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2.2.2 Beginn der Systematisierung von historischen und archäologischen Quellen

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Im 19. Jahrhundert nahmen die Geschichtswissenschaften, zu der wir auch die Archäologie zählen, einen enormen Aufschwung in Deutschland, der sich unter anderem in der Einrichtung qualifizierter universitärer Lehrstühle niederschlug. Die Bezeichnung ‚Geschichte‘ hat in unserer Sprache dabei eine zweifache Bedeutung, nämlich zum einen das vergangene, unmittelbare Geschehen (lat.: res gestae) und zum anderen die Darstellung respektive das Verstehen dieses vergangenen Geschehens (lat.: historia rerum gestarum) (Faber 1971, 23f.). Für den zuletzt aufgeführten Umgang mit Geschichte als Wissenschaft waren strenge methodische und quellenkritische Verfahren im Sinne einer ‚Metahistorie‘ zu entwickeln. Diese lieferte mit seinem Grundriss der Historik der bedeutende Historiker Johann Gustav Droysen$Droysen, Johann Gustav (1808–1884), dessen methodisches Grundlagenwerk 1858 in erster Auflage erschien und mehrere Neuauflagen erfuhr (Droysen 1882; 1967). Droysen$Droysen, Johann Gustav unterscheidet hier beim historischen Material zwischen „Ueberresten“ (zufällig auf uns gekommene ‚Überbleibsel‘) einerseits und „Quellen“ („zum Zwecke der ErinnerungErinnerung überliefert“) andererseits (Droysen 1882,13–16, §§ 20–27). Zur Verwirrung könnte seine dritte Kategorie, die uns besonders tangiert, beitragen, nämlich „Denkmäler, in denen sich beide Formen verbinden“ (Droysen 1882,14, § 21). Hier hat in Nachfolge der Historiker Ernst Bernheim$Bernheim, Ernst (1850–1942) mit seinem Grundlagenwerk Lehrbuch der Historischen Methode und der Geschichtsphilosophie (Bernheim 1908) für mehr Klarheit gesorgt. Er zeigt nur noch zwei Kategorien auf, nämlich in Übernahme der Droysenschen Terminologie „Überreste im engeren Sinne (Überbleibsel), welche ohne jede Absicht auf Erinnerung und Nachwelt nur übriggebliebene Teile der Begebenheiten und menschlichen Betätigungen selbst sind“ und „Denkmäler, welchen die Absicht innewohnt, Begebenheiten für die Erinnerung […] aufzubewahren“ (Bernheim 1908, 252–323, bes. 255–259). Für diese zweite Kategorie spielt die Weitergabe, also die TraditionTradition (lat.: traditio, Überlieferung) eine Rolle, so dass schließlich Bernheim und in Nachfolge die Geschichtswissenschaften heutzutage vom Begriffspaar ‚Überreste und Tradition‘ sprechen (Eggert 2008, 44–49).

Wie ordnen sich in diese Systematik unsere archäologischen Quellen bzw. Bodendenkmäler terminologisch und strukturell ein? Der Unterschied zwischen ‚Überresten‘ einerseits und ‚TraditionTradition‘ andererseits beruht also Droysen$Droysen, Johann Gustav, Bernheim$Bernheim, Ernst und ihren Nachfolgern zufolge zum einen auf der unbewussten, also nicht geplanten und zum anderen auf der bewussten, intentionell veranlassten Weitergabe von Objekten unterschiedlichster Art. Bodendenkmäler finden sich in beiden Quellengruppen wieder – in diesem Sinne ist Droysen$Droysen, Johann Gustav zuzustimmen. Allerdings können wir nicht immer eine sichere Zuweisung treffen, ob wir es mit einer unbewussten oder bewussten Überlieferung zu tun haben.

Die Archäologie differenzierte von Beginn an ihr Quellenmaterial in die drei Hauptarten Siedlungen, Gräber und Horte. Eine erste umfassende methodische Beschreibung der Gemeinsamkeiten und der Spezifika verdanken wir bereits Karl Hermann Jacob-Friesen$Jacob-Friesen, Karl Hermann (1886–1960) mit seinem Werk Grundfragen der Urgeschichtsforschung (Jacob-Friesen 1928). Allerdings verharrte Jacob-Friesen noch wesentlich bei den Funden. Er ging auf den Aspekt der zugehörigen Befunde – also die FundeFund (Begriff) einschließenden Strukturen wie Schicht, Grube, Brunnen, Grab, Mauer etc. – und schließlich auf die Funde und Befunde zusammenfassende Sachgesamtheit, also auf Denkmäler und Fundstätten, nicht vertiefend ein. Ähnlich auch noch Hans Jürgen Eggers$Eggers, Hans Jürgen (1906–1975) in seiner weiterhin überaus lesenswerten Einführung in die VorgeschichteVorgeschichte (Begriff) aus dem Jahr 1959, eine Publikation, die im Jahr 2010 in 6. Auflage erschien (Eggers 1959). Mit der vor allem für Studierende verfassten Einführung Prähistorische Archäologie. Konzepte und Methoden von Manfred K.H. Eggert$Eggert, Manfred K.H. wurden nun auch die Fundstätten, also die ortsfesten BodendenkmälerBodendenkmalortsfestes, in die methodologische Betrachtung einbezogen (Eggert 2008, 54–99). Weiterhin werden dort die drei Quellengruppen (Eggert$Eggert, Manfred K.H. spricht von ‚Hauptkategorien‘) Siedlungen, Gräber und Horte besonders umfangreich beschrieben, aber auch weitere wie Kultstätten oder Werkplätze aufgeführt, die sich nicht ohne weiteres in die o.g. Hauptkategorien einfügen lassen und damit den Kanon erweitern.

Mittlerweile fällt, wenn wir zunächst bei den drei erstgenannten Eggertschen$Eggert, Manfred K.H. Hauptkategorien bleiben, wohl die Masse der Bodendenkmäler in die Quellengattung Siedlung – vielleicht besser ‚Ansiedlung‘, um auch weniger strukturierte menschliche Niederlassungen einzubeziehen. Ganz überwiegend handelt es sich hier im Droysen$Droysen, Johann Gustav-Bernheimschen$Bernheim, Ernst Sinne um Überreste, die zufällig auf uns gekommen sind und wo keinerlei Intention der damaligen Bewohner bestand, der Nachwelt etwas zu überliefern. Eggert$Eggert, Manfred K.H. bezeichnet diese Quellen in Anlehnung zu Droysen bzw. Bernheim$Bernheim, Ernst als ‚Nichtschriftliche Überreste‘ (Eggert 2008, 48–51 mit Abb. 4). Anders sieht es hingegen im sakralen Bereich, bei den vorgeschichtlichen Heiligtümern, aus. Hier liegt häufig nicht nur eine lange Nutzungszeit über Generationen (Platzkontinuität) hinweg vor, sondern auch ein bewusster Umgang im Sinne einer ortsgebundenen ‚TraditionTradition‘ nicht selten über mehrere Jahrhunderte hinweg. Diese Tradition mit ihrer Verankerung im kollektiven Gedächtnis einer Gemeinschaft veranlasste sie, eine sakrale Örtlichkeit regelmäßig wieder aufzusuchen.

Ähnlich im Sinne einer ‚TraditionTradition‘ verhält es sich bei der Gattung ‚Gräber‘, deren Achtung bzw. Beachtung durch die Nachwelt sich die Bestattungsgemeinschaft erhoffte. Ohne Zweifel sollten etwa (vor allem großformatige) GrabhügelGrabhügel oder vergleichbare Monumentalanlagen über die damalige Gegenwart hinauswirken (Boschung/Schäfer/Trier 2021). Wir kennen diese Form der Totenverehrung in unseren Regionen nach der Sesshaftwerdung des Menschen, also seit der jüngeren Steinzeit, denn bereits die heute nur noch als gewaltige Steinkonstruktionen erlebbaren MegalithgräberMegalithgrab (ab 3800/3700 v. Chr.) waren ursprünglich mit Erde bedeckt, also überhügelt. Besonders eindrucksvoll in ihrer Dimension sind jüngere keltische ‚FürstengräberFürstengrab‘ wie die von Hochdorf in Baden-Württemberg oder vom Glauberg in Hessen, die die dortige Landesarchäologie in den letzten Jahrzehnten untersuchen konnte (Eggert/Samida 2013, 233–237). Der große Aufwand der Bestattungsgemeinschaft beim Grabbau und auch die häufig besonders qualitätvollen Grabausstattungen sollten zweifelsohne über den Augenblick hinauswirken. Leider zogen diese bewusst auf Sichtbezüge geplanten Anlagen im besonderen Maße und nicht selten schon bald nach der Errichtung auch Plünderer an, so dass heutzutage eine Vielzahl der Hügelgräber uns nur noch devastiert, also zerstört, überliefert ist. Moderne Raubgräber gaben ihnen häufig den Rest. Aber auch Flachgräber mit ihren in den Boden eingetieften Grabgruben markierte man, wie uns etwa die umfangreichen merowingerzeitlichen Reihengräberfriedhöfe mit ihren vergleichsweise wenigen Überschneidungen zeigen, häufig an der Oberfläche. Diese Art der semiotischen Botschaft praktizieren wir noch heute auf unseren Friedhöfen. Eggert$Eggert, Manfred K.H. bezeichnet – wie oben ausgeführt – diese Quellengruppen als ‚Nichtschriftliche Tradition‘. Allerdings gibt es auch in der Gattung Gräber solche, die man den ‚Überresten‘ zuordnen muss. Hierunter zählen beispielsweise Massengräber, die man in Seuchen- oder Kriegszeiten wie etwa während der Pestepidemie Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa oder im 30-jährigen Krieg (1618–1648) anlegte und die keinerlei Hinweis auf ‚Tradition‘ verkörpern.

Als dritte Quellengattung verbleiben die Horte, also Deponierungen von Gegenständen aus profanen oder kultischen Gründen. Auch hier können wir nicht-intentionelle ‚Überreste‘ von solchen intentioneller ‚TraditionTradition‘ in aller Regel leicht unterscheiden. Derartige Fundensembles, die der Eigentümer in der Vorstellung verbarg, sie später wieder bergen zu können wie etwa Händlerdepots aus der Bronzezeit oder Münzschätze, die man in Kriegs- und Unruhezeiten dem Erdboden anvertraute (und nicht selten bis heute anvertraut), gehören den ‚Überresten‘ an. Germanische Mooropferplätze wie Thorsberg (Schleswig-Holstein) oder Nydam (Dänemark) hingegen, die mit ihrer niedergelegten Kriegsbeute auch zu den Horten zählen, sind nicht nur als ‚Gaben an die Götter‘ zu deuten, sondern beweisen durch ihre Langlebigkeit, dass sie teilweise über Jahrhunderte in der Bevölkerung als ‚Tradition‘ verankert waren.

Eingangs wurde bereits darauf verwiesen, dass wir zwischen zufälliger Erhaltung (‚Überreste‘) und bewusster Inszenierung (‚TraditionTradition‘) nicht immer sicher unterscheiden können. Hier hilft uns die archäologische QuellenkritikQuellenkritik weiter, die in ihren theoretischen Grundlagen ebenfalls auf den Historiker Ernst Bernheim$Bernheim, Ernst zurückgeht.

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