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Keine Bestechungen!

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Menschen lehnen positive Verstärkung (meistens Futterbelohnungen) bei Hunden oder anderen Lebewesen oft ab, weil sie keine Bestechung verwenden möchten. Ich möchte auch keine Bestechung verwenden, weshalb ich dieses Gefühl der Verstärkungs-Gegner löblich finde. Es ist allerdings wichtig zu verstehen, dass Verstärkung nicht dasselbe wie Bestechung ist. Positive Verstärkung ist die Konsequenz eines Verhaltens, wodurch dieses Verhalten in der Zukunft mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder auftreten wird. Bestechung ist das Versprechen, dass etwas Gutes passieren wird, wenn das Verhalten ausgeführt wird. Wenn man eine Futterbelohnung oder ein anderes begehrtes Objekt anbietet, bevor ein Verhalten gezeigt wurde, damit der Hund (oder die Person) macht, was man will, dann ist das Bestechung. Bestechungen sollten im Training generell vermieden werden, weil sie normalerweise zu einem Schüler führen, der die erwünschte Handlung nur dann zeigt, wenn er die Ware schon vorher sieht. Wenn Sie ein Leckerli hochhalten müssen, bevor Ihr Hund macht, wozu Sie ihn auffordern, dann ist das ein Hinweis darauf, dass Sie im Training Bestechung statt Verstärkern eingesetzt haben. Trotz allem habe ich gelegentliche Ausnahmen zu meiner „Keine Bestechung“-Regel gemacht, und zwar in Situationen, die ich als Notfälle eingestuft habe – obwohl ich weiß, dass es eigentlich schlecht für das Training ist.

Wenn ein Hund ausbüxt und sich in Gefahr befindet, dann kann es hilfreich sein, mit einem Futtersack zu rascheln oder dem Hund ein besonderes Kauspielzeug zu zeigen und erst dann „Komm!“ zu rufen, damit er zurückkommt. Denn sein Abruf ist möglicherweise noch nicht gut genug, um zu funktionieren, wenn das Signal ohne Bestechung gegeben würde. Dies kann natürlich einen Rückschritt im Training bedeuten, weil der Hund beim nächsten Mal wahrscheinlich auch nur kommt, wenn wieder eine Bestechung angeboten wird. Andererseits kann das Training nach so einem „Ach-du-Sch…“-Moment nur weitergehen, wenn der Hund überhaupt überlebt, um weiter ausgebildet zu werden. Wenn das Leben eines Hundes aufgrund von Autos, Zügen, Wild oder anderen hochriskanten Situationen in Gefahr ist, kann eine Bestechung der richtige Weg sein, um den Hund zu retten und so sicherzustellen, dass er noch weitere Trainingseinheiten erlebt. Sollte dies nötig sein, müssen Sie wissen, dass Ihr Hund in der Zukunft möglicherweise nicht mehr richtig auf das Signal reagieren wird und Sie zu leichteren Situationen und Verstärkern zurückkehren müssen, um Ihr Training wieder auf Spur zu bringen. Ein Trainingsrückschritt ist kein zu hoher Preis für die Sicherheit eines Hundes, aber dies gilt nur in seltenen Ausnahmesituationen, die Sie für die Zukunft hoffentlich vermeiden können.

Ich kann mich an eine konkrete Situation erinnern, in der ich Bestechung bei meinen Kindern angewandt habe, obwohl ich genau wusste, dass dies einen Rückschritt für meine Bestrebungen bedeutete, wohlerzogene Kinder in verschiedenen Situationen zu haben. Die Kinder waren viereinhalb und sechs Jahre alt und wir waren während der Ferien gemeinsam mit der gesamten Restfamilie bei meinen Schwiegereltern zu Besuch. Immer, wenn wir alle zusammen sind (Schwiegereltern und ihre drei Söhne mit deren Frauen plus sechs Enkelkindern), machen wir ein Familienfoto. Obwohl meine Schwiegermutter heute noch unter uns weilt, war sie zu jener Zeit schwerkrank und wir mussten uns fragen, ob dies vielleicht unser letztes gemeinsames Zusammensein war. Natürlich dachten wir alle daran, als wir uns für das Foto versammelten. Meine Kinder wollten aber nicht mit auf das Bild, lächelten nicht freiwillig und waren insgesamt nicht wahnsinnig kooperativ. Zu viele Urlaubssüßigkeiten und bedeutender Schlafmangel hatten sie quengelig werden lassen und sie waren zu dem Zeitpunkt einfach nicht in der Lage, ihr bestes Benehmen vorzukehren. In Anbetracht der Sorge, dass es sich um das letzte Familienfoto von uns allen handeln könnte, wollte ich keinerlei Risiko eingehen, dass unsere Kinder auf dem Foto missmutig aussehen oder Grimassen schneiden würden. Ich nahm sie beiseite und flüsterte ihnen zu, dass jeder von ihnen eine Süßigkeit bekommen würde, wenn sie sich während dieser fünf Minuten für das Foto benehmen würden (nett lächeln, still sitzen und in die Kamera blicken). War das Bestechung? Ja, natürlich! Ist das eine gute Art, um Kindern beizubringen, gute Mitbürger zu sein? Natürlich nicht! Trotzdem denke ich, dass es in diesem Augenblick eine gute Entscheidung war. Ein Augenblick suboptimaler Pädagogik ist in meinen Augen kein zu hoher Preis für ein Familienfoto, von dem wir befürchteten, dass es das letzte sein könnte. Ich bereue nichts, aber ich hätte es ganz sicher bereut, wenn wir meine Schwiegermutter verloren hätten, bevor wir noch einmal für ein Foto zusammenkommen konnten – und meine Kinder hätten das letzte Familienfoto ruiniert.

Andere Spezies, gleiches Prinzip

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