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c) „Recht auf Vergessen(werden)“
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Neben der bedeutsamen Neuorientierung im Mehrebenensystem (dazu → Rn. 66) gab das BVerfG in der Entscheidung Recht auf Vergessen I dem aus dem Unionsrecht bekannten „Recht auf Vergessenwerden“ (vgl. Art. 17 DS-GVO) auch auf verfassungsrechtlicher Ebene Konturen. Das Recht auf Vergessen(werden) wurde ursprünglich vom EuGH in der Google Spain-Entscheidung[1] begründet und später in Art. 17 DS-GVO (dazu → Rn. 651 ff.) niedergeschrieben. Im Google Spain-Urteil war dieser Anspruch noch auf die Löschung der Verlinkung beim Suchmaschinenbetreiber begrenzt.[2] Dem Löschbegehren der betroffenen Person standen dabei die wirtschaftlichen Interessen des Suchmaschinenbetreibers und die Informationsinteressen der Öffentlichkeit entgegen.[3] In seiner heutigen Form stellt das Recht auf Vergessen im Kern einen Löschanspruch von personenbezogenen Daten der betroffenen Person gegen alle Verantwortlichen dar.[4] Das BVerfG versteht darunter einen Schutzanspruch, sich nicht unbegrenzt frühere Positionen, Äußerungen und Handlungen vor der Öffentlichkeit vorhalten lassen zu müssen.[5] Mit fortschreitender Zeit nimmt dabei die Gewichtung zugunsten des Löschanspruches zu.[6] Daraus folgt allerdings kein allein von der betroffenen Person beherrschbares Recht.[7] Vielmehr ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person stets in Abwägung mit den kollidierenden Verfassungsinteressen anderer zu stellen. Bemerkenswert ist ferner, dass das BVerfG dieses „Recht auf Vergessen“ nicht aus dem „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ folgert, sondern auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abstellt. Zwar setzt sich das BVerfG ausführlich mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auseinander.[8] Gleichwohl sei dieses aber nicht einschlägig, da es vorliegend nicht um eine Pflicht zur Preisgabe von Daten oder um eine intransparente Nutzung von Daten, sondern um den Schutz vor der Verarbeitung personenbezogener Berichte und Informationen als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses gehe.[9]
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Die ausführliche Betrachtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wirft die Frage auf, wie das Recht auf Vergessen in das System des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner besonderen Auskopplungen wie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einzuordnen ist. Die Entscheidung des BVerfG lässt insoweit nur den sicheren Schluss zu, dass das Recht auf Vergessen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuzuordnen ist und im zu entscheidenden Fall das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht einschlägig war. Ob das Recht auf Vergessen nun eine eigene Auskopplung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ein Teil von diesem oder zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht, wird nicht abschließend geklärt. Wünschenswert wäre es aber, wenn das Verfassungsgericht mit dem Recht auf Vergessen auf eine weitere Auskopplung und Neuschöpfung verzichtet und weiterhin nur auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht abstellt, da ein Mehrwert ohnehin nicht trennscharf zu unterscheidender Untergliederungen nicht erkennbar ist.