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Antinatalismus, christlich-theologischer
ОглавлениеEine theologisch larvierte Form des Antinatalismus findet sich in Johann Friedrich Weitenkampfs 1754 veröffentlichtem Buch „Lehrgebäude vom Untergang der Erde“. Weitenkampf geht der unter christlichen Vorzeichen nur zu berechtigten Frage nach, wie es sein könne, dass Gott die Welt nach einem nur wenige Jahrtausende währenden Bestand in einer Apokalypse vernichten wird. Seine erstaunliche Antwort auf diese Frage lautet, Gott werde nicht die gesamte materielle Welt vernichten, sondern „bloß“ dafür Sorge tragen, dass die Erde für die Fortzeugung des Menschen unwohnlich wird. Auf diese Weise konstruiert Weitenkampf eine Theodizee, in der der gute Weltschöpfer von dem Vorwurf entlastet wird, er plane von jeher die Zerstörung der Welt. Flankiert wird dies mit einer Entlastung des als gütig gedachten Schöpfers, der sich bislang nachsagen lassen musste, er sei grausam, da er die Zahl der verdammten Seelen so groß werden lassen will, „dass sie alle menschliche Vernunft übersteiget…“ (zit. nach Blumenberg, Selbsterhaltung und Beharrung, S. 194) Da die Mehrheit aller Menschen zu ewiger Höllenstrafe prädestiniert sei (Massa damnata) und „da ferner keine Hoffnung vorhanden ist, dass sich das menschliche Geschlecht jemals ändern werde“ (a.a.O., S. 195), steht nach Weitenkampf zu erwarten, dass Gott die Zahl der Verdammten aus Mitleid mit den Ungeborenen einschränken wird, indem er das Weltgericht eher früher denn später kommen lässt, auf dass Menschen sich auf Erden nicht mehr fortpflanzen können (für Näheres siehe Blumenberg, Selbsterhaltung und Beharrung, S. 194ff). Dieser bei Weitenkampf anzutreffende christlich-theologischen Antinatalismus lässt sich problemlos in eine Säkularform transponieren: Da wenig Hoffnung besteht, dass die menschliche Geschichte einmal ganz anders verlaufen wird, wäre es grausam, immer weitere Menschen hervorzubringen und damit die Zahl derjenigen, die gelitten haben, ins Unermessliche steigen zu lassen.
Höllenrisiko