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Kerstin Holmbergs Freundin

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Auch der Sommer 1973 war ungewöhnlich warm und durstig, so daß den Leuten in Lund die Kleider am Leibe klebten.

Cecilia Hard wäre gern in ein Ferienparadies gereist, um einen schönen Urlaub zu verbringen, oder wenigstens täglich zu einem Badestrand in der Nähe der Stadt geradelt, wo sie das erfrischende Wasser und die Sonne hätte genießen können.

Cecilia Hard war zweiunddreißig Jahre alt, unverheiratet und bewohnte in der Gyllenkroksallee zwei Zimmer mit Küche. Zu der Wohnung gehörten auch ein Badezimmer und ein großer Schrank auf dem Dachboden.

Cecilia Hard war sehr einsam. Gemäß den Schönheitsregeln mußte sie als häßlich gelten.

Seit zwei Jahren wohnte sie in der Gyllenkroksallee. Sie arbeitete als Schreibkraft in einem Büro. Es gefiel ihr in Lund ganz und gar nicht. Sie wäre gern in eine andere Stadt gezogen, wenn sie nur die geringste Hoffnung gehegt hätte, daß sich ihre Lage dort bessern würde.

Nein, sie machte sich keine Illusionen; sie hatte es längst aufgegeben, etwas zu erhoffen.

Eine alte Tante von ihr lebte in Lund. Insofern hatte sie Gesellschaft, wenn die Einsamkeit allzu drückend wurde.

Sehr oft sahen sich die beiden allerdings nicht. Cecilia besuchte ihre Tante nur ab und zu. Aber es stand ihr frei, dorthin zu gehen, wenn sie wollte, da sie einen Schlüssel zu der Wohnung hatte. Hingegen besuchte die Tante Cecilia nie.

Cecilia war im Lauf der Zeit menschenscheu geworden. Sie hatte sich zu einer Einsiedlerin entwickelt.

Martin und Kerstin Holmberg wohnten nebenan in der Gyllenkroksallee.

1973 – das war der Sommer, in dem Kerstin nicht berufstätig war, weil sie die Zwillinge Maria und Magdalena erwartete, die im Herbst zur Welt kamen. Da sie sich um ihr Töchterchen Inger zu kümmern hatte, fand sie genug zu tun.

Kerstin ging oft mit Inger spazieren. Sie wollte die schönen Tage ausnutzen. Sie war gern an der frischen Luft.

Auch Inger liebte es, im Freien zu sein.

Zu ihrem Haus gehörte zwar ein Garten mit Rasen und zwei Bäumen, aber die hohen Häuser ringsum schlossen die Sonne fast vollständig aus.

Gegenüber der verkehrsreichen Straße lag der Stadtpark.

Dort hielten sich Kerstin und Inger häufig auf.

Es gab Rasenflächen, die man betreten durfte, ringsum Bäume und Sträucher, viele farbenprächtige Blumen, einen kleinen Teich mit richtigem Vogelleben, Bänke zum Ausruhen und Kinderspielplätze.

Es fiel Kerstin auf, daß eine ungefähr gleichaltrige Frau oft auf einer der Bänke saß.

Kerstin war schlank und langbeinig, hatte lange, grazile Hände und dichtes dunkles Haar. Sie war unbedingt eine schöne Frau. Die Männer drehten sich nach ihr um und musterten ihre Beine und Hüften. Ihre Blicke verloren die erotische Begeisterung etwas, wenn sie die Schwangerschaftsrundung gewahrten.

Manche dachten dann: Eine solche Frau sollte niemals Mutter werden.

Ihr selbst bekam es ausgezeichnet, Mutter zu sein.

Inger war nicht ihr erstes Kind.

Eine jugendliche Verliebtheit mit siebzehn Jahren hatte einen Sohn zur Folge gehabt, den sie hatte adoptieren lassen müssen.

Sie war glücklich, daß sie nun Inger hatte, und sie freute sich, wieder ein Kind zu bekommen.

Ihr Mann war Kriminalinspektor und stand dem Dezernat für Gewaltverbrechen vor. Auch Martin hatte Kinder gern. Vor Ingers Geburt hatte ihn der Gedanke, Vater zu werden, ein wenig erschreckt. Aber Inger hatte ihn verzaubert und etwas in ihm zum Leben erweckt.

Seine Furcht erklärte sich dadurch, daß seine erste Frau, Sylvia, einen totgeborenen Sohn zur Welt gebracht hatte.

Jetzt freute sich Martin, daß sich seine Familie vergrößern sollte. Am liebsten hätte er einen Sohn gehabt.

Als dann die beiden Mädchen geboren wurden, war es ihm auch recht. Doch dieses Ereignis trat erst im Herbst ein.

Jetzt war es Sommer, ein sehr warmer Sommer.

Die Frau auf der Bank sah einsam und verlassen aus, fand Kerstin. Irgendwie kam sie ihr bekannt vor.

Die Frau hatte einen dichten roten Haarschopf, der das runde Gesicht umrahmte. Sie trug eine Brille mit sehr starken Gläsern, so stark, daß man die Augen kaum sehen konnte. Die Nase war ein dicker Knubbel. Sie hatte eine leichte Hasenscharte und ein spitzes Kinn.

Sie saß zusammengesunken auf der Bank, mit krummem Rücken und dicken, kurzen Beinen. Auf ihrem Schoß lag ein Buch, das sie las.

Nachdem sie einander täglich gesehen hatten, grüßten sie sich etwa wie zwei Menschen, die sich jeden Tag im Autobus treffen.

Die Frau saß immer auf derselben Bank in der Nähe des Ententeiches.

Sie schien jeden Tag ein anderes Buch zu haben.

Sie muß eine Leseratte sein, dachte Kerstin und setzte sich eines Tages kurzerhand neben sie auf die Bank.

Inger vergnügte sich damit, Steine nach den Enten zu werfen.

„Inger!“ rief Kerstin. „Hör sofort damit auf! Das haben die Enten nicht gern. Sie werden böse auf dich.“

„Die Enten haben mich angequakt“, rechtfertigte sich Inger entrüstet.

Kerstin lachte. „Mach dir nichts daraus. Quak zurück, aber laß es sein, sie mit Steinen zu bewerfen. Was würdest du sagen, wenn die Enten damit anfingen, dich zu bewerfen?“

„Ich habe sie aber nicht angequakt.“

„Tu’s nur!“

Inger ahmte die Enten nach.

„In dem Alter sind Kinder drollig“, sagte Kerstin zu der Frau.

„Hmmm ... “ Die Frau blickte nicht auf.

„Voriges Jahr war sie noch so brav.“

„Sie werden halt immer lebhafter.“

„Ja, das stimmt. Schön, daß wir diesen Park haben. Hier ist alles grün, und man findet Ruhe.“

„Hmmm ... “ Die Frau las weiter.

Tag für Tag saß sie auf der Bank, und Kerstin bemühte sich, die Mauer zu durchbrechen.

„Haben Sie Ferien?“ fragte sie eines Tages.

„Ja, aber bald sind sie zu Ende.“

„Daß Sie in der Stadt geblieben sind ... Wollten Sie nicht verreisen? Ans Meer oder sonstwohin ... “

Die Frau erstarrte und zuckte die Schultern. „Ach, es gefällt mir hier in der Stadt.“

„Nun ja, gegen Lund ist nichts zu sagen. Trotzdem wäre ich ans Meer gereist, um zu schwimmen, wenn die Schwangerschaft nicht wäre.“

„Ja, natürlich. Es wäre eine schöne Erholung.“

„Eigentlich ulkig“, sagte Kerstin. „Da treffen wir uns jeden Tag und kennen uns nicht einmal beim Namen. Ich heiße Kerstin Holmberg.“

„Cecilia Hard.“

„Nennen Sie sich vielleicht Cilla?“

„Nein. Wie kommen Sie darauf?“ Das klang erstaunt.

„Ach, ich dachte nur ... Ich dachte, vielleicht nennen Sie sich so.“

Mit diesem Gespräch schlossen sie nähere Bekanntschaft, richtiger gesagt, Cecilia begann aus ihrem Panzer zu kriechen.

Das geschah endgültig, als Kerstin tags darauf sagte: „Es kümmert micht nicht, was andere sagen, ich werde Sie Cilla nennen. Das ist einfacher, und es klingt persönlicher.“

„Dann werde ich Sie Kajsa nennen.“ Cecilia kicherte.

„Kajsa? Warum gerade Kajsa?“

„Warum nicht? Das klingt ... persönlicher.“

Beide mußten lachen. Bald stellten sie fest, daß sie nebeneinander wohnten.

Kerstin schlug Cecilia vor, mit ihr heimzukommen und eine Tasse Kaffee zu trinken.

„Darf man denn Kaffee trinken, wenn man ein Kind erwartet?“

„Man muß nur Maß halten.“

„Ich dachte, es wäre schädlich. Das habe ich irgendwo gelesen.“

„Inger hat es jedenfalls nicht geschadet. Außerdem ist sie selbst ganz wild auf Kaffee. So klein sie auch noch ist ... “

„Was sagen Sie? Sie trinkt Kaffee?“

Sie trafen sich weiter auf der Bank im Park, ausgenommen samstags und sonntags, wenn Martin keinen Dienst hatte. Dann ging er mit Frau und Kind spazieren, oder sie unternahmen einen kurzen Ausflug.

Aber werktags waren sie Cilla und Kajsa.

Aus irgendeinem Grunde erzählte Kerstin ihrem Mann nicht, daß sie eine Freundin gefunden hatte. Sie wußte selbst nicht, warum sie es unterließ.

Vielleicht lag es daran, daß es ihn nichts anging. Es war eine Angelegenheit zwischen Cilla und Kajsa, eine reine Frauensache.

Oder vielleicht lag es daran, daß ihr Cilla so leid tat. Kerstin wollte sie nicht ausliefern.

Je öfter sie sich trafen, je mehr sie sich miteinander unterhielten, desto mehr vertrauten sie einander an.

Cecilia Hard arbeitete als Schreibkraft in einem Büro, wo es ihr nicht gefiel. Aber sie war so schwermütig und pessimistisch, daß sie sich nicht nach einem anderen Arbeitsplatz umsah. Sie war überzeugt, daß es anderswo nicht erträglicher sein würde.

Darum nahm sie alles hin und litt stumm.

Sie verschloß sich und fühlte sich nur als halber Mensch.

Der Chef nutzte sie aus. Sie mußte für ihn Besorgungen machen, die er gut selbst hätte erledigen können – Zigaretten kaufen, Kaffee kochen, einen Imbiß zubereiten, zum Warenhaus laufen und ihm alles besorgen, was er brauchte.

Sie hatte doch ihre eigentliche Arbeit zu machen. Aber da sie dauernd mit anderen Dingen in Atem gehalten wurde, fiel es ihr schwer, sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Immer wieder wurde sie unterbrochen und aus dem Gleis geworfen. Einige ältere Damen in ihrer Abteilung sahen sie mit scheelen Blicken an. Von ihnen wurde sie bei der geringsten Kleinigkeit geschurigelt.

Sie sei faul, hieß es. Sie sehe ungepflegt aus. Sie wolle sich beim Chef einschmeicheln.

Sie lachten Cecilia wegen ihrer Kleidung aus.

Bei jeder Gelegenheit wurde sie persönlich angegriffen.

Es artete in seelische Quälerei aus.

Wenn sie niedergeschlagen aussah, wurden ihr Trübsinn und Beleidigtsein vorgeworfen.

Es brauchte ihr nur ein Bleistift aus der Hand zu fallen, und schon verspottete man sie wegen ihrer Ungeschicklichkeit. Niemand mochte sie.

Dabei gab sie sich alle Mühe, dem Chef zu Diensten zu sein, und strampelte sich für ihn ab. Sie war im Büro eine Sklavin, eine Aufwartefrau.

Sie litt an Beschwerden, die rein seelischer Ursache waren und vom Streß herrührten: an Kopfweh, Magenschmerzen und Weinkrämpfen.

Mitunter erfaßte sie ein solches Gefühl der Hoffnungslosigkeit, daß sie sich den Mut wünschte, den ganzen Kram hinzuschmeißen. Merkwürdigerweise hatte sie nie Selbstmordgedanken.

Vielleicht waren es die Bücher, die ihr doch einen Lebensinhalt gaben.

Cecilia las leidenschaftlich gern. Sie las alles und jederzeit, wenn sie nur eine Minute erübrigen konnte. Es kam vor, daß sie bis in die späte Nacht hinein las, so daß sie morgens beinahe verschlief und in aller Eile aufstehen mußte, um noch beizeiten ins Büro zu kommen, wo dann der trostlose Alltag sie von neuem bedrängte.

Aus den Büchern erfuhr Cecilia, daß es trotz allem Menschen gab, die sich in einer noch schwierigeren Lage befanden als sie selbst.

Der Sommer verging, und es kam der Tag, an dem Cecilias Urlaub zu Ende war.

Plötzlich saß auf der Bank im Park keine rothaarige, häßliche Frau mehr.

Dennoch trafen sie sich immer noch ab und zu.

Eines Abends faßte Kerstin den Entschluß, zu Cecilia hinüberzulaufen, während Inger schlief.

„Wohin willst du?“ fragte Martin.

„Nur schnell zu einer Bekannten“, antwortete Kerstin.

„Zu wem denn?“

„Ach, zu einer Freundin, die nebenan wohnt.“

Mehr bekam Martin vorerst nicht zu wissen.

Im Spätsommer und Herbst war Cecilia Hard für Martin lediglich „die Freundin nebenan“.

Aber im folgenden Frühjahr rückte Cecilia auf eine Art und Weise in den Blickpunkt, die sich diese menschenscheue Frau niemals hätte vorstellen können.

Triumph der Gewalt

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