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Die vier Gewalttaten Im Frühling

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Magnus Pettersson war klein und körperlich schwach. Im Jahr 1970 wurde er zwölf.

1965 war seine Mutter begraben worden. Sein Vater mußte fünf Tage in der Woche von sieben bis siebzehn Uhr auf dem Bau arbeiten. Samstags und sonntags war er selten nüchtern. Es war als notwendig erachtet worden, ihm das Sorgerecht für den Sohn zu entziehen.

Magnus wurde in Pflege gegeben.

Die Pflegeeltern waren liebe Menschen. Sie hatten nie ein eigenes Kind gehabt und konnten sich gar nicht genug an liebevoller Güte tun. Wahrscheinlich verwöhnten sie Magnus mehr, als sie es bei einem eigenen Kind getan hätten.

Von seiten der Pflegeeltern war das Verhältnis zwischen ihnen gut. Aber vom Standpunkt des Kindes war es ziemlich sonderbar und gekünstelt, fast eine Quelle der Gereiztheit. Er wurde eher wie eine Puppe als wie ein Kind behandelt. Er wurde verzärtelt, und das empfand er als Belastung.

Aber andrerseits sagte ihm dieser Zustand zu, und er merkte bald, wie er die Güte seiner Pflegeeltern ausnutzen konnte. Er bekam alles, was er wollte. Er brauchte nur einen Wunsch zu äußern, und schon wurde er ihm erfüllt. Sie brachten es nicht über sich, nein zu sagen.

Oft spürte Magnus, wie sehr ihm seine richtige Mutter fehlte. Doch die Erinnerung an sie verblaßte mit der Zeit, die wahre Erinnerung, wohlgemerkt. Er vergaß seine Mutter nicht, aber das wahre Bild wurde von einem Heiligenbild ersetzt.

Die Mutter wurde ein Engel, ein wunderbarer Mensch, mit dem es niemand aufnehmen konnte.

Das wahre Bild, das Magnus verdrängte, zeigte eine versoffene, liederliche Frau, die sich aus ihrem Sohn nichts gemacht und sich kaum um ihn gekümmert hatte.

Mit der Erinnerung an den Vater gab sich Magnus nicht ab. Davon hatte er sich bewußt befreit.

Sie waren nie miteinander ausgekommen.

Nicht etwa, daß der Vater ihn geprügelt hätte oder sonstwie handgreiflich geworden wäre. Er hatte sich nur nicht mit dem Jungen abgegeben.

Die Erklärung war vielleicht darin zu suchen, daß der Bauarbeiter Pettersson nicht der richtige Vater des Knaben war. Er hatte mit dem Hurenbalg, wie er sich ausdrückte, möglichst wenig zu tun haben wollen.

Die alkoholgeschädigte Mutter war oft aggressiv zu ihrem Kind gewesen, dessen Vorhandensein ihrer Ansicht nach ihr den Mann entfremdete.

Vor Magnus’ Geburt waren die beiden recht gut miteinander ausgekommen. Sie hatten es gemütlich gehabt, wenn sie zusammen Alkohol tranken. Da konnten sie eine oberflächliche gegenseitige Zuneigung entfalten.

Einmal hatte der Vater einige Arbeitskameraden zu sich nach Hause eingeladen. Es wurde ein feuchter Abend, und zu später Stunde taumelten alle bis auf einen heim. Sie tranken weiter, der Bauarbeiter, seine Frau und der Kollege.

Schließlich schlief Pettersson auf seinem Stuhl ein.

Magnus war das Ergebnis dieses Abends.

Die Pflegeeltern wollten, daß Magnus es gut hatte und seinen düsteren Erinnerungen entwuchs. Sie meinten es gut, aber für Magnus war es bereits zu spät. Nach seiner Meinung waren seine Pflegeeltern an seiner Lage schuld.

In der Schule wurde er gehänselt, weil er klein und schwächlich war und nicht in normalen Verhältnissen aufwuchs.

Zu Hause sprach er nie davon, daß er von seinen Schulkameraden verspottet wurde. Aber als er sieben Tage hintereinander mit Leidensmiene, blutverschmiert und abgerissen nach Hause kam, beschlossen seine Pflegeeltern, ihn um jeden Preis zum Reden zu bringen.

Schließlich kam es heraus. Doch nachdem Magnus berichtet hatte, schämte er sich, daß er sich das Geständnis hatte entlocken lassen. Und er schämte sich seiner Kleinheit.

Der Pflegevater setzte sich am selben Abend hin und schrieb dem Rektor einen Brief.

In dem Brief beschwerte er sich über die Mißhandlungen und teilte dem Rektor mit, was Magnus berichtet hatte.

Die Schulkameraden zerrten ihn in die Toilette und zwangen ihn, zu rauchen. Wenn er ihnen nicht gehorchte, verprügelten sie ihn.

Magnus bekam regelmäßig Taschengeld. Die andern Kinder nahmen es ihm weg. Wenn er es nicht freiwillig hergab, bedrohten sie ihn mit Taschenmessern, mit denen sie wütend vor seinem Gesicht herumfuchtelten.

Nach der Turnstunde ergötzten sich die Buben daran, ihm mit dem Handtuch einen Peitschenschlag nach dem andern ans Bein zu versetzen. Beim Schwimmunterricht hielten sie seinen Kopf unters Wasser, einmal so lange, daß ihm schwarz vor den Augen wurde.

Im Grunde fürchtete sich Magnus, zur Schule zu gehen. Trotzdem hatte er nie geschwänzt.

Der Rektor sorgte dafür, daß der Schulinspektor diesen Brief nicht zu sehen bekam, und rief Magnus zu sich.

Er fragte ihn, was für einen Unsinn er da seinen Pflegeeltern erzählt habe. „Willst du wirklich behaupten, daß derartige Dummheiten in meiner Schule vorkommen?“ fuhr er den Jungen an.

Darauf erzwangen die Pflegeeltern ein Gespräch mit dem Rektor, dem Klassenlehrer, dem Schulpsychologen und dem Berufsberater.

Die Sache kam der Presse zu Ohren – auf welche Weise, erfuhr man nie.

„Nach der Unterredung erklärten die Pflegeeltern, sich nicht mit den Maßregeln zufriedenzugeben, die die Schule treffen wird“, sagte der Rektor einige Tage später in einem Zeitungsinterview. „In jeder Schule besteht eine gewisse Neigung zu Pöbeleien. Wir tun, was wir können, sie beizeiten aufzudecken und einen Riegel vorzuschieben. Unter anderm werden die Schüler in der Pause auf dem Hof stets beaufsichtigt. Ich bin aber leider überzeugt, daß wir nur einen geringen Teil der Pöbeleien verhindern können. Es ist unmöglich, die heutige Verrohung von der Schule fernzuhalten. Dahin hat die Entwicklung leider geführt.“

„Meinen Sie damit, Herr Rektor, daß es früher derartige Vorfälle nicht gegeben hat?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

Natürlich wurde daraus kein Fall für die Polizei.

Im übrigen war 1970, im ganzen betrachtet, ein recht gutes und angenehmes Jahr in Lund. Das neunhunderfünfzigste Jubiläum der Stadt wurde auf alle mögliche Weise gefeiert. Magnus Petterssons erste Berührung mit der Polizei sollte sich erst viel später in seinem Leben ergeben.

Triumph der Gewalt

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