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e) Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG)
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Angesichts der gemeinsamen Ausrichtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Fernmeldegeheimnisses auf den Datenschutz stellt sich die Frage der Abgrenzung zwischen den beiden Grundrechten. Der Schutzgehalt des Fernmeldegeheimnisses verdrängt dabei in seinem Anwendungsbereich die allgemeinere Gewährleistung durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.[1] Mit Blick auf die Ausgestaltung des Fernmeldegeheimnisses sind eine Reihe von Entscheidungen des BVerfG[2] ergangen. Diese sind insbesondere vor dem Hintergrund der Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung relevant, beschäftigen sich aber auch mit der spezifischen Ausgestaltung des Schutzbereichs des Fernmeldegeheimnisses vor dem Hintergrund technisch komplexer Ermittlungs- und Fahndungsmethoden. Dabei unterscheiden sich die Sachverhalte teilweise nur in Nuancen, so dass keine allgemeine Abgrenzungsformel existiert. Vielmehr wird es weiterhin bei der Konturierung des Schutzbereichs im Rahmen einer Einzelfallrechtsprechung bleiben müssen.
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Als Folge der Digitalisierung hinterlässt jedenfalls jede Nutzung der Telekommunikation personenbezogene Spuren, die gespeichert und ausgewertet werden können. Auch der Zugriff auf diese Daten fällt grundsätzlich in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 Var. 3 GG. Die Einordnung verschiedener Datenarten in die vom TKG vorgegebenen Datenkategorien ist zudem von besonderer Relevanz, da davon auch die Effektivität der Strafverfolgung abhängen kann. So erfordert die Auskunft über Verkehrsdaten (hier ist das Fernmeldegeheimnis grundsätzlich betroffen) nach § 100g Abs. 1 S. 1 StPO eine richterliche Prüfung, die wesentlich zeit- und kontrollintensiver ist als ein formloses Auskunftsverlangen nach § 113 TKG in Bezug auf die Auskunft über Bestandsdaten (hier ist das Fernmeldegeheimnis grundsätzlich nicht betroffen).[3]
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Das wesentliche Kriterium zur Konturierung des Schutzbereichs ist der Abschluss bzw. die Beendigung eines Kommunikationsvorgangs, die nicht mit dem Eingang der jeweiligen Nachricht am Endgerät (z.B. Computer) des Empfängers verwechselt werden darf. Denn trotz Abrufens beispielsweise einer E-Mail, kann diese weiterhin auf dem Server des Providers gespeichert werden (vgl. Optionen 2, 3 in Abbildung 1, Rn. 107). Die nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Kommunikationsverbindungsdaten werden nicht durch das Fernmeldegeheimnis, sondern durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ggf. durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützt (vgl. dazu Option 4 in Abbildung 1).[4] Denn die Nachricht ist mit dem Zugang beim Empfänger nicht mehr den erleichterten Zugriffsmöglichkeiten Dritter – und damit auch des Staates – ausgesetzt, die sich aus der fehlenden Beherrschbarkeit und Überwachungsmöglichkeit des Übertragungsvorgangs durch die Kommunikationsteilnehmer ergeben. Die gespeicherten Inhalte und Verkehrsdaten unterscheiden sich dann nicht mehr von Dateien, die der Nutzer selbst angelegt hat.[5] Ist die Nachrichtenübermittlung abgeschlossen, bestehen für die bei den Teilnehmern gespeicherten Kommunikationsinhalte und -umstände nicht mehr dieselben spezifischen Risiken, wie sie sich aus der Nutzung einer Fernmeldeeinrichtung als Kommunikationsmedium ergeben.[6] Damit sind die Kriterien des Abschlusses des Übertragungsvorgangs und der Beherrschbarkeit entscheidend für die Reichweite des Fernmeldegeheimnisses.[7] Bei einem nicht abgeschlossenen Übermittlungsvorgang betrifft auch ein Zugriff am Endgerät – also beispielsweise die Überwachung des laufenden Kommunikationsvorgangs – grundsätzlich noch das Fernmeldegeheimnis.[8]
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Problematisch ist dagegen die Reichweite des Fernmeldegeheimnisses im Zusammenhang mit der Beschlagnahme von E-Mail-Daten im Rahmen einer Hausdurchsuchung, die sich beim Provider befinden und vor Ort auf den PC der betroffenen Person heruntergeladen werden, um diese zu kopieren.[9] Solange sich die E-Mail noch beim Provider befindet, kann das Fernmeldegeheimnis deshalb als betroffen angesehen werden, weil mit dem Abruf dieser Nachricht noch ein weiterer Telekommunikationsvorgang erforderlich ist.[10] Dabei kann beim Abruf noch zwischen den verschiedenen E-Mail-Systemen mit Blick auf das Kriterium der Beherrschbarkeit unterschieden werden. So ist eine E-Mail dann nicht mehr vom Provider beherrschbar, wenn sie abgerufen wurde und die Speicherung beim Provider beendet ist (so typischerweise beim Abruf mittels POP3[11]). Sofern trotz Abrufens die E-Mail weiterhin beim Provider gespeichert bleibt, muss auch weiterhin von einer Beherrschbarkeit durch den Provider ausgegangen werden (so typischerweise beim Abruf mittels IMAP[12]). Während der Zugriff beim Nachrichtenmittler also eindeutig dem Fernmeldegeheimnis unterfällt[13] unabhängig davon, ob der Empfänger sie bereits abgerufen hat (vgl. Option 1 in Abbildung 1), greift das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sofern der Kommunikationsvorgang abgeschlossen ist und der Zugriff beim Empfänger erfolgt (vgl. Option 4 in Abbildung 1). Davon zu unterscheiden ist die Konstellation, in der die Nachricht beim Empfänger am Endgerät angekommen ist, der Kommunikationsvorgang aber noch nicht abgeschlossen ist. Dies ist der Fall, sofern eine E-Mail beispielsweise auf dem Server des Mittlers ruht, unabhängig davon, ob sie bereits abgerufen wurde oder nicht.[14] In dieser Grauzone hat sich auch das BVerfG noch nicht abschließend festgelegt (vgl. Option 3 in Abbildung 1).[15]
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Abbildung 1:
Betroffenheit des Fernmeldegeheimnisses beim E-Mail-Versand
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Die Abgrenzung muss sich an Risikosphären orientieren.[16] So ist bei einem Zugriff in der Sphäre des Providers stets auf das Fernmeldegeheimnis zurückzugreifen, während bei einem Zugriff bei der betroffenen Person – unabhängig davon, ob die Daten noch auf dem Server des Providers gespeichert sind – das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Anwendung findet. Insoweit ist auf den Aspekt der Heimlichkeit abzustellen und mit der Anwendbarkeit des Fernmeldegeheimnisses zu verbinden. Denn die spezifischen Gefahren der Raum überwindenden Kommunikation verwirklichen sich nur, wenn die betroffene Person vom Zugriffsvorgang keine Kenntnis hat. Der Ort der gespeicherten Daten ist dagegen nicht entscheidend. Danach wäre bei Option 3 in Abbildung 1 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einschlägig. Die gegenteilige Ansicht kann mit dem Argument, dass der Telekommunikationsvorgang noch nicht abgeschlossen ist und die Daten noch durch den Provider beherrscht werden, aber sicherlich auch gut vertreten werden. Dieses Problem stellt sich bei sämtlichen Informationen, die in Nachrichtenübermittlungssystemen mit Zwischenspeicherungsoption gespeichert sind, also etwa auch bei SMS-Nachrichten oder bei Nachrichten auf einem netzseitigen Anrufbeantworter und auch bei Instant-Messaging-Diensten wie WhatsApp, Threema oder Signal. Diese sind zwar beim Endpol der Kommunikation angelangt, allerdings nicht allein durch den Empfänger, sondern auch noch durch den Informationsübermittler potenziell beherrschbar, so dass hier noch der Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 Var. 3 GG betroffen sein kann.