Читать книгу Antinatalismus - Karim Akerma - Страница 154

Оглавление

Conditio in/humana

Die Schreibweise Conditio in/humana steht dafür, dass die Bedingungen des Menschseins immer auch un-menschlich sind, dass es kein Menschsein ohne Unmenschlichkeit gibt und die fortgesetzte Anwesenheit von Menschen auf der Erde nicht ohne Unmenschlichkeit vorstellbar ist. Der Ausdruck Conditio in-/humana soll ausdrücken, dass die Widrigkeiten des Daseins strukturell sind und nicht etwa nur bei dieser oder jener Person auftretend oder an ein bestimmtes politisches System gebunden. Zur Conditio in-/humana gehört, dass Menschen zwar von Natur aus Kulturwesen sind, dass sie aber gleichwohl natürliche Wesen mit einem schmerzempfindlichen und sterblichen Körper bleiben, der der Aggressivität und im schlimmsten Falle der Folter durch andere ausgesetzt ist. Regelmäßig der Aggressivität anderer ausgesetzt zu sein, ist nicht nur eine Zufälligkeit oder an geschichtliche Epochen gebunden, sondern – wie Cabrera zurecht hervorhebt –, ein Moment unseres In-der-Welt-Seins. Dies gilt auch für Krankheiten: „La enfermedad y su consecuente amenaza de dolor físico intenso, es una estructura vinculada con la condicíon humana, y no algo que les suceda a ciertas personas y no a otras.“ (Cabrera, S. 47)

Eine differenzierte Kategorisierung der Conditio in/humana bietet Müller-Lyer in seiner „Soziologie der Leiden“ (Leiden Soziologie der Leiden).

Kritik der Conditio in/humana als Kreatürlichkeitskritik

Wie Platen herausstellt, gründet die Conditio in/humana nicht erst in ungünstigen Lebensbedingungen, in die ein Mensch geraten mag, sondern bereits darin – für Platen allerdings noch gottgeschaffene –, Kreatur zu sein. Somit ist die Conditio in/humana strukturell bedingt, worauf später insbesondere der argentinische Antinatalist Cabrera hinwies:

„[…] Was wünscht ihr schmerzbewegt euch bald im Erdenschoß,

Und über Wolken bald und im Azur zu sein?

Was forscht ihr früh und spat dem Quell des Übels nach,

Das doch kein andres ist, als Kreatur zu sein?

Sich selbst zu schaun, erschuf der Schöpfer einst das All,

Das ist der Schmerz des Alls, ein Spiegel nur zu sein!“ (Platen, Werke Bd. 1: Lyrik, S. 223)

Säkularisiert man die hier von Platen vorgetragene Kreatürlichkeitskritik, so resultiert eine Elternkritik.

Zeitmodi der Conditio in/humana

Mit Bezug auf die drei Zeitmodi kann die Conditio in/humana{42} folgendermaßen analysiert und beurteilt werden:

1. Vergangenheit:

CONDITIO PATHO-HISTORICA: Jeder Mensch hat eine moralisch inakzeptable Vorgeschichte aus Konflikten, Kriegen, Seuchen und Nöten als ebenso unabdingbare wie belastende Weichenstellungen für den Beginn seiner Existenz zur Voraussetzung.

Historische Vorbelastung, Konkatenation, Neganthropie-Profiteure

2. Gegenwart

CONDITIO PRAESENTO-PATHOGENICA: Diese erlebt jeder Mensch als die ihm und seinen Zeitgenossen widerfahrenden Daseinsübel und unser aller Sterblichkeit (Thanatalität). Bei nativistischen Entscheidungen über die Verantwortbarkeit eigener Nachkommen sind diese Erfahrungen als künftige Zumutungen für Kinder ebenso zu berücksichtigen wie die Conditio patho-historica.

3. Zukunft

CONDITIO FUTURO-PATHOGENICA: Mit Bezug auf die Entscheidung über eigene Nachkommen bedeutet die Conditio futuro-pathogenica: Meine gegenwärtigen Leiderfahrungen sind die Nöte meiner Kinder morgen. Eine nüchtern vorgenommene Zeugungsfolgenabschätzung dürfte stets zu dem Schluss gelangen, dass die Generation der Kinder nicht mit weniger Daseinsnöten zu kämpfen haben wird als die Elterngeneration. Wer in Frage stellt, dass heute lebende Personen ihren morgen lebenden Kindern den aktuellen Daseinsnöten vergleichbare Probleme zumuten, kann dies allein unter Berufung auf eine bevorstehende historische Zäsur hin zum Besseren tun, wie sie den Sozialrevolutionären der Vergangenheit vorschwebte. Wobei es derzeit weder so etwas wie eine akzeptierte Menschheitsutopie, gibt geschweige denn eine anerkannte Weltplanungsinstanz für unsere Zukunft. Gleichzeitig ist unser soziales und politisches Kollektivschicksal noch weniger vorhersehbar und gestaltbar als ein Einzelschicksal, also auch noch weniger als zugemutetes verantwortbar: Es sei diesbezüglich nur an typische Leidensgroßereignisse wie Kriege, Massen-/Völkermorde, Seuchen, und immer mögliche Naturkatastrophen sowie die Erschöpfung lebensdienlicher Rohstoffe erinnert. Bei alledem ist jegliches sich in einem neuen Kind manifestierende Zukunftsvertrauen nur ein weiteres Wagnis im bisher wenig menschlich verlaufenen Gattungsexperiment.

Antinatalismus

Подняться наверх