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Fräulein Naumann

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Ich ficke, also bin ich! Davon hatte ich damals keinen Schimmer. Weder vom Ficken noch von Déscartes. Ich wusste, dass ich zwei linke Hände hatte und eher von Wünschen geleitet war als von Wissen. Na ja, dafür geht man in die Schule, hätte ein Denkender sagen können. Aber der war weit und breit nicht in Sicht. Also begann ich, auswendig zu lernen. Kein Nachteil, bei genauer Betrachtung. Vielleicht hätte mich das Inwendige sonst nie so in den Bann gezogen. Immerhin erfuhr ich, ohne Erledigung von Hausaufgaben, wie leicht es sein kann, sich einen runter zu holen. Das ging sogar mit links. Also fing ich an, mich von Gefühlen leiten zu lassen. Ein Blumentopf war damit nicht zu gewinnen. Aber vielleicht überkam so mich ja die Lust, mich an Düften zu erfreuen; denn ich roch sehr begierig zu jener Zeit. Und unter Lust zu leiden, gefiel mir nicht schlecht, auch wenn ich sie damals noch mit Liebe verwechselte (oder gerade deswegen). Der junge Werther war kein schlechtes Vorbild gewesen, denke ich heute. So wie unser Freund, der Grieche, der mich mit ihm bekannt machte. Der Grieche war immer schon einen Tick weiter als wir (obwohl er mir im Leiden nachzustehen hatte, das war ich mir damals schon schuldig).

Fräulein Naumanns Deutsch war gestochen und ihre Stimme schrill und eindringlich genug, auch den Letzten zu erreichen, und das Respekt einflößende Rund ihrer Augen drohte durch gewaltige, hornumfasste Glasbausteine. Dass sie auch Frau war wusste der Grieche. Auch wenn der junge Werther nicht auf ihrem Lehrplan stand, hatte auch er sich ihr sicher irgendwann einmal angenommen.

Fräulein Naumann hatte einen dicken Hintern und trug mit Vorliebe enge Kostüme. Ihre wächserne Blässe betonte sie überrot mit Lippenstift, was sicher jedem auffiel, aber niemand hinterfragte – vom Griechen einmal abgesehen. Wahrscheinlich stand er auf dicke Hintern, und rote Lippen mussten nicht per se ein Versehen sein. Außerdem war er bildnerisch begabt und auch mit Farben kannte er sich aus. Er hatte Fräulein Naumann zur Frau gemacht und mich, ohne es zu wissen, dazu angeregt, verstehen zu wollen. Ich glaube, dass Psychologie mich so weit brachte, auch wenn ich nicht wusste, was das war (oder gerade deswegen).

Fräulein Naumann hatte ihre Lieblinge und die andern. Das war normal. Die einen gaben ihr eine Rechtfertigung, die andern mussten keine Rolle spielen. Sogar das Lesen verlernte ich bei ihr − vom Schreiben ganz zu schweigen. Aber auch unter den andern konnte man anders sein. Vielleicht habe ich das ja auch ihr zu verdanken, denke ich heute manchmal. Die Klasse musste ihr jedenfalls nichts anhaben, und das machte bestimmt ein wenig überheblich. Dass sie manchmal traurig war, war sicher eine andere Geschichte. Und sicher waren da Fantasien. Von einem feisten Mann vielleicht, so der Grieche, bestimmt sogar.

Old Mac Donald has a farm. Wenn sie sang, schien sie glücklich. Und die Ahnung des Griechen mir Befehl: Ich nehme ihr die Brille ab, schäle sie aus dem Kostüm, umfasse ihren Hintern. Sie flüstert mir etwas ins Ohr. Etwas Zärtliches zuerst, dann etwas Ungehöriges. Fordern erhält urplötzlich ein neues Gesicht. Ihre Wangen sind gerötet und ihre Augen halb geschlossen. Sie zittert ein wenig, so wie man zittert, wenn Gefühle nicht mehr gedacht werden müssen. Als ich in sie eindringe, scheint sie nicht mehr zu unterscheiden. Liebling wird man oft unversehens. Ich fühle, also bin ich. Das war neu. Für Fräulein Naumann − und für mich auch. Und selbst Déscartes hatte aufgehört zu denken, für einen Moment.

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