Читать книгу Terrorismus in Deutschland und Italien: Theorie und Praxis der RAF und der BR - Kai Berke - Страница 8
Zur Begriffsverwendung
ОглавлениеZur Einleitung in eine Arbeit über die RAF und die BR gehört auch der Versuch, das Thema beim Namen zu nennen. Es ergibt sich das Problem, dass es viele normativ aufgeladene Begriffe für das soziale Phänomen der 70‘er Jahre gibt, um das es hier gehen soll. Wenn ich die in weiten Teilen der medialen Öffentlichkeit gängigen Begriffe „Anarchismus“ und „Terrorismus“ sparsam verwende, so verfolge ich damit kein „gegenpropagandistisches“ Ziel sondern halte diese Begriffe schlicht für sprachlich ungenau und untauglich, die Theorie und Praxis der RAF und der Roten Brigaden zu beschreiben. Wenn hier natürlich auch keine annähernd vollständige Diskursanalyse gegeben werden kann, soll doch auf den politischen Nutzen solcher Begriffe kurz eingegangen werden.
Die Bezeichnung „Anarchist“ für Mitglieder der RAF, die sich auf die knapp 20 Jahre lange Episode der „Propaganda der Tat“ in der langen Geschichte des Anarchismus bezieht, dient der doppelten Diffamierung; zum einen der gewaltverneinenden Ziele eines libertären Sozialismus, zum anderen der RAF- Mitglieder als „Bombenwerfer“.
Der Begriff „Terrorismus“ unterstellt der RAF wie den BR eine willkürliche Anwendung von Gewalt, was in Italien zusätzlich die Grenzen zwischen der Gewalt linker Gruppen und dem Terror rechter Gruppen verwischen soll. Terror muss auch potentiell den Unschuldigen treffen können, um Angst zu erzeugen, während Lenin z. B. den gezielten Einsatz von Gewalt propagiert hat, um den Widerstand der Bourgeoisie zu brechen. Die Anwendung von ungezielter, willkürlicher Gewalt (Terror) hätte für linke Stadtguerillas keinerlei strategischen Wert, da sie i.d.R. eher den Ruf nach einem starken Staat befördert. Deshalb war es gerade nicht so, dass nach Schleyer oder Moro „als nächstes der Gemüsehändler an der Ecke“ zur Zielscheibe von Anschläge hätte werden können.
Die genannten Merkmale des Terrors träfen eher auf verschiedene Reaktionen der staatlichen Instanzen zu, wie großflächig durchgeführte Hausdurchsuchungen oder die mediale Jagd auf so genannte Sympathisanten. Um genau diese Klippen des ideologischen Sprachgebrauchs zu umschiffen, verwende ich weder den Begriff „Terrorismus“ noch „Staatsterrorismus“. Stattdessen ziehe ich die Begriffe „bewaffneter Kampf“ als Ausdruck des charakteristischen Unterscheidungsmerkmals im politischen Kampf und „Stadtguerilla“ als Bezeichnung eines neuen Organisationskonzeptes politischer Betätigung vor.
Ein anderes Problem bringt die Verwendung des Begriffes „Staat“ mit sich, da man Gefahr laufen könnte, den oberflächlichen Staatsbegriff beispielsweise der RAF zu übernehmen. Wenn in dieser Arbeit der Begriff Staat verwendet wird, so sind damit in der Regel die drei staatlichen Gewalten einer repräsentativen Demokratie Legislative, Exekutive und Judikative in ihrer Realisierung in Parlament, Regierung und den Gerichten gemeint, die sich in der Beziehung zum bewaffneten Kampf kaum voneinander unterschieden. Um eine Reduzierung des Staates auf seine repressiven Elemente zu vermeiden, beginne ich die Arbeit mit einer differenzierteren Darstellung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland und Italien und trenne diese Darstellung von den unmittelbaren Reaktionen auf RAF und BR, die im 5. Kapitel thematisiert werden.
In der Tat spielte sich die Auseinandersetzung auch vorrangig zwischen den klandestinen Gruppen und den staatlichen Instanzen ab, während die Bevölkerung eher Zuschauer als Akteur des Geschehens war und in der überwältigenden Mehrheit kein Interesse an einer revolutionären Umgestaltung hatte.
Die Abschnitte, die sich mit Italien befassen, sind i.d.R. ausführlicher, da die dortige Entwicklung nicht immer als bekannt vorausgesetzt werden kann. Da zu den BR auch erheblich weniger Literatur zugänglich ist als zur RAF, sei an dieser Stelle dem Hamburger Institut für Sozialforschung, der Stuttgarter Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur und dem autonomen Berliner Archiv „Papiertiger“ für ihre freundliche Unterstützung gedankt.