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Antirealismus und historische Positivitätsblendung

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Im Zuge einer umfassenden Negativitätsaufbereitung tendieren Menschen nicht nur dahingehend, rückblickend den eigenen Lebenslauf optimistisch zu verzerren, sondern die Menschheitsgeschichte insgesamt. Je nachdem, wie sie die bisherige Geschichte beurteilen, teilt Terry Eagleton (*1943) die Menschen in zwei Gruppen ein und legt ein antinatalistisches Teilbekenntnis ab: „Moralisch betrachtet lassen sich die Menschen im Grunde danach unterscheiden, ob sie anerkennen oder nicht, dass die Geschichte bislang überwiegend aus Blutvergießen und Despotismus bestand, dass Gewalttätigkeit für unsere Spezies weit charakteristischer war als zivilisiertes Verhalten und dass viele Menschen, die auf unserem Planeten geboren wurden, weit besser gefahren wären, wenn ihnen das Licht der Welt erspart geblieben wäre.“ (Eagleton, Das Böse, S. 188f)

Denkt man Eagletons antinatalistisches Teilbekenntnis weiter, so ergibt sich ein genuiner Antinatalismus: Selbstverständlich wäre es nicht den Menschen besser gegangen, wenn sie niemals zu existieren begonnen hätten, sondern der Lauf der Geschichte wäre weniger schlecht gewesen, wenn weniger Menschen gelitten hätten. Soweit Eagletons partieller Antinatalismus. Nehmen wir jetzt die Zukunft in den Blick, so vermögen wir nicht anzugeben, die Kinder welcher Eltern derart leiden würden, dass Eagleton sagen würde, man hätte ihnen „das Licht der Welt“ besser erspart. Hieraus folgt jedoch, dass jede Person aus Vorsicht gut daran tut, eine etwaige pronatale Entscheidung zu revidieren.

Eagletons Einteilung der Menschen ist bipolar. Denker wie Stephen Pinker mit seinem Buch „Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit“ behaupten, dass Blutvergießen im Zuge unserer Geschichte und insbesondere mit dem neuzeitlichen Zivilisationsprozess beträchtlich zurückgegangen sind. Zu Beginn der Neuzeit ereignet sich das von der westlichen „Zivilisation“ auf der Suche nach Gold und Silber ausgehende große Sterben in Mittelamerika mit zig Millionen Toten.{19} Wohl möchte Pinker sagen, dass es mit fortschreitender „Zivilisation“ immer weniger Menschen gibt, die „weit besser gefahren wären, wenn ihnen das Licht der Welt erspart geblieben wäre“? Selbst wenn wir hier von den weithin bekannten Großkatastrophen des 20. Jahrhunderts absehen und uns an weniger bekannte und doch ungeheuer mörderische Großkatastrophen scheint dies fraglich. Wir nennen hier nur die Resolution 661 des UNO-Sicherheitsrates vom 6. August 1990, mit der ein umfassendes Wirtschaftsembargo gegen den Irak in Kraft trat, das sich auf Medikamente, Impfstoffe und Chlor zur Wasseraufbereitung erstreckte, sodass mehr als eine Million Iraker infolge der Sanktionspolitik sterben mussten (siehe etwa Michael Lüders, Wer den Wind sät, S. 43f). Als Zweites erwähnen wir die Kongokriege Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts mit mehreren Millionen Toten.

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