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ОглавлениеArmut und Antinatalismus
Für Griechenland und vielleicht sogar weite Gebiete des römischen Reiches stellt Jacob Burckhardt heraus, dass man einmal geborenen Kindern das größte Übel der Armut nicht zumuten mochte und Kinder, denen dieses Los beschieden gewesen wäre, nicht aufzog:
„Aus der frühern Kaiserzeit ist dann auf einmal bei Plutarch eine Nachricht vorhanden, welche auch auf die ganze Vergangenheit ein grelles Licht wirft: »Die Armen ziehen die Kinder nicht auf aus Besorgnis, dieselben möchten ein elenderes Leben führen als billig ist, geknechtet, ohne Erziehung, ohne alle Teilnahme am Schönen; denn die Armut halten sie für das äußerste aller Übel und bringen es nicht über sich, den Kindern diese große und schreckliche Krankheit mitzugeben.« Man kann nun fragen, in welcher Ausdehnung dies zu nehmen sei; gewiß sind nicht bloß die Armen von Chäroneia oder von Böotien gemeint, eher die von Griechenland überhaupt, und vielleicht erstreckte sich diese Übung sogar über weite Lande des damaligen römischen Reiches. Neben der Tatsache aber spricht hier noch einmal so deutlich als möglich die Denkweise des Pessimismus, wenn auch nur desjenigen einer bestimmten Klasse.“ (Burckhardt, Zur Gesamtbilanz des griechischen Lebens. GW, Band 6, S. 379) Wir können nur mutmaßen und hoffen, dass sich damals wie heute im Falle vorhersehbarer Armut möglichst viele armutsbedrohte Personen gegen die Elternschaft aussprachen, damit bedauernswerte Kinder gar nicht erst zu existieren begannen.
Kinder als Armutspuffer
In stärkstem Gegensatz zu der von Burckhardt herausgestellten Haltung äußert sich der algerische Autor Boualem Sansal, der hier versucht, die Perspektive armer Kinder einzunehmen:
„Ohne Kinder ist die Armut nur Elend, ein furchtbarer Schmerz, der schweigend und reuevoll durchgestanden werden muss. Die Armen haben Kinder nötiger als Brot. Wir wussten das und waren stolz auf unsere alten Eltern, die uns so zahlreich gezeugt hatten und mehr als alles andere unser alltägliches Glück anstrebten.“ (Sansal, Rue Darwin, S. 31) Hier erteilen kindliche Opfer ihren Daseinstätern Absolution für die Perpetuierung einer Armut, die so schlimm nicht sein konnte, wenn es möglich war, Tag für Tag mit Glück auszukleiden. Infam bleibt es, das Risiko einzugehen, den „furchtbaren Schmerz“ der Armut an eigene Kinder weiterzugeben.