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Im Winter
ОглавлениеDer Winter 1971/72 war der trübste und nebeligste, den man in dieser Gegend seit Menschengedenken erlebt hatte. Allerdings zog mitten im Oktober ein Schneesturm über Lund, und fast eine Woche lang lag der Schnee einen halben Meter hoch. Dann aber kam das Elend: der Nebel.
Von Anfang November bis Ende Februar weigerte sich die Sonne eigensinnig, sich sehen zu lassen.
In Lund gab es nur Nebel, Sprühregen, Gräue und unangenehm rauhe Luft. Den Menschen, die zu Erkältungen und Rheuma neigten, ging es schlecht.
Kriminalinspektor Martin Holmberg litt wegen der Luft unter Beschwerden.
Im Februar wurde Roger Andersson dreizehn Jahre alt. Seine Luftröhrenbeschwerden verschlimmerten sich in dieser Zeit.
Martin Holmbergs Leiden war allergischer Art und weniger schlimm. Roger hatte mehr auszustehen.
Die Tatsache, daß es ihm schwerfiel, sich die Lungen richtig mit Luft zu füllen, machte ihn mitunter apathisch. In den schwermütigsten Stunden haderte er mit dem Schicksal, weil er sich benachteiligt fühlte. Dann wurde er ein ziemlich streitsüchtiger, schwieriger und aggressiver Junge.
Rogers Mutter, Ulla, war unverheiratet und dreiunddreißig Jahre alt.
Seinen Vater hatte Roger nie kennengelernt; er wußte nicht einmal, wer es war.
Ulla wußte es natürlich, aber sie hatte ihn in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr gesehen.
Ulla Andersson war früher rauschgiftsüchtig und Alkoholikerin gewesen.
Es war ihr gelungen, sich von den schlechten Kreisen, in denen sie verkehrt hatte, zu lösen und dem Laster zu entsagen. Sie arbeitete als Verkäuferin in einem Warenhaus und lebte mit ihrem Sohn zusammen in einer modernen Zweizimmer-Wohnung, deren Miete für sie eigentlich zu hoch war. Ulla Andersson hatte es schwer, Freunde zu finden.
Die Nachbarn schnitten sie und zeigten ihr die kalte Schulter. Einer der Gründe war sicher der Umstand, daß Ullas alte Freunde sie aufzusuchen pflegten, wenn sie in eine Klemme gerieten. Dann bewirtete sie sie und half ihnen. Sie wußte selbst, daß es nicht richtig von ihr war.
Die meisten, fast alle, die Ulla aufsuchten, waren zwielichtige Erscheinungen. Schließlich waren es die einzigen Menschen, mit denen sie Umgang hatte.
Sie verführe die Jugend, Rauschgift zu kaufen, munkelten die Nachbarn.
Sie habe immer nur mit Männern zu tun, die viel jünger seien als sie, meinten einige Nachbarsfrauen.
Ulla verfiel aufs neue dem Alkohol. Sie begann ihre Arbeit zu vernachlässigen und verfiel in tiefe Depressionen.
Ihr Zustand steckte Roger an.
Nach der Schule ging Roger oft in ein Freizeitheim.
Sowohl hier als auch in der Schule wurde er von den andern Kindern gemieden, die ihre Eltern schlecht von seiner Mutter reden hörten.
Er entwickelte sich bald zu einem streitsüchtigen, schwierigen Problemkind.
Er wollte der harte Anführer einer wilden Bande werden. Schließlich setzten die Eltern der anderen Kinder es durch, daß er von dem Freizeitheim ausgeschlossen wurde. Man könne nicht mit ihm fertig werden, hieß es.
Manchmal lehnte sich Roger gegen Ullas Lebensweise, gegen ihren Rückfall auf. Dann kamen seine Enttäuschung und seine eigene Verzweiflung zum Ausdruck. Aber meistens zeigte er seine Gefühle nicht.
Statt dessen erklärte er sich solidarisch mit seiner Mutter, und seine Erbitterung zeigte sich darin, daß er sich von seinem Lehrer und den Kameraden in der Schule und im Freizeitheim lossagte.
Zu Hause wurde er ein Plagegeist für die übrigen Bewohner. Er hustete im Treppenhaus so laut, daß es widerhallte, und er gab erst Ruhe, wenn eine Tür aufgerissen wurde und eine Frau ihn anschrie, er solle gefälligst Ruhe halten. Die Mitbewohner wußten nichts von seinem chronischen Luftröhrenkatarrh.
So kam es, daß sich Rogers Abscheu gegen die Gesellschaft schon in früher Jugend entwickelte und eines Abends im Frühjahr 1972 ihn dazu trieb, an allen Fahrrädern, die im Hof standen, den Sattel zu zerschneiden.
Sonderbarerweise wurde Roger von keinem als der Übeltäter verdächtigt.
Sonst hätte er sicher mit der Polizei Bekanntschaft geschlossen. Dazu sollte es erst zwei Jahre später kommen.