Читать книгу F l i e h e n d e F a u n e - Jürgen Steinbach - Страница 18
Vorfall mit Mädchen
ОглавлениеDer Zug macht keine Umwege. Die Strecke bleibt dieselbe. Vielleicht fährt er manchmal an bestimmten Stellen langsamer, manchmal schneller, die Richtung ändert sich nie − oder ganz. Die gleichen Bilder, die vorbeifliegen, ohne noch recht wahrgenommen zu werden. Nur selten wundert man sich, über einen Baum, vielleicht, und wenn, dann nur sehr kurz; denn eigentlich weiß man ja, dass er auch gestern schon dastand, und vorgestern, und überhaupt. Ganz ähnlich geht es mit dem Gegenüber, dem Schräg-Hinten, dem Zwei-Sitze-weiter-Vorne.
Anders an diesem Morgen. Schulklasse vermutlich. Er schätzte sie auf sechzehn. Höchstens. Audrey Hepburn, dachte er unwillkürlich. Und er hasste Audrey Hepburn. Keine Titten und ewig jungfräulich. Wenn sie einen ansieht, scheint man sich regelmäßig schämen zu müssen. Für etwas, das man nicht getan hat. Entschuldigung! War nicht so gemeint! Wird nicht wieder vorkommen! Jemand, dem man unmöglich wehtun kann − und ihm die Arme so gerne nach hinten drehen möchte. Hätte sie wenigstens Pickel im Gesicht, aber nein! Rein, reiner geht‘s nicht. Kurz trafen sich ihre Blicke. Sie lächelte. Mit diesen allzu vollen, leicht geöffneten Lippen. Wunde fiel ihm ein. Eine offene. Sinnlich nur scheinbar. Und sie? Ungeschickt sicher, und sicher angeekelt. Du bist ein Schwein. Die Kleine scheint permanent zu lächeln. Wenn du wüsstest, kleine Audrey!
Sie unterhielt sich. Teilnahmsvoll desinteressiert. Es gab einmal eine Zeit, da wurde Konversation gemacht − sie würde hineinpassen in diese Zeit. Warten, Lächeln und Sonnenuntergänge. Und im Sommer im Schatten sitzen. Und Spaziergänge an Strandpromenaden. Und warten. Auf den ersten Kuss. Dann Gefühle. Und irgendwann der Wunsch, sich hinzugeben, sich zu verschenken. – Nein, nicht geschenkt möchte er sie haben.
Der Zug näherte sich dem Bahnhof. Wie zufällig kam er hinter sie zu stehen. Langsam bewegte man sich der Schiebetüre zu. Dann, wie absichtslos, die Berührung. Er sehr erregt. Ruckartig wandte sie sich um. Große Augen, offener Mund. Mehr Staunen als Empörung. Und als hätte sie sich geirrt, als sei alles nur eine Täuschung gewesen − was ja auch viel wahrscheinlicher schien −, lächelte sie. Und er musste sie ansehen. Sich dieser elenden Vorstellung hingeben, die ganze Welt starre ihn an. Heißes Rot stieg ihm ins Gesicht. Jedoch die Peinlichkeit schlug um, unversehens, und an ihre Stelle trat Wut, ungeahnte. Überlegen das Gefühl und nahezu unbändig die Lust, diesem makellosen, weißen Lächeln eine Narbe beizubringen. Wie von selbst bekam er ihren Kopf zu fassen. Fast grob fuhr seine Hand in ihre Haare − dann sehr nah. Zähne spürte er und für Sekunden ihren ganzen Körper. Doch so, wie aus Scham Wut, aus Wut Überlegenheit wurde − auf einmal nur noch Zärtlichkeit. Nichts als Zärtlichkeit. Kleine Audrey, dachte er. Du süße kleine Audrey. Und als hätte es dieses Zwischenfalles bedurft, dachte er: Verzeih mir! Es war nicht so gemeint! − Nein, natürlich war es nicht so gemeint. Seine Hände entspannten sich. Seine Arme erschlafften. Er sah sie nur an.