war ein toller Job. Es war mein erster Versuch als Freelancer. Ich hatte in der International Prop Oil einen potenten Geldgeber gefunden; die amerikanische Ölfirma wollte Bildmaterial für den hausinternen Gebrauch. Das hat sie auch bekommen, zur Genüge. Leider ist davon natürlich nie etwas über den Sender gegangen. Das gesamte Material liegt noch bei der Firma – was die daraus gemacht haben, ist mir unbekannt. Eigentlich schade, denn ich hatte zum Beispiel exklusiv, wie die Eingreiftruppe das Erdölministerium »gesäubert« hat. Mann, war das ein Spektakel, die Jungs haben ganz schön gewütet. Starkes Material war das. Na ja, wenigstens hat die Ölgesellschaft gut bezahlt. Und weiterempfohlen hat sie mich auch. Seitdem bin ich gut im Geschäft und habe, glaube ich, inzwischen einen prima Riecher für zuschauerwirksame Bilder entwickelt. Das kommt einem bei einem Einsatz wie hier in Bangladesch, wo so gar nicht viel los ist, gut zustatten. Wo nichts ist, muss man halt was zaubern.
Heute sind José und ich weiter von Dakka ins Landesinnere gefahren. Etwa fünfzig Kilometer, dann fanden wir, wonach wir suchten. Hier auf dem flachen Land ist die Not in der Tat schlimmer als dicht vor den Toren der Hauptstadt. Mein Feature nimmt immer mehr Gestalt an. Von den Kurzberichten habe ich bereits einige abgeschickt. Die 4-DX-Video bewährt sich wieder einmal, auch bei solchem Routinekram.
Die Erde ist hier knochentrocken und hat teilweise mehrere hundert Meter lange Risse. Wo man hintritt, wallt feinpulvriger Staub auf. Den Regen vorletzte Nacht muss das Land wie ein Schwamm geschluckt haben. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Durch meine Sauferei gestern Abend, aber auch wegen des verteufelten Staubs überall, habe ich einen solchen Brand, dass ich schon fast eine ganze Flasche Bourbon ausgetrunken habe. Mein Kopf fühlt sich an wie ein wattegefüllter Ballon.
Die Menschen liegen hier auf den Straßen, auf den Feldern, in den Häusern, kurz überall herum und regen sich nicht mehr. Ausgemergelte Gestalten, denn flüssige und feste Nahrung fehlt. Was mir fehlt, ist »Action«! Ich traf einen UN-Beauftragten, der sich vor Ort ein Bild von der Katastrophe machen wollte. José war gerade am anderen Ende und versuchte, ein Interview mit einem Bauern zu erhalten. Der UN-Beauftragte schätzt die Zahl der bisherigen Toten auf über hunderttausend. Ich habe ihn sofort vergattert, dass er diese Zahl vorerst – zumindest bis morgen – zurückhält. So habe ich sie exklusiv und kann drum herum eine tolle Rührstory bauen. Den Bildteppich dazu habe ich hier vor der Nase.