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ОглавлениеKapitel 5. Endlich die erste Reise nach Amerika
Das Schiff, auf dem ich anheuerte, war die MS Saarstein (zur Erklärung: Schiffe sind immer weiblich und daher „die“); die Rundreise Deutschland/USA/Deutschland sollte ca. 2 Monate dauern und wird von Insidern als Golftrip bezeichnet (Golf von Mexiko).
Die folgenden Häfen waren geplant: Miami, Tampa, New Orleans, Houston, Corpus Christie und Bronsville und zurück nach Deutschland.
Ich hatte natürlich wahnsinnige Erwartungen und konnte es nicht abwarten, dass die Reise nun endlich losging. Die Tage in Hamburg verliefen nur sehr langsam und ich hatte zu lernen, dass es auf solch einem Schiff mit seiner großen Antriebsanlage und den vielen Nebenaggregaten viel zu tun gab.
Beim Norddeutschen Lloyd – denn das war die Reederei, bei der ich angefangen hatte – wurde täglich nochmals zwei Stunden zugetörnt (für Nichtseefahrer: zwei Stunden extra gearbeitet). Der Sinn dieser Tätigkeit lag darin, die erforderlichen Reparatur- und Wartungsarbeiten durchzuführen, und wenn diese beendet waren, auch durchaus darin, Verschönerungsarbeiten durchzuführen, wozu auch die von mir so "geliebte" Tätigkeit des Messingputzens gehörte. So eine Anlage hatte verdammt viel Messing und Kupferleitungen und die mussten blinken. Das war übrigens das erste Mal, dass ich die Richtigkeit meiner Entscheidung in Frage stellte und mit zunehmender Zeit immer mehr in Frage stellte, da dies auch zum Teil in Schikane ausartete.
Die Arbeitszeit auf dem Schiff für uns Ingenieurassistenten wurde in Wachen aufgeteilt, d.h., regulär 4h Wache, 4h Freizeit und in diesem Rhythmus eben 3x am Tag dieser Wechsel. Die
Wachen nannten sich 0-4 Wache (die sogenannte Hundswache), 4-8 Wache (die vielleicht angenehmste Wache) und die 8-12 Wache (ebenfalls angenehm).
Es war gleichzeitig auch eine gute Gelegenheit, die Nachbarstadt Hamburg, in der ich seit meinen Schultagen nie wieder gewesen war, kennenzulernen. Ich entdeckte hier für mich nicht weit von unserem Liegeplatz entfernt, die River Kasematten, in denen seinerzeit jeden Tag eine andere Life-Jazzband spielte und ich als Liebhaber des Jazz einige Male hinging, spätere Hamburg-Aufenthalte eingeschlossen.
Es war schon erstaunlich, dass ich als echter Bremer "Jung" bei einer Bremer Reederei angefangen hatte und nun nicht von Bremen, sondern von Hamburg aus zu meiner ersten Reise antreten musste. Auf jeden Fall war es soweit, der Tag des Auslaufens war gekommen.
Wir waren irgendwie noch auf der Außenelbe mit Landsicht und nicht schon in der Nordsee und ich hatte gerade Wache und machte meine Rundgänge in der Maschine, als ich mich im Wellentunnel aufhielt und ein leichtes Unwohlsein sich in der Magengegend einstellte. Ich dachte so bei mir, dass es doch nicht sein konnte, dass ich noch auf der Elbe bereits seekrank war – das durfte ich natürlich keinem erzählen, weil ich das schrecklich peinlich und unmännlich fand, bereits so früh mich übergeben zu müssen. Aber die Natur machte auch vor einem 182 cm großen und 86 kg schweren jungen Mann wie mir nicht halt und wenige Minuten nach den ersten Anzeichen ergoss sich ein Teil meines Mageninhaltes in den Wellentunnel. Da es ganz achtern im Schiff war (Übergang der Antriebswelle zur Schraube), mit dem sogenannten Versaufloch, konnte ich mich entleeren, ohne dass es jemand bemerkt hätte und ich meine Schweinerei entfernen musste.
Der wachhabende III. Ingenieur, der die Wache leitete, stellte nur lakonisch fest, dass ich ein bisschen blass um die Nase sei, und fragte, ob ich seekrank sei, denn er wusste, dass es meine erste Seereise war. Das lehnte ich schon fast empörend ab und gab auf keinen Fall zu, dass ich seekrank war, da ein Mann keine Schwächen zeigen durfte (typische Denkweise dieser Zeit).
Die Seekrankheit hielt noch während der verbleibenden Wache an und ich war dankbar, als ich dann frisch geduscht in mein Bett kriechen konnte und die inzwischen erheblich stärkeren Schwankungen des Schiffes liegend relativ unproblematisch ertragen konnte.
Die Reise ging dann noch über Rotterdam und Antwerpen weiter, bevor wir durch den englischen Kanal Kurs Richtung Süd-Westen nach Amerika nahmen.
Nach ca. 10 Tagen auf See erreichten wir in der Dunkelheit die Ostküste der USA und wir näherten uns unserem ersten Hafen Miami im Bundesstaat Florida.
In meiner Freiwache ging ich an Deck und konnte nicht genug von der Neon-Reklame und der gesamten Wahnsinns-Illumination bekommen. Es war wohl eben doch eine andere Welt, die ich hier vor die Augen bekam.
Wir hatten in Miami festgemacht und meine erste Enttäuschung war, dass wir weitab der Stadt lagen, so dass ich einen ausgedehnten Landgang nicht ins Auge fassen konnte, zumal wir nur eine sehr kurze Liegezeit hatten. Dennoch waren Leuchtreklamen unweit des Schiffes zu sehen, die mich anmachten mit dem Gedanken, ein schönes Bier zu zischen. Aber wie es im realen Leben ist: erst die Arbeit und dann das Vergnügen.
Die Probleme begannen mit den umfangreichen Zoll- und Immigrations-Überprüfungen. Es wurde kontrolliert, ob Leute krank waren, ob alle Impfungen durchgeführt worden waren, ob es Geschlechtskrankheiten in den Familien gegeben hatte, ob irgendwelche engeren Familienangehörige schon mal in den USA gewesen waren und sich möglicherweise was zu Schulden kommen lassen hatten etc.
Zum Schluss kam noch die obligatorische Nacktkontrolle, d.h., jeder Einzelne musste sich nackt vor einem Mediziner zeigen, damit dieser sein Final Ok for the Entry of the USA geben konnte. Ich bin kein Mediziner, habe aber nie in Erfahrung bringen können, wozu dieses Ritual diente. Dies ist mir und meinen Kollegen bei meinen diversen Amerikareisen während der Seefahrtszeit im amerikanischen Erst-Anlaufhafen immer wieder aufs Neue passiert. Aber irgendwann waren auch diese Einreisetorturen überstanden.
Damals hatte es ja noch nicht einen solch geballten Personenreiseverkehr zwischen den Kontinenten gegeben wie heute, wo viele Menschen aus armen Ländern versuchen, in die reichen Länder illegal einzureisen. Ich habe mir damals keine großen Gedanken darüber gemacht, warum die Amerikaner so streng in der Handhabung ihren Einwanderungsregeln waren. Heute weiß ich, dass die USA grundsätzlich nur gut ausgebildete Leute haben wollte, die entweder geistig/wissenschaftlich tätig sein wollten oder im Land investieren und Arbeitsplätze schaffen wollten.
Des Weiteren wird 50.000 Menschen aus aller Welt jedes Jahr nach einem Losverfahren die Einreise in die USA gewährt. Diese Leute sollen keinen kriminellen Hintergrund haben und gesund sein, sie sollen sich als Amerikaner verstehen und sich auch wie Amerikaner verhalten und den enormen Stolz auf ihre neue Heimat aufsaugen.
Man darf einem Amerikaner so ziemlich alles an den Kopf werfen, er bleibt gelassen und offen für jede Diskussion, aber man darf niemals die Würde, die Ehre und seinen Nationalstolz in irgendeiner Form verletzen. Dies führt unweigerlich zu Ärger und Problemen.
Wenn ich persönlich mal versuche, einen großen zeitlichen Bogen zu schlagen, dann kann ich das Verhalten der Amerikaner im Umgang mit Fremden verstehen und auf ihren Nationalstolz bin ich immer schon ein wenig neidisch gewesen.
Ein weiteres Problem kam auf mich zu bei den persönlichen Befragungen durch die Immigration, Damals war Englisch zwar auch schon die Weltsprache, ich hatte als Volksschüler aber nur wenig Schulenglisch gehabt und das lag auch schon wieder einige Jahre zurück.
Davon abgesehen hatte die Sprache, die ich auf einmal hörte, nicht viel Ähnlichkeit mit dem, was uns unsere brave Englischlehrerin versucht hatte, beizubringen. Es lief darauf hinaus, dass ich eigentlich so gut wie nichts verstand und ich einen Dolmetscher benötigte, der durch unseren für die Immigration zuständigen Offizier aber ohnehin dabei war.
Vor Ankunft in den USA musste man sich den gewünschten Dollarbetrag auszahlen lassen, der für das gesamte Schiff per Telegramm vom Agenten der Reederei besorgt und dann auf dem Schiff entsprechend ausgezahlt wurde.
Es gab noch keine Satelliten, keine Computer, keine Handys, keine E-Mails und keine SMS. Die große Frage war: Wie viel Dollar brauchte man und wie viel konnte man sich bei seinem kleinen monatlichen Einkommen überhaupt leisten? Was kostete ein Taxi, was kostete ein Bier oder was auch immer man vielleicht kaufen wollte?
Der Umtauschkurs lag damals bei ca. 4: 1, was die ganze Aktion nicht leichter machte, zumal ich vor Antritt der Reise einen Ziehschein festgelegt hatte. Der Ziehschein betraf die
Geldsumme, die von der Reederei in Deutschland direkt auf mein Konto überwiesen wurde und die finanziell mein Studium sichern sollte.
Am nächsten Tag hatte ich zum Abend ein paar Stunden frei und erinnerte mich an die schönen bunten Lichter nicht weit vom Ende der Pier entfernt.
Wegen der paar Dollar, die ich bestellt hatte, und auch aus Angst, mich mit einem Taxifahrer über den Fahrpreis streiten zu müssen, in einer Sprache, die mir in der angewandten Form fast fremd war, ging ich gemeinsam mit ein paar Kollegen los. Ich betrat das erste Mal in meinem Leben im September 1962 mein Amerika.
Mein Amerika war aber zunächst mal eine Betonpier, an dem unser Schiff, die MS Saarstein, festgemacht hatte.
Es war so die Spätsommerzeit, in der es in dieser subtropischen Region meistens tierisch warm und noch tierischer feucht war (zwischen 30-38 °C und 85-100 % Luftfeuchtigkeit). Das Gute war, dass man nur einmal schwitzte und zwar dauerhaft. Ausgenommen waren hiervon natürlich die herrlichen klimatisierten Bars, in denen man so herrliche eisgekühlte Getränke kaufen konnte und die wir ja in Kürze erreichen würden.
Auf dem Weg zur nächsten Bar machte ich noch direkte Bekanntschaft mit einer Spezies, die wir in unseren Breitengraden, zumindest nicht in dieser Größe, kennen. Ich hatte die schnellen Flitzer auf dem Boden natürlich schon zur Kenntnis genommen und mich auch bemüht, jeden direkten Kontakt zu vermeiden. Meine Kollegen informierten mich, dass das nur Kakerlaken seien, in Florida waren sie nur ein wenig größer.
Auf dem unaufhaltsamen Weg zur nächsten Bar passierte, was kommen musste: Es gab ein entsetzliches Knirschen unter meinem Fuß und ich hatte die erste Kakerlake meines Lebens, natürlich ungewollt, besiegt. Ich schüttelte mich vor Ekel und für einen Moment bekam ich trotz der klimatischen Umstände eine Gänsehaut.
Wir marschierten weiter Richtung Neonlichter, die auch immer näherkamen, und nach einem langen Fußmarsch standen wir wirklich vor einer Bar und betraten diese, zunächst auch wieder mit einem Schock, weil die Klimaanlage so entsetzlich kalte Luft aus allen Rohren blies, dass das Schwitzen innerhalb kürzester Zeit aufhörte und ich anfing zu frieren.
Das hätte ich aber auch gerne in Kauf genommen, wenn ich denn ein Getränk bekommen hätte.
Ich wusste nicht, dass man in amerikanischen Bars erst mit 21 Jahren Zutritt erhält. Es kam, wie es kommen musste, die Bardame verlangte meinen Reisepass, den ich wegen meines Alters nicht zeigen wollte, und ich glaubte stattdessen, mit einem John Wayne Blick den Pass kompensieren zu können. Die Bardame war aber weder von meinem Blick beeindruckt, noch wollte sie mir anstelle eines Bieres eine Cola servieren, sondern sie schmiss mich kurzerhand raus.
Ich latschte enttäuscht zurück zum Schiff und damit hatte mein Amerika einen ersten Kratzer erhalten.
Im November 1963 war ich im Urlaub zu Hause und mit meiner Freundin Rita im Kino. Als wir nach der Vorstellung aus dem Kino kamen, wurden Flugblätter verteilt, mit der Nachricht, dass Präsident J.F.Kennedy in Dallas erschossen worden war.
Wir konnten uns nicht vorstellen, dass dieser junge hoffnungsvolle Präsident einen so tragischen Tod erlitten haben soll. Ich vergoss das erste Mal für Amerika Tränen und war todtraurig über den Tod von JFK.