Читать книгу F l i e h e n d e F a u n e - Jürgen Steinbach - Страница 7
Oblomow oder Das Ja zum Nein
ОглавлениеEin Semester wie viele. Manche Gesichter, die man kannte aus anderen Semestern. Das Seminar im Ganzen gut besucht. Der Enge des Raumes bewusst, ergibt man sich der Not des Beengtseins in der Hoffnung auf eine kompensatorische Weitläufigkeit der Gedanken. Ich war jung, verschwommen energetisch, unbekannt. Nichts Besonderes also für einen Menschen, der das Leben noch vor sich hat. Professor K. erschien leger und überlegen, wie man ihn kannte. Darum wissend, wie es schien, und um die, allen gewesenen, gegenwärtigen, kommenden Ideologien zum Trotz nur scheinbar verwerfliche Bewunderung für Autorität, umriss er das Thema, wie er es meinte und verteilte Referate an die, die sie wollten. Mein Wollen bekannte sich wie ehedem zu spät, als dass es zum Tragen gekommen wäre. Ein Wille wird schnell obsolet, vermöge einer ihm inhärenten Schwäche des Überzeugtseins.
Eine Andrea entschied sich für »Oblomow oder Der politische und soziale Wandel im Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts«. Sie machte den Eindruck, sehr vertraut zu sein, mit den russischen Verhältnissen jener Zeit, und verhaltener Stolz lag in ihrer Stimme als sie ihren Namen nannte. Sie saß schräg vor mir und war zeit- und seinsgemäß gekleidet (hautenge Jeans und weites T-Shirt). Die Beine übereinandergeschlagen, ruhte ihr linker Unterarm auf ihrem linken Oberschenkel. Der V-Ausschnitt des T-Shirts und ihre vorgebeugte Haltung erlaubten mir den Einblick in sehr weibliche Formen. »Oblomow ist das Produkt einer sich im Niedergang befindlichen Feudalgesellschaft. Sicher ganz interessant.« Sie sagte das zu ihrem Nachbarn. Offenbar kannten sie sich. Armer Ilja Iljitsch, du wirst nichts zu lachen haben in diesem Seminar.
Professor K. erfragte erste Leseeindrücke. Nervöses Ziehen zwischen Blase und Prostata. Dann das Lächeln eines medizinischen Laien. Anatomie der Gefühle vielleicht und mein Lächeln wurde leiser und damit weniger berechtigt. Das Aufbauende an der Hermeneutik ist das Ambivalente, das ihr innewohnt. Dass der Held gleichzeitig Antiheld sein kann, macht das Leben erträglicher.
Ich sagte nichts.
Ein Typ mit sehr angestrengten Gesichtszügen hatte sich zu Wort gemeldet. Er sprach von Positivismuskritik − ohne jedoch den Hauptprotagonisten des Romans in Schutz nehmen zu wollen, schließlich sei es kein Verdienst der Nichtstuer, dass Fortschrittsgläubigkeit in Verruf geraten sei. Ein Anderer, dem seine Sympathie für Nichtstuer anzumerken war, kam, desungeachtet, nicht umhin, Oblomows Privilegien zu verurteilen.
Professor K. schmunzelte.
Andrea machte einen genervten Eindruck und sah auf die Uhr. Sie schien noch etwas vorzuhaben.
Oblomow hatte einen Traum. Den Traum von einem liebenswert-schrulligen Schlaraffenland, einer ländlichen Idylle, in die übertriebene Passionen keinen Einlass finden, wo alle mögliche Sorge und alles unvermeidliche Leid immer ein wenig milder ausfallen, beschaulich überschattet sozusagen von einfältiger Güte und schicksalsfrommer Dankbarkeit.
Warum nur sagte ich nichts. Hatte ich ihn doch sofort gemocht. In seinem viel zu großen und abgetragenen Chalat. Wie er sich von denen, die aus einer vagen Kälte kommen abwendet und sich noch tiefer in die Gewölbe seines Diwans zurückzieht. Und sich, von Zweifeln geplagt, immer wieder neu und immer wieder vergeblich mit der Notwendigkeit eines zu entwickelnden Planes auseinandersetzt − und in selbstquälerischer Manier statisch bleiben muss. Sofort hatte ich ihn gemocht.
Andrea hatte zwischenzeitlich nochmal auf die Uhr gesehen und bewegte sich nun durch die Stuhlreihen dem Ausgang zu. Schade.
Ein sehr dicker Mensch mit Bart und wallendem Haupthaar sagte: »Ein Leben ohne Leidenschaft ist wie eine Liebe ohne Lust.« Ich staunte nicht wenig. Nicht zuletzt der Alliterationen wegen. Der Satz schwebte eine kleine Weile über allen Köpfen, drehte eine Pirouette, um kurz darauf, langsam und leicht, zwischen den Stühlen abzutauchen, wie ein Blatt, das windbewegt-tänzelnd sich eines kurzen Fluges nur erfreuen darf, und dann aus dem Blickfeld gerät.
Meine Stimme zitterte. »O, ihr Zeigefinger, wie mir ekelt vor euch, vernunftbegabt und Energie geladen, ihr großen Veränderer, ihr Eiferer, die ihr an eurem Ich klebt, wie die Fliege am Haufen, wie ihr Größe mimt in eurer Kleinheit, ihr ach so Tätigen … wie mir ekelt vor euch.«
Und schon bereute ich, dass ich etwas gesagt hatte.
Professor K. schmunzelte.