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1. Anwendbarkeit deutscher Grundrechte neben den Unionsgrundrechten

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Wesentliche Teile der datenschutzrechtlichen Normen finden sich seit dem Mai 2018 in einer europäischen Verordnung (Datenschutz-Grundverordnung).[1] Diese sind nicht anhand der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfbar, sondern nur am Maßstab des europäischen Primärrechts, denn (jegliches) europäisches Recht geht grundsätzlich auch nationalem Verfassungsrecht vor.[2] Die Grundrechte des Grundgesetzes und die hierzu ergangene verfassungsgerichtliche Rechtsprechung sind gleichwohl weiterhin von Bedeutung: Einerseits belässt die DS-GVO für den nationalen Gesetzgeber umfangreiche Spielräume, die durch das neugefasste Bundesdatenschutzgesetz[3], entsprechende Landesdatenschutzgesetze und eine Vielzahl bereichsspezifischer Regelungen ausgefüllt werden. Da der nationale Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Spielräume einerseits – wie bei jedem nationalen Gesetz – die nationale Verfassung zu beachten hat und andererseits in Durchführung von Unionsrecht handelt, gelten insoweit die Grundrechte des Grundgesetzes und europäische Grundrechte parallel.[4] Auch die Ausführung der datenschutzrechtlichen Normen erfolgt im Wesentlichen durch nationale Behörden, die insoweit ebenfalls einer parallelen Grundrechtsbindung unterliegen. Sollte es zu Interferenzen zwischen den Schutzbereichen der korrespondierenden Normen kommen, insbesondere in multipolaren Grundrechtssituationen, so bleibt es beim Anwendungsvorrang des Unionsrechts, so dass insoweit letztlich die Maßstäbe der Unionsgrundrechte ausschlaggebend sind.[5] Von Bedeutung bleiben wird die nationale Grundrechtsdogmatik aber allemal, zumal ein Großteil der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung im Datenschutzrecht zu Normen im bipolaren Bürger-Staat-Verhältnis ergangen ist und in Bereichen, in denen erhebliche mitgliedstaatliche Ausgestaltungsspielräume verbleiben. Zudem hat die jüngere Rechtsprechung des EuGH am Maßstab des „Rechts auf Vergessenwerden“ klar gemacht, dass auch im Rahmen der Anwendung der DS-GVO feine Spielräumen für die Mitgliedstaaten verbleiben, bei deren Ausfüllung mitgliedstaatliche Grundrechtsstandards relevant sind (siehe oben → Rn. 48).

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Darauf aufbauend hat das BVerfG jüngst in zwei revolutionären Beschlüssen den Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem gerade am Beispiel des auch auf der Unionsebene hoch umstrittenen „Rechts auf Vergessen(werden)“ (dazu unter → Rn. 81 f.) neu austariert und dabei auf den vom EuGH entwickelten Vorrang des Unionsrechts ebenso wie auf die Öffnung gegenüber jener unterschiedliche mitgliedstaatliche Grundrechtspräferenzen wahrenden Anwendung und Auslegung des Unionssekundärrechts reagiert.[6] Dabei sieht sich das Bundesverfassungsgericht künftig auch im unionsrechtlich vollständig überformten nationalen Recht als Hüter des individuellen Grundrechtsschutzes. Bei der Überprüfung der Anwendung des Unionsrechts durch die deutsche Gewalt greift das BVerfG aber nicht auf den Maßstab der – durch den unionsrechtlichen Anwendungsvorrang – verdrängten Grundrechte des Grundgesetzes zurück, sondern auf die Grundrechte der GRCh. Im nicht vollständig durch Unionsrecht determinierten innerstaatlichen Recht bleibt es hingegen beim Prüfungsmaßstab der nationalen Grundrechte, die allerdings im Lichte der Unionsgrundrechte ausgelegt werden. Diesem Prüfungsansatz müssen die Gerichte und Behörden in Deutschland gleichermaßen folgen. Wie fruchtbar die Wahrnehmung der auf diese Weise neu ausgestalteten Rolle sein kann, demonstrieren sodann die beiden Beschlüsse in der Sache. Sehr umsichtig arbeitet das BVerfG die komplexen widerstreitenden Persönlichkeits- und Mediengrundrechte beim „Recht auf Vergessenwerden“ heraus und wägt diese ab. Insgesamt wird damit die Bedeutung einer grundrechtechartakonformen Auslegung des Datenschutzrechts in Deutschland steigen.

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