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2.4.1 Kind der Revolution

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Die Napoleonischen Kriege, die Not im eigenen Land und letztlich die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Frankreich 1813 in dem Wohnort Carus’, der Stadt Leipzig, hatten bei Carus sicherlich psychische Eindrücke hinterlassen. Häufig ist über die Veränderungen in Deutschland in seinen Werken zu lesen. In Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten beschreibt der Arzt seine Rügenreise, die er 1819 antrat. Hierin schildert er seine Verwunderung über das Unwissen der Rügener Bevölkerung über die Geschehnisse um Napoleon.33 Offensichtlich waren die Ereignisse, die sich seit Beginn der Französischen Revolution zutrugen für Carus so bewegend, dass er sie auf Rügen ansprach. Hierzu heißt es auch: „Der Anblick dieser Züge [der Truppen] hatte für mich einen welthistorischen Charakter. Es war gleichsam eine Neuzeit, die auf einmal hier durch die Straßen [Leipzigs] hereindrang.“34

Über viele Jahre hinweg erlebte er Kriege, sah Leid, Armut, Krankheit und Tod. Ängste von seiner Seite um sich und seine Familie wären verständlich, doch diese Angst erwähnt Carus nur indirekt in seiner Autobiographie.

Er schildert, wie ab 1806 immer wieder Schlachten ausgetragen wurden, und er anfangs kaum für möglich hielt, wie diese tatsächlich in seiner Umgebung hätten stattfinden können. Wie bereits erläutert, gewöhnte sich Carus, so seine Aussage, an die kriegerischen Auseinandersetzungen. Furcht wird nicht geschildert, stattdessen wurden die Soldaten, die bei der Familie Carus untergebracht worden waren, psychologisch von ihm beobachtet. „Der einzige Vorteil erwuchs mir daraus, diese Individuen etwas näher beobachten zu können.“35

Auch 1807 berichtet der Student nicht direkt über Gefühle, sondern vielmehr über die Arbeit, sich durch die „kriegerischen Wirren der Zeit […] immer wieder aufzurichten, zu kräftigen […].“36 Ob er sich hierbei auch kräftigen musste, um die Angst vor dem Tod verarbeiten, beziehungsweise verdrängen zu können, wird nicht deutlich. Ebenso ist nicht vollkommen ersichtlich, was er auszudrücken versucht, wenn er sagt, die „französische geheime Polizei machte sich bis in die Tiefen des Familienlebens Bahn“.37 Inwiefern Carus Probleme mit Verrat, innerhalb seiner eigenen Familie hatte, oder ob er selbst dazu angehalten worden war, Informationen preiszugeben, ist unklar. Auch, welche Art der Information dies hätte gewesen sein sollen, die den Franzosen von Nutzen hätte sein können, bleibt unausgesprochen.

Deutlich wird jedoch seine Kritik an Napoleon in seiner Biographie, indem er dessen Regierung als despotisch bezeichnet.38

Immer wieder wurde Sachsen Austragungsort der Kämpfe um Monarchie beziehungsweise Demokratie. Im Jahr 1812, als der Kaiser in Dresden weilte, die Monarchen Österreichs und Preußens empfing und sich die Heere der Länder „in den ungeheuersten Massen [versammelten, wurde] die Spannung, welche dieses alles auch in unserer Stadt hervorbrachte, […] eine noch nie da gewesene.“39

1813 erschien für Carus der günstigste Augenblick den französischen Despotismus bezwingen zu können. „Überall regte es sich in Schrift und Rede und Gesang, damit das Volk erwachen und seine Ketten abschütteln möge […] und eine mächtige Begeisterung machte sich fühlbar durch das ganze Land.“40 Einen beträchtlichen Anteil an Verweigerung gegenüber Frankreich schrieb Carus Literaten zu. Insbesondere Friedrich Schiller, auch wenn dieser bereits 1805 verstorben war, soll mit „Don Carlos“ und „Wilhelm Tell“ einen „Freiheitsgedanken“41 verbreitet haben.

In diesem Jahr schienen die Veränderungen und die herannahenden Auseinandersetzungen eine andere Dimension erreicht zu haben – eventuell, da offensichtlich das ganze Volk bereit war sich gegen die Monarchie zur Wehr zu setzen, und die Schlachten somit nicht nur auf Heeresseite stattgefunden haben können, so dass Carus seine Frau zu Verwandten in die Stadt brachte, da die Vorstadt, in der sie lebten, leicht hätte eingenommen werden können.42

Zudem war es diesmal notwendig, dass Carus als Mediziner, obwohl er bis dato lediglich theoretisch die Versorgung von Wunden nahe gebracht bekommen hatte, tätig wurde. Tausende Verwundete galt es zu verarzten und an den 24-jährigen wurde die Frage gerichtet, ob er gewillt sei, die Leitung eines Französischen Militärspitals zu übernehmen. Carus bisheriges Leben, das Studieren der Natur, der Kunst und der Wissenschaften wurde durch die Auseinandersetzungen gestört.

„An ernste Wissenschaftsarbeiten war in dieser Zeit so nicht zu denken, ich las kein Kollegium diesen Sommer, meine Familie bedurfte der Unterstützung; der Gefahr der Ansteckung [durch Krankheiten der Soldaten], der jetzt so manche Ärzte unterlegen waren, setzte ich Mut und ein höheres Vertrauen entgegen […].“43

Im Herbst 1813 musste Carus eine weitere bittere Erfahrung in diesem Krieg erleben: Das Spital, in welchem er tätig war, sollte von ihm geräumt werden und wurde später von den eigenen Soldaten in Brand gesteckt, damit es schwedischen Gegnern nicht nützlich werden konnte.

Politisch äußert sich Carus sehr spärlich. Lediglich die napoleonische Diktator kritisiert er beiläufig. Wie wenig Position er bezog wird nicht nur darin ersichtlich, dass das Universalgenie, welches Carus war und welches über vielerlei Themen schrieb, nicht über die politische Lage Deutschlands oder über Napoleon schrieb, sondern auch darin, dass Carus ein Französisches Lazarett führte und zugleich einen preußischen Offizier in seinem Garten verpflegte. Zugespitzt dürfte sich die Situation haben, als das Haus der Familie von preußischen Soldaten besetzt worden war, während im Hof und in der Färberei Kosaken verweilten.44

Dass die Französische Revolution und deren Folgen für Deutschland und Carl Gustav Carus prägend waren, bleibt außer Frage. Erstaunlich ist jedoch, dass sich keinerlei Todesfurcht in seinen geradezu oberflächlichen Gefühlsbeschreibungen finden lassen. Einzig die Beschreibung der Machtlosigkeit ist dem Leser gegeben:

„Alles Hergebrachte, in gewisser Regelmäßigkeit durch Gewohnheit Geheiligte ist aufgehoben, nur dem Drange

des Augenblicks, nur der eben jetzt gebieterisch geforderten Notwendigkeit wird gehorcht, und doch, auch, so lebt man weiter und sieht fast mit Erstaunen, dass der Tag vorübergegangen ist, den man kurz zuvor fast unübersteigbar wähnte.“45

Carl Gustav CARUS

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