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Der zweite Schlüssel: Unbeständigkeit

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Alles verändert sich immer und überall. Nichts bleibt, wie es ist. Keine Situation wiederholt sich.

Unbeständigkeit ist das Grundprinzip des Universums und gilt für alles, was in ihm enthalten ist. Vom kleinsten Quark bis zur größten Galaxie, vom kleinsten Baum bis zum höchsten Gebirge. Unbeständigkeit umgibt uns. Unbeständigkeit durchdringt uns. Wenn wir achtsam sind, können wir sie in jedem Moment unseres Lebens berühren.

Schauen Sie sich zehn Jahre alte Bilder Ihres Körpers an. Kaum eine Ihrer damaligen Körperzellen ist heute noch Teil Ihres Körpers. Beobachten Sie für einige Minuten in Stille Ihre Gedanken. Wie Seifenblasen steigen sie aus geheimnisvollen Tiefen auf, wiederholen sich vielleicht einige Male, um schon bald wieder zu vergehen.

Richten Sie nun bitte Ihre Aufmerksamkeit nacheinander auf jeden Ihrer fünf Sinne. Sehen. Riechen. Hören. Tasten. Schmecken. Beobachten Sie den steten Strom an Sinneseindrücken auf seinem Weg durch Ihr Bewusstsein. Folgen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit der steten Verwandlung all dieser Eindrücke, ohne etwas herauszugreifen oder zu bewerten.

Unbeständigkeit ist allgegenwärtig und dennoch vergessen wir sie im Alltag immer wieder. Viele von uns wünschen sich eine andere Welt, eine Welt, in der die Dinge konstant, stabil und berechenbar sind; in der Überraschungen ausbleiben und wir Dinge auf immer behalten können, die wir einmal gelernt oder erworben haben. Ohne Kontakt zur Vergänglichkeit der Dinge verhalten wir uns leicht so, als ob wir ewig leben würden; oder als ob wir immer noch zwanzig wären.

Der Schlüssel der Unbeständigkeit erinnert uns daran, dass wir unsere Vorstellungen immer wieder loslassen müssen, um frisch auf eine sich wandelnde Welt, sich entwickelnde Kinder, Kollegen oder Freunde zu blicken. Die Offenheit für diesen Wandel entspannt unser Leben auf einer tiefen Ebene. Denn jeder Eindruck, jede Idee oder Meinung, die wir festhalten wollen, steht zwischen uns und der Realität. Im Versuch, eine fließende Realität zu zementieren, müssen wir scheitern. Der bekannte Arzt und Stressmediziner Jon Kabat-Zinn beschrieb Schönheit und Schrecken der Unbeständigkeit:

An einem frühen Morgen paddle ich mit einem Kanu im Norden von Maine über einen See. Ich beobachte die Strudel, die das Paddel im stillen Wasser des Sees erzeugt. Sie drehen sich eine Zeit lang und verschwinden hinter mir. Diese Strudel sind nichts weiter als Wasser in Bewegung, eine Welle, getrennt wahrnehmbar. Als ich hinter mich schaue, sehe ich, dass sie sich rasch wieder auflösen. Die Energie ihrer Bewegung verliert sich im See. Infolge bestimmter Voraussetzungen, die der See und mein Paddel schaffen, tritt für einen Augenblick Form aus der Leere. Auch Lebewesen treten nur für wenige Augenblicke in Erscheinung, als scheinbar eigenständige Wesenheiten, die wir Körper nennen. Doch erscheint uns eine Person als mehr oder minder beständig, und dass sie irgendwann vergeht, überrascht uns und erfüllt uns mit Schrecken.

Einer der größten Antreiber in unserem Leben ist die Angst vor Veränderung, Verlust und Tod. Tiefes Slowing down ist nur zu haben, wenn wir anhalten und uns der Verletzlichkeit unseres Lebens stellen. Wenn wir dem Tod ins Gesicht schauen. Seine Heiligkeit der Dalai Lama meditiert täglich über die Vergänglichkeit seines Körpers und seinen eigenen Tod. Das Ergebnis ist tiefe Freude am Leben und nicht Fatalismus. Was wir als vergänglich und zerbrechlich erkannt haben, dem begegnen wir mit erhöhter Wertschätzung und Respekt. Wir nehmen die Dinge nicht mehr so selbstverständlich.

Gleichzeitig schützt uns die Akzeptanz von Unbeständigkeit vor unnötigem Leiden. Häufig leiden wir an der Veränderung selbst wesentlich weniger als an unserer Angst und unserem Widerstand, der die Veränderung nicht wahrhaben will. Graue Haare tun nicht weh, doch wie viel unnötigen Schmerz durchleben Männer und Frauen, die nicht in Würde alt werden können?

Wie viel Energie wenden Nostalgiker auf, um eine längst versunkene Welt am Leben zu erhalten? Wir beginnen unnötig zu leiden, wenn wir über das notwendige Maß an Würdigung, Trauer und Abschied hinaus am Vergangenen festhalten. Gegen den Zahn der Zeit, den großen Umwälzer anzukämpfen, ist anstrengend und aufwändig. Wir können nicht die ganze Welt unter Denkmalschutz stellen, nur weil wir Veränderung nicht ertragen können.

Unbeständigkeit ist Schönheit. Die Schönheit eines Tropfens, der eine Fensterscheibe hinunterrinnt, sich mit anderen Tropfen vereinigt und weiterfließt. Ohne Veränderung wäre Leben unmöglich. Nichts könnte wachsen. Leben ist in jedem Moment das Aufgeben der aktuellen Form. Es ist ein Kaleidoskop, das ständig neue Bilder hervorbringt, und jedes hat seine eigene Schönheit.

Nehmen wir die kleinen Veränderungen, die ständig in und um uns herum stattfinden, bewusst wahr, freunden wir uns langsam mit der Unbeständigkeit an. Unser Leben gewinnt an Intimität. Wir werden freier, lassen locker und klammern uns nicht mehr so an Dinge oder Personen. Welchen Sinn macht es, einen Tropfen festhalten zu wollen? Unsere Präferenzen weichen auf. Nicht nur der Sommer, auch die anderen Jahreszeiten haben ihre Bedeutung und Schönheit. Wir sehen die Dinge frisch und lebendig. Der Mensch, der morgens neben uns aufwacht, ist nicht mehr der Mensch, der abends neben uns eingeschlafen ist. Wir müssen die Veränderung nur sehen.

Im Bewusstsein über die Unbeständigkeit aller Dinge zu leben, gilt im Buddhismus als Tor zur Befreiung. Kontemplieren wir regelmäßig über die Unbeständigkeit unseres Lebens, befreien wir uns schrittweise von unseren erstarrten Ideen, Überzeugungen und Gewohnheiten. Wir sehen, dass kein Sturm ewig anhalten kann. Wir befreien uns vom Druck, dass die Dinge so sein müssten, wie wir sie geplant oder erhofft haben.

Slow down your life

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