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Anders, Günther (1902-1992)

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Gegen die antinatalistische Versuchung: Obwohl Günther Anders wie kaum ein zweiter Philosoph alle Menschen im Schatten der Atomwaffen als vernichtbar dachte, scheint ihm der Antinatalismus als Ethik vollkommen fremd geblieben zu sein. Dies erstaunt, da ein allgemeiner freiwilliger Zeugungsverzicht das sicherste Mittel wäre, Menschen vor dem Strahlentod (AbtreibungVilar). Anders indes scheint dem sich aus der Mutterschaft ergebenden Sinngewinn den ethischen Vorrang vor der Verhinderung zusätzlicher Strahlentoter einzuräumen:

„Es ist ganz in der Ordnung, dass sich die Mutter, die ihren Lebenssinn in der Aufzucht ihrer Kinder sieht, keine Zeit nimmt zu fragen, welchen Sinn denn deren Kinder einmal haben werden, und dann deren Kinder usf. Und wahrscheinlich hat sie nicht nur nicht die Pflicht, dieser absurden Gedankenkette nachzugehen, umgekehrt hätte sie, wenn sie (unbegreiflicherweise) durch die Iteration versucht würde, dieser Versuchung zu widerstehen.“ (Antiquiertheit 2, S. 389)

Allen Ernstes scheint Anders hier auszusprechen, dass eine Mutter, der in Ansehung aller aus der dritten industriellen Revolution hervorgegangenen Vernichtungswaffen Zweifel kommen, ob es sinnvoll ist, ein Kind zu zeugen – das seinerseits im Schatten der Bombe lebende Kinder zeugen wird –, die Pflicht hätte, der antinatalistischen Versuchung zu widerstehen. Anders argumentiert als Pronatalist, dem das Kind Sinnlieferant für die erziehende Mutter zu sein hat, ungeachtet der Leiderfahrungen, die das Kind durchmachen wird oder des grauenhaften Todes, den moderne Vernichtungswaffen dem Kind bescheren mögen. Kurz nach obigem Zitat formuliert Anders:

„Erkennen wir als letzten Sinn eines Produktes, an dem wir mitarbeiten, die Vernichtung der Menschheit, dann wissen wir, was wir zu tun, bzw. zu unterlassen haben. Die weitere Frage, etwa die, welchen Sinn es haben solle, dass es eine Menschheit gebe und nicht vielmehr keine, ist höchstens im Bereich der theoretischen Vernunft sinnvoll (wenn auch unbeantwortbar), für die „praktische Vernunft“ dagegen uninteressant. Den Moralisten geht sie nichts an.“ (Ant. 2, S. 390)

Anders verkennt, dass jeder einzelne Mensch auf dem Wege der Fortpflanzung sein Votum darüber abgeben kann, ob es eine Menschheit geben soll oder nicht. Die Frage, ob eine Menschheit sein soll, ist eine Frage alltäglicher Praxis, die gerade auch in Anbetracht der von Anders philosophisch durchdrungenen Massenvernichtungsmittel verneint werden sollte. Er selbst verlangt, Arbeiter, Wissenschaftler und Techniker sollten sich der Frage nach dem letzten Sinn ihres Tuns nicht verschließen, auch wenn sie dies vorerst eine „Zumutung“ nennen würden. „Da es seit 1945 um das „to be or not to be“ der Menschheit geht, ist es wahrhaftig nicht zu teuer bezahlt, wenn man sich durch diese „Zumutung“ der Lächerlichkeit aussetzt.“ (Ant. 2, 390) Der blinde Fleck des Moralisten Anders besteht darin, dass er die fremdnützig sinnstiftende Zeugung weiterer Menschen auch nach 1945 noch befürwortet und ihnen den jederzeit über sie kommen könnenden Strahlentod zumutet.

Von einem hohen Staatsbeamten verlangte Anders in Ansehung der imminenten (!) Katastrophe mehr Einbildungskraft und schlägt zur Stützung fehlender Einbildungskraft einen drastischen Film vor. Gleichwohl denkt er nicht daran, die Empfehlung auszugeben, der bevorstehenden Katastrophe die sie erlebenden Menschen dadurch zu entziehen, dass man sie gar nicht erst hervorbringt:

„Rundfunk. Sehr hoher Staatsbeamter plaudert über Kernkraftwerke und Atommülldeponien. Der Plauderer stellt sich die imminente Katastrophe genauso wenig vor, wie die Millionen sich die geschehenen Katastrophen Auschwitz oder Hiroshima vorstellen. Die Erziehung dieser Unfähigen – und das heißt stets: „Unwilligen“ – muss ebenso in die Hand genommen werden wie die der Trauerunfähigen. Und ein Film „The Holocaust of tomorrow“ wäre fällig.“ (Ketzereien, S. 15) Freilich wäre dieser Film sorgfältig so zu gestalten, dass möglichst viele Menschen ihre progenerativen Pläne revidieren.

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