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2.2.1 Grundfragen und Grundanliegen
ОглавлениеEin richtungsweisendes Kolloquium zu dieser Thematik führte im Herbst 1989 der Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland – ein Zusammenschluss der Landesarchäologen der seinerzeit noch elf Bundesländer (siehe Kap. 2.5) – mit seiner Veranstaltung „Archäologie und Recht – Was ist ein Bodendenkmal?“ durch. Der Kolloquiumsband hierzu gibt die Vorträge von Archäologen sowie Juristen wieder und wird durch eine Beispielsammlung von knapp 40 Bodendenkmälern ergänzt, die eine gute Vorstellung von der Vielfalt dieser Geländezeugnisse geben (Horn/Kier/Kunow/Trier 1991).
Noch zuvor griff man zur Charakterisierung der Archäologie und ihrer Quellen auf eine häufig zitierte Metapher des Prähistorikers Paul Reinecke$Reinecke, Paul (1872–1958) von der ‚Wissenschaft des Spatens‘ zurück, die letztendlich auf Heinrich Schliemann$Schliemann, Heinrich (1822–1890) zurückgeht und auch in der Öffentlichkeit tief verankert ist. So wenig, wie die Medizin die ‚Wissenschaft des Skalpells‘ ist, trifft die Gleichsetzung der Archäologie mit einer ‚SpatenwissenschaftSpatenwissenschaft‘ zu. Zum einen kommen auf AusgrabungAusgrabungen für Erdarbeiten neben dem Spaten Gegenstände höchst unterschiedlicher Skalierung, von Großgeräten wie Bagger oder Raupe bis hin zu Feingeräten wie Spachtel oder Pinsel, zum Einsatz, zum anderen – und das ist in unserem Kontext sicherlich entscheidender – wird durch schlichte Benennung eines Arbeitsgerätes in keiner Weise deutlich, um welche Objekte in der sogenannten Spatenwissenschaft es eigentlich geht, kurzum: was ein Bodendenkmal (Pl.: Bodendenkmäler oder Bodendenkmale) ist.
Ganz anders hat sich von Beginn an, nämlich mit den ersten einschlägigen Denkmalgesetzen in Deutschland um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die Jurisprudenz mit dem Rechtsbegriff ‚Bodendenkmal‘ oder auch ‚Archäologisches DenkmalDenkmal‘ – beide Begriffe tauchen synonym in unseren Denkmalschutzgesetzen auf (siehe Kap. 2.1.3) – definitorisch auseinandersetzen müssen, ging es doch darum, Rechtssicherheit zu schaffen. Und so führen noch heute unsere Gesetze in dieser oder vergleichbarer definitorischer Form aus: Bodendenkmäler sind bewegliche oder unbewegliche Denkmäler, die sich im Boden befinden oder befanden (Martin/Krautzberger 2017). Der Begriff ‚Boden‘ braucht dabei nicht zu irritieren, da auch Objekte in Gewässern, also in Flüssen, Seen oder Meeren (oder im gefrorenen Zustand, also im Eis) einbezogen sind, bisweilen sogar noch extra darauf hingewiesen wird. Man rechnet gemäß der oben angeführten Definition demnach das Bodendenkmal der Gattung ‚Denkmal‘ – einige Denkmalschutzgesetze verwenden bedeutungsgleich zum ‚Denkmal‘ den Terminus ‚KulturdenkmalDenkmalKulturdenkmal‘ – zu, an dessen Erhalt ein öffentliches Interesse besteht. Hierfür müssen dann einzelne Gründe etwa geschichtlicher, künstlerischer, heimatkundlicher oder auch wissenschaftlicher Art vorliegen. In einem späteren Kapitel wird darauf zurückzukommen sein (siehe Kap. 2.6).
In der Ausbildung an Universitätsinstituten wird vielfach den Studierenden archäologischer Fächer der stark einschränkende Eindruck vermittelt, Bodendenkmäler seien primär als ‚archäologische Quelle‘ zu bewerten und daher ausschließlich wegen ihrer Bedeutung für die Forschung, also allein aus (fach-)wissenschaftlichen Gründen schützenswert – selbst aus dem Kreis der Landesarchäologen hörte man vereinzelt diese Auffassung (Reichstein 1991; 1993). Diese Sichtweise verkennt, dass das ‚öffentliche Interesse‘ an Erhalt und Schutz eines Denkmals erheblich breiter angelegt ist und eine Reduktion allein auf die Bedeutung für die (eigene) Wissenschaft ungenügend (siehe Kap. 2.4.2). Dieses mag bei Bodendenkmälern aus unserer jüngsten Vergangenheit besonders schnell einleuchten, wenn wir uns als Archäologen oder – präziser – Bodendenkmalpfleger auch vor dem Hintergrund gesetzlicher Zuständigkeit mit Geländeobjekten aus unserer jüngsten Vergangenheit beschäftigen müssen, wie etwa den in großen Teilen eingeebneten Konzentrations-Konzentrationslager oder ArbeitslagernArbeitslager (Abb. 1) – der Historiker Ulrich Herbert (2021, 82–104) hat weiter ausgreifend eine ausführliche Studie dem „Jahrhundert der Lager“ gewidmet – aus der Zeit des sogenannten Dritten Reich‚Drittes Reich‘s (Theune 2014; diverse Beiträge einer Fachtagung: Kersting et al. 2017; Ausstellungsführer mit Lagerporträts: Haubold-Stolle et al. 2020). Noch jünger datieren die in den Erdboden eingegrabenen Zeugnisse des Kalten Krieges (Cold War Monuments) wie BunkeranlagenBunkeranlagen und Raketenstellungen (Hoppe/Wegener 2014), die aktuell im Zuge von Konversionsmaßnahmen besonders bedroht sind, oder heute nur noch untertägig vorhandene Relikte der Berliner MauerBerliner Mauer aus ihren Anfangsjahren (Dressler 2020a) sowie die Fluchttunnel, die man nach dem Mauerbau als unterirdische Verbindung von Berlin-West nach Berlin-Ost gegraben hat und die nach neuerlicher Zugänglichmachung und Sicherung ein breites, auch touristisches Interesse als ‚Berliner Unterwelten‘ finden (Dressler 2020b).
Abb. 1: Ein Funktionsgebäude (Wäscherei?) im Lazarettbereich des Stalag III A Luckenwalde (Brandenburg), größtes und als erstes gebautes Kriegsgefangenenlager. Es diente als eine Art ‚Musterlager‘ für alle weiteren. Die Untersuchungen wurden im Vorfeld einer Ortsumgehung und eines Gewerbeparks erforderlich.
Diese, in der jüngeren bzw. jüngsten Vergangenheit entstandenen Objekte sind nach Gesetzeslage Bodendenkmäler – allerdings tritt hier ein expliziter oder gar exklusiver archäologischer Forschungsansatz zurück. Dennoch gibt es natürlich gute Gründe für den Erhalt und gesetzlichen Schutz auch dieser Bodendenkmäler. Aber diese Situation trifft nicht nur auf Objekte des 20. Jahrhunderts zu. Auch Relikte aus früheren Jahrhunderten wie montanarchäologische Zeugnisse des Mittelalters mit ihren Pingen und Schlackenhalden, renaissancezeitliche Landwehren oder ein Aussichtshügel, ein sogenannter Point de vue, in ansonsten heute eingeebneten barockzeitlichen Parkanlagen unterliegen dem Schutz- und Erhaltungsgedanken, ohne dass die Archäologische DenkmalpflegeDenkmalDenkmalpflege über paradigmatische Einzelfälle hinaus diese Bodendenkmäler vorrangig als wissenschaftliche Quelle im Sinne von ausgrabungswerten Objekten begreift.
In der Vergangenheit gab es wiederholt Vorstellungen, unter Hinweis auf die im Grundgesetz verankerte ‚Freiheit der Forschung‘ (Art. 5 Abs. 3 GG) sogar ein vermeintliches Recht abzuleiten, überall dort Ausgrabungen an Bodendenkmälern durchführen zu können, wo man eine wissenschaftliche Fragestellung hätte und die erforderlichen fachlichen Qualifikationen nachweisen würde (Reichstein 1991, 34f.; Steuer 1993, 28f.; 33). Auch in anderen Wissenschaften wie etwa der Medizin gibt es jedoch (insbesondere ethisch begründete) rechtliche Beschränkungen der ForschungsfreiheitForschungsfreiheit; nicht anders verhält es sich bei der Bodendenkmalpflege (Fechner 1993). Die Diskussion um die ‚totale Forschungsfreiheit‘ scheint in der deutschen Archäologie weitgehend überwunden. Dem Erhalt wird mittlerweile der Vorrang vor der Untersuchung eingeräumt, denn die AusgrabungAusgrabung ist – wie es die Gesetzgebung und ihre Kommentatoren formulieren – nur die ultima ratio bei ansonsten drohender undokumentierter Zerstörung eines Bodendenkmals (siehe Kap. 3.2). Wir registrieren hier also einen Paradigmenwechsel. Auch reine Forschungsgrabungen an ungefährdeten Objekten sind in Deutschland in begründeten und beispielhaften Fällen allerdings weiterhin möglich, etwa solche, die einer spezifischen Denkmalkategorie in toto nützen oder für unsere Kenntnis einzelner Zeitabschnitte oder Regionen von besonderer Bedeutung sind. EinvernehmenEinvernehmen besteht mittlerweile darin, dass wir es bei den Bodendenkmälern mit einer endlichen und stark gefährdeten RessourceRessource zu tun haben. Diese ist durch anthropogene, also menschliche, Eingriffe wie großflächige Baugebiete, AbgrabungenAbgrabung nach BodenschätzenBodenschätze wie BraunkohleBraunkohle oder Kies sowie intensive Landbewirtschaftung mit dem Einsatz von Großgeräten und aggressiver, in den Boden einwirkender Chemikalien bedroht, aber auch durch Klimaereignisse und Wetterphänomene wie Austrocknung der Böden durch Temperaturanstieg, Starkregen mit einhergehenden Erosionsprozessen oder Überschwemmungen (siehe Kap. 3.5). Vor dem Hintergrund, dass in Folge dieser Faktoren tagtäglich Bodendenkmäler weitgehend unbeobachtet zerstört werden, sollten sogenannte Lustgrabungen an ungefährdeten Objekten hierzulande keinen erwähnenswerten Platz mehr finden: Neue und spannende Forschungsfragen lassen sich auch an gefährdeten Objekten entwickeln.
Über diese möglicherweise recht rigide klingende Argumentation hinaus darf jedoch das allgemeine öffentliche und gesellschaftliche Interesse an ‚spektakulären Ausgrabungen‘ und ‚Jahrhundertfunden‘ nicht verkannt werden: Zumeist erst durch die Arbeit der Archäologen werden untergegangene Objekte in das Bewusstsein der Gegenwart geholt und von manchen sogar als Zugang in frühere Zeiten empfunden (siehe Kap. 5). Wir brauchen also weiterhin derartige AusgrabungAusgrabungen und Forschungen, auch um schwieriger in der Öffentlichkeit und Politik zu platzierende Themen wie den Schutz vor allem von untertägigen, d.h. ‚unsichtbaren‘ Bodendenkmälern zu vermitteln. Die drei, bisweilen antagonistisch agierenden Grundanliegen Erhalt, Forschung und VermittlungVermittlung müssen auch in der praktischen Arbeit des Bodendenkmalpflegers immer wieder zusammengeführt werden.
Um den verantwortungsvollen Umgang mit Bodendenkmälern auf eine gute methodische Basis zu stellen, ist ein Rückgriff auf die Anfänge der Systematisierung von Geschichtsquellen erforderlich, denn schon früh hat sich die Archäologie hierzulande als Teil der Geschichtswissenschaften verstanden. Heutzutage rechnet sich die Archäologie im Allgemeinen und die Bodendenkmalpflege auf Grund ihres gesetzlichen Auftrages des Kulturerbeerhalts im Besonderen auch den Kulturwissenschaften zu. Der Prähistoriker Manfred K.H. Eggert$Eggert, Manfred K.H. (2006, 230–250, bes. 246ff.) führt beide Aspekte zusammen und spricht von der ‚Archäologie als Historische Kulturwissenschaft‘.