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cc) Abwägungstopoi
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Im Übrigen haben sich im Laufe der Zeit bestimmte Abwägungstopoi herauskristallisiert, die das BVerfG immer wieder heranzieht. So ist für die Eingriffsintensität maßgeblich, ob die betroffene Person für die Maßnahme einen Anlass gibt und wie dieser beschaffen ist.[1] Desweiteren spielt die Verdachtslosigkeit und Streubreite des Eingriffs eine Rolle. Es kommt also darauf an, ob zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen.[2] Ferner sind die Heimlichkeit des Eingriffs[3] und die Intensität der von der Maßnahme ausgehenden Einschüchterungseffekte zu berücksichtigen.[4] Auf der anderen Seite kommen die Bedeutung der zu schützenden Güter und das Ausmaß ihrer Gefährdung zum Tragen. In seinem neueren Beschluss Antiterrordateigesetz II äußerte sich das BVerfG auch zum Eingriffsgewicht durch die „erweiterte Nutzung“ von personenbezogenen Daten (sog. Data-mining) im Zuge einer Verbunddatei der Polizeibehörden und der Nachrichtendienste.[5] Die gemeinsame Nutzung durch diese Stellen führe zu einem erhöhten Eingriffsgewicht, weshalb Data-mining nur für den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter in Betracht kommen kann und die Rechtsgrundlage hierfür normenklar und hinreichend präzise sein muss.[6] Diese erhöhten Anforderungen sind auf das informationelle Trennungsprinzip zurückzuführen.[7] Danach dürfen Daten grundsätzlich nicht zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden ausgetauscht werden. Eine Ausnahme hiervon ist nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter möglich und sofern die entsprechenden Daten nach verfassungsrechtlichen Maßstäben auch für den geänderten Zweck neu erhoben werden dürften (Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung).[8] Auch in der Bestandsdatenauskunft II-Entscheidung[9] des BVerfG legt dieses fest, welche Art der Gefährdung, bzw. welcher Verdachtsgrad vorliegen, und welche Rechtsgüter für eine manuelle Auskunft von Bestandsdaten betroffen sein müssen (siehe dazu → Rn. 98, 951).
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Diese Abwägungstopoi werden besonders deutlich am Beispiel der Entscheidung zur Rasterfahndung.[10] Im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen über die Anordnung einer präventiven polizeilichen Rasterfahndung stellte das BVerfG fest, dass der durch die Ermächtigung zur Rasterfahndung ermöglichte Grundrechtseingriff eine hohe Eingriffsintensität aufweist. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass dieser sowohl durch seine Verdachtslosigkeit als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet ist. Denn es werden zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und die den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben.[11] Zwar sei der betreffende Eingriff angesichts der hochrangigen Verfassungsgüter, denen er dient (Bestand und Sicherheit des Staates, Leben, Leib und Freiheit der Bevölkerung), nicht schon als solcher unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber dürfe ihn aber erst von der Schwelle einer hinreichend konkreten Gefahr für die bedrohten Rechtsgüter an vorsehen.[12] Auch in dem bereits erwähnten Urteil zur automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen aus dem Jahr 2008 stellte das BVerfG maßgeblich auf die Kriterien der Streubreite, Anlasslosigkeit, Heimlichkeit und der Einschüchterungswirkung potentieller Maßnahmen ab.[13]