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Der dritte Schlüssel: Kein Anfang/kein Ende

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Anfang und Ende lassen sich nicht objektiv festlegen. Alles, was existiert, hat seine Vorgänger und Nachfolger. Nichts kann aus sich heraus existieren. Keine Handlung bleibt ohne Folgen.

Betrachten wir eine alte Eiche. Sie produziert im Herbst eine große Anzahl an Eicheln, die zu Boden fallen, unter günstigen Bedingungen keimen, Wurzeln entwickeln und zu einer jungen Eiche heranwachsen. Wann hat das Leben dieser jungen Eiche begonnen? Als die Blüten der alten Eiche bestäubt wurden? Als die Eichel sich aus dem Mutterbaum löste? Als der Keim die Eichelschale durchstieß? Mit der ersten Wurzel oder dem ersten Blatt? Die Frage nach dem Anfang der jungen Eiche lässt sich objektiv nicht beantworten. Und so ist es mit allem, dem wir gern einen klaren Anfang zuordnen wollen.

Jeder Anfang ist lediglich gedankliche Definition, eine Vereinbarung. Leben beginnt nicht. Leben ist anfangslos. Das Leben eines Kindes entsteht nicht unabhängig von der Mutter. Mutter und Kind sind eins. Die Dinge beginnen nicht. Wir sind es, die Epochen oder Projekte definieren. Wenn wir genau hinsehen, hat nichts jemals begonnen und wird nichts jemals enden.

Warum betonen wir die Anfänge so? Weil wir uns als Individuen definieren, die weitgehend unabhängig von anderen durchs Leben gehen und die Dinge erschaffen, die uns umgeben. Wir behaupten: »An diesem Ort, zu diesem Zeitpunkt habe ICH es begonnen.« Doch wie leicht lassen wir uns täuschen. Nichts entsteht aus dem Nichts. Ohne Eiche keine Eicheln. Alles, was sich zu etwas Neuem formiert, baut auf Gedanken, Worten und Taten der Vergangenheit auf.

Dieses Buch ist nicht aus dem Nichts entstanden, auch wenn ich mich in meinen stolzen Momenten als sein Schöpfer fühle. Ich habe mir dieses Buch nicht ausgedacht. Es ist ein Nachfolger ungezählter Gedanken und Worte bereits verstorbener und noch lebender Denker und Schreiber. Es ist keine Schöpfung eines autonomen, abgetrennten Geistes, sondern der Geist vergangener Zeiten fließt durch dieses Buch neu in die Gegenwart. Eingefärbt durch meine Erfahrungen. Kontinuität und Manifestation sind weitaus geeignetere Begriffe, um diesen Prozess zu beschreiben, als Kreation oder Schöpfung.

Meine Lehrer sind nicht tot und vergessen. Sie leben in meinen Worten weiter. Das ist die Essenz von kein Anfang/kein Ende. Wir stützen uns auf ein gewaltiges genetisches, biologisches und kulturelles Erbe, das wir durch unsere Taten geringfügig erweitern. Das könnte uns Grund zur Bescheidenheit geben.

Anfang und Ende festzulegen bedeutet immer Trennung. Wenn wir meinen, dass unser Leben mit unserer physischen Geburt begonnen hat und mit unserem physischen Tod endet, dann bleibt nur eine kurze Zeitperiode zum Leben übrig. Denken wir so, ist es kein Wunder, dass wir so viel wie möglich aus dieser kurzen Zeit herausholen wollen und dabei ins Rennen geraten. Je mehr wir uns hingegen mit unseren Vorgängern und Nachfolgern verbunden fühlen, desto entspannter wird unser Leben. Wir sehen, dass unsere Vorfahren in uns weiterleben, und spüren, dass unsere Taten uns überleben werden. Die Trennung von unserem Umfeld löst sich auf und unsere Rolle im Wechselspiel der Kräfte wird klarer. So wird es einfacher, unsere Verantwortung zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Das Gleiche gilt für das so genannte Ende aller Dinge. Wir können nichts einfach beenden. Keine Beziehung, kein Projekt, keine Gewohnheit. Natürlich können wir uns scheiden lassen oder einen Abschlussbericht schreiben. Doch die Vergangenheit ist damit nicht abgeschlossen. Wir können Tote begraben, doch sie leben in unseren Gedanken und Herzen weiter.

Schlussstriche sind oft sehr trügerisch. Wir können der Vergangenheit nicht entrinnen, indem wir sie für beendet erklären. Wir können uns ihr aber stellen, sie tiefer verstehen und damit gute Bedingungen schaffen, damit sich Negatives nicht reflexhaft wiederholt.

Die Ideen von Anfang und Ende können einen solchen Verständnisprozess behindern.

Wenn wir uns der Anfangslosigkeit unserer Taten bewusst werden, können wir Dankbarkeit entwickeln. Wir sehen, wer alles zu unserem Erfolg beigetragen hat, und beanspruchen ihn nicht für uns allein. Wir werden bescheidener. Misserfolge nehmen wir gelassener, denn wir sind nicht allein verantwortlich. Unser Machbarkeitsglaube schwächt sich ab.

Wenn wir uns der Endlosigkeit unserer Taten bewusst werden, wächst unser Verantwortungsbewusstsein. Wir sehen, dass wir die Konsequenzen unserer Taten erben werden. Ein Körper, den wir heute schinden, wird uns in der Zukunft den Dienst verweigern. Wir erben immer. Manchmal sofort, manchmal erst nach vierzig Jahren. Und manchmal erben oder ernten erst unsere Nachkommen die positiven oder negativen Früchte unseres Lebens. Alles, was wir tun, wird in unserem Leben Konsequenzen haben. Seien es Worte oder Taten. Selbst unsere Gedanken sind nicht beliebig und ohne Konsequenz. Sie bereiten den Boden für unsere physischen Taten und Worte. Diese Einsicht macht uns behutsamer im Umgang mit uns selbst und anderen.

Das alles bedeutet nicht, dass es nicht sinnvoll wäre, Start- und Endpunkte zu definieren. Kick-off-Meetings, Hochzeiten, Jubiläen oder Beerdigungen bündeln Energie und richten unser Bewusstsein aus. Sie sind sinnvolle Stoppzeichen im Strom der Ereignisse, geben Orientierung und sind immer auch eine Gelegenheit für Slowing down. Solche Rituale sind Zeitfahnen, sie sind Zeichen am Wegesrand.

Die Realität ist ununterbrochene Kontinuität.

Slow down your life

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