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Es war ein heißer Augusttag. Die Sonne brütete über der Stadt, schon beim Aufstehen hatte ich einen Schweißausbruch. Ich war zur Spätschicht eingeteilt, musste also nicht vor vierzehn Uhr im Dienst erscheinen. Als ich den technischen Trakt betrat, kam mir Bellinda entgegen.

Wir hatten uns in den letzten Monaten angefreundet, waren vertraut miteinander geworden. Wie es um sie stand, war mir nicht klar, da sie sich nie dazu äußerte, ich jedenfalls war hoffnungslos in sie verliebt.

Sie trug ein luftiges Kleidchen aus blauem Stoff, passend zu den Augen. Ein viereckiger Ausschnitt ließ mehr von ihrem wohlgeformten Körper sehen als üblich. Sie sah so reizvoll aus, dass mir das Blut ins Gesicht schoss. Obgleich ich längeres Haar vorgezogen hätte, trug sie immer noch ihre kurze Frisur.

»Das gehört zu meinem Typ«, hatte sie mir einmal erklärt. Ich dagegen war davon überzeugt, dass zu ihrem Typ ebenso langes Haar passen würde. Aber einem Argument musste ich mich schließlich beugen: Die Aufnahmen verlangten immer gleiches Haar.

»Ich habe eine Stunde Zeit«, sagte Bellinda zur Begrüßung. »Wollen wir ein wenig durch die Anlagen laufen?«

Ein Gedanke, der mir sehr gefiel. Ein kurzes Telefonat, und ein Kollege übernahm für die nächste Stunde meinen Job am Eingabepult des Computers. Irgendwann einmal würde ich ihm zum Ausgleich auch einen Gefallen erweisen können.

Wir schlenderten unter den hohen Pappeln und Birken dahin, die in einem breiten Parkgürtel an der Hinterfront des Gebäudes der Fernsehgesellschaft angesetzt sind. Schon bald schien Bellinda müde zu werden, sie wollte sich auf eine Bank setzen. Ich merkte ihr die Erschöpfung an; sie saß mit geschlossenen Augen und atmete tief die Luft ein, die hier im Schatten der Bäume frischer war als in den Häuserschluchten.

»Hat es heute etwas Unangenehmes gegeben?«, fragte ich sie besorgt, legte meinen Arm um ihre Schulter und zog sie an mich.

Sie sträubte sich nicht, schüttelte nur mit dem Kopf und sah mich an. Ihr Blick besaß nicht die gewohnte Kraft der Ausstrahlung. Und als ich ihr in die Augen schaute, nach Anzeichen irgendwelchen Ärgers oder Schwierigkeiten forschte, da lehnte sie plötzlich ihren Kopf an meine Schulter und begann zu weinen. Ich fühlte mich hilflos, wusste nicht, was tun, wischte dann ihre Tränen ab und fuhr ihr mit der Hand übers Haar, bis sie sich schließlich wieder beruhigte.

Ich wartete ab, dann begann sie, zu erzählen.

»Weißt du, Mark, wahrscheinlich kann sich das niemand vorstellen, was das heißt, jeden Tag – manchmal ohne Unterbrechung stundenlang – vor dem Fischauge der Kamera zu stehen, sich zu bewegen, wie man es dir sagt, irgendwelchen Anweisungen des Regisseurs oder des Kameramanns zu folgen. Du verlierst mit der Zeit den Sinn für die Wirklichkeit. Am schlimmsten ist, dass du immer wieder die gleichen Gesten ausführen, die gleiche Szene spielen musst.«

Ich konnte mir das schon vorstellen, hatte ich doch so manches Mal ihre Geduld, ihre Zähigkeit bewundert. Es erschütterte mich dennoch, Bellinda so niedergeschlagen zu erleben.

»Du musst daran denken, dass dies ja nicht in alle Ewigkeit so weitergeht«, versuchte ich sie aufzumuntern. »Schau, dein Vertrag für das Aufbaujahr läuft bald ab. Dann werden sie dir den eigentlichen Vertrag vorlegen, da bin ich ganz sicher. Und das bedeutet den Erfolg, darauf kannst du dich doch jetzt schon freuen.«

»Aber ich kann nicht mehr. Mark, ich möchte weg von hier, mich irgendwo verkriechen, wo es keine Kameras und kein Studio gibt.«

»Wenn du es dir ganz fest vornimmst, dann kannst du auch weitermachen«, behauptete ich, war davon aber gar nicht so fest überzeugt.

Sie versuchte ein zaghaftes Lächeln.

»Meinst du?«

»Davon bin ich überzeugt. Die Programmierung steht zum großen Teil, jetzt geht es um die Feinheiten. Oder willst du jetzt vielleicht aussteigen, nachdem du bereits so viel durchgemacht hast?«

Sie schien sich wieder etwas beruhigt zu haben und schüttelte energisch den Kopf. Eine Zeitlang schwieg sie. Ich saß ruhig neben ihr und hielt sie im Arm.

»Mark?«, sagte sie dann.

»Ja, Liebes?« Das rutschte mir so heraus, aber sie schien es nicht bemerkt zu haben.

»Warum müssen eigentlich zwölf Monate lang diese Aufnahmen gemacht werden? Man hat mir gleich zu Beginn gesagt, dass sie Voraussetzung dafür sind, dass später in jedem Fall gesendet werden kann. Damals hat mir das als Antwort genügt, heute frage ich mich, ob das alles eigentlich notwendig ist.«

Jetzt war ich in meinem Element, denn über diesen Punkt hatte ich inzwischen nicht nur mit Sommer und Melchior, sondern auch mit zahlreichen Kollegen gesprochen. Denn auch ich hatte mir diese Frage gestellt, um deren Beantwortung mich nun Bellinda bat.

»Nimm einmal an, aus dir ist bereits der große Star geworden, ich persönlich zweifle überhaupt nicht daran, dass du das schaffen wirst, dann bedeutest du für die Fernsehgesellschaft ein ungeheures Kapital, mit dem gearbeitet werden muss. Nun ist es ja möglich, dass du mitten in einer wichtigen, dazu noch terminlich engen Produktion krank wirst. Du brichst dir ein Bein oder kriegst die Gelbsucht, auf jeden Fall ist es etwas Ernstes, das dich daran hindert, weiterzuspielen. Du fällst also aus, die Gesellschaft müsste das Projekt aufgeben, da sie unmöglich termingerecht fertig werden kann. Das wären ungeheure Verluste, denn schließlich hat man ja bereits ein Jahr lang in dich investiert und in die laufende Produktion auch noch eine ganze Menge Geld gesteckt. Dann greifen wir von der Computertechnik auf das Gesamtfeldprogramm mit deinen Bits zurück und simulieren die Szenen, die du wegen deiner Krankheit nicht spielen kannst. Die von uns aus Tausenden von Bits zusammengesetzten Bewegungsabläufe der Bellinda werden dann über Bildmischpult in die jeweilige Bildsituation eingestanzt. Das ist eine kniffelige Arbeit, sicherlich, aber es geht, vorausgesetzt wir verfügen über viele Hunderttausende, ja Millionen von Bits, die es uns ermöglichen, jede nur denkbare Situation aufzubauen.«

Bellinda hörte aufmerksam zu, an dieser Stelle hatte sie eine Frage:

»Du sagst, mein Bild wird in die jeweilige Szene eingestanzt. Wie geht das denn, ich habe doch in den Spielszenen, in den zukünftigen Spielhandlungen sicherlich nicht immer dasselbe Kleid an.«

»Das ist ein Problem, an dem haben die Leute von der MAZ und vom Mischpult lange geknabbert. Seit etwa zwei Jahren gibt es auch dafür eine Lösung. In der Tat können sie dir – das heißt, der Bellinda in der simulierten Szene – jedes beliebige Kleidungsstück anpassen. Das verlangt eine sehr genaue Adaptation, doch kannst du danach keinen Unterschied zwischen den Originalszenen und den simulierten Passagen erkennen.«

»Es muss also sein, meinst du?«, fragte sie.

»Aber natürlich. Alle sagen das bei uns.«

»Aber wenn nun das gesamte Programm steht, wenn alle Bits eingespeichert sind, brauchen die mich dann überhaupt noch?«

Eine Überlegung, an der etwas dran war. Allerdings hatte ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. In der Tat, was war, wenn die Programmierung stand? Eine Frage, die unangenehme, ja schreckliche Konsequenzen andeutete. Alles Unsinn, sagte ich mir, es handelt sich hier schließlich nicht um irgendeine Hintertreppenfirma. Das sagte ich auch zu Bellinda und fügte hinzu:

»Sie werden dich immer brauchen, denn schließlich will dich das Publikum auch einmal in natura sehen.«

Doch in mir nagte nun der Zweifel, denn es gab genügend Fernsehstars, die nie auf der Bühne zu sehen waren. Es gab Gesangsgruppen, die überhaupt nicht singen konnten und deren angeblicher Gesang vom Computer kam, die Künstler sangen nichts als Playback.

Doch ich hielt den Mund, ich wollte Bellinda nicht noch mehr verunsichern.

»Ich danke dir, Mark«, sagte sie, nun schon wieder mit einem Lächeln auf dem schönen Gesicht. »Auch ich mag dich gern.«

Also hatte sie vorhin doch gut zugehört. Ich war glücklich.

Die Welten des Jörg Weigand

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