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bb) Drittwirkung/Schutzpflichten
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Im Wege der Schutzpflichtenkonstruktion bzw. im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ferner auf den privaten Bereich mit vergleichbaren Gefährdungslagen zu erstrecken. Das heißt aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung leitet sich auch ab, dass der Staat Private im horizontalen Verhältnis gegenüber Datenschutzgefährdungen durch andere Private in ihrer informationellen Selbstbestimmung schützen muss.[1] Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht bezogen ausgeführt, dass dieses als Norm des objektiven Rechts seinen Rechtsgehalt auch im Privatrecht entfaltet und deshalb die Judikative im Rahmen einer privatrechtlichen Streitigkeit den Schutzgehalt des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu beachten hat, wenn sie nicht das Grundrecht des Bürgers in seiner Funktion als Schutznorm verletzen will.[2] In seiner späteren Rechtsprechung hat das Gericht dies erneut bestätigt und nochmals betont, dass es die „Aufgabe des Rechts“ sei, insbesondere dann, wenn „in einem Vertragsverhältnis ein Partner ein solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann […] auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt.“[3] Insgesamt ist jedoch zu betonen, dass sich der Großteil der Rspr. des BVerfG auf die Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen – und insbesondere den Sicherheitsbereich bezieht.[4]
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Besondere Brisanz kommt der Drittwirkungsproblematik in multipolaren Grundrechtskonflikten zu. Dies wird exemplarisch deutlich im Rahmen der in der Praxis äußerst relevanten Vaterschaftsfragen. So hatte das BVerfG bereits im Jahr 2007 einen Fall zu entscheiden, in dem ein Scheinvater dagegen vorgehen wollte, dass ein heimlich erstelltes privates Abstammungsgutachten, mit dem er seine biologische Vaterschaft ausschließen konnte, vor Gericht nicht anerkannt worden war.[5] Ein einwilligungsunabhängiges Verfahren zur Vaterschaftsfeststellung war damals nicht vorgesehen. Dies war nur inzident im Rahmen der Vaterschaftsanfechtung möglich. Das BVerfG stellte hier fest, dass das konfligierende Recht des Kindes auf Nichtwissen wie auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter angesichts der großen Bedeutung der entsprechenden Kenntnis des „Vaters“ zwar grundsätzlich zurückzutreten habe, weil sich aus den korrespondierenden Vaterpflichten eine besondere Schutzwürdigkeit ergebe. Im konkreten Fall überwiege das Recht des Vaters aber dennoch nicht, da die betreffende Feststellung (vor dem Hintergrund der damaligen Verfahrenslage) zwingend auf eine Statusänderung gerichtet sei und überdies aufgrund des heimlichen Charakters ein erheblicher Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes sowie der Mutter vorliege. Gleichzeitig wies das Gericht aber auf die staatliche Schutzpflicht für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Vaters hin, die es infolge des Mangels an einem geeigneten Verfahren zur Abstammungsklärung verletzt sah. Der Gesetzgeber hatte demgemäß einen angemessenen Verfahrensweg zu eröffnen, der insbesondere nicht zwingend mit einem Anfechtungsverfahren verbunden werden durfte.[6]
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Ebenfalls in einer Vaterschaftskonstellation entschied das BVerfG in jüngerer Zeit, dass die richterrechtliche Verpflichtung einer Frau, über die Person des mutmaßlichen leiblichen Vaters Auskunft zu erteilen, diese in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzte.[7] In der Preisgabe einer geschlechtlichen Beziehung zu einem bestimmten Mann liege die Offenbarung intimster Vorgänge ihres Privatlebens. Die bereits erfolgte Offenbarung des Mehrverkehrs in der Empfängniszeit aufgrund einer vorangegangenen erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung verbrauche nicht das spezifisch geschützte Recht der Beschwerdeführerin, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen.[8] Mangels hinreichend deutlicher Grundlage im geschriebenen Recht habe die entsprechende gerichtliche Verpflichtung die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten.[9] Diese seien bei einer Verschlechterung der rechtlichen Situation des Einzelnen dergestalt enger gesteckt, als die Rechtsfindung sich umso stärker auf die Umsetzung bereits bestehender Vorgaben des einfachen Gesetzesrechts beschränken müsse, je schwerer die beeinträchtigte Rechtsposition auch verfassungsrechtlich wiegt.[10] Der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung der Frau, die mittelbar auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Familienleben eines zu benennenden Mannes tangiere, stehe hier allein das Interesse des Scheinvaters an einer Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit seines einfachgesetzlichen Regressanspruchs gegenüber.[11] Der Privatrechtsgesetzgeber war hierbei nach Auffassung des Gerichts angesichts des ihm zuzugestehenden Ausgestaltungsspielraums nicht verfassungsrechtlich gezwungen, einen durchsetzungsstärkeren Regressanspruch zu schaffen.[12]