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Kapitel 10
ОглавлениеDie Reise beginnt – Berlin, Türkei, Iran
Es war kalt im Zug. Hinter mir betrat irgendjemand mein Abteil, aus den Augenwinkeln gesehen wohl ein Türke. Der Zug fuhr los, ein merkwürdiges Gefühl. Das war tatsächlich ich der da stand, aber der fühlte sich gut, jedes Bild, jeden Baum, jeden Menschen auf dem Bahnsteig in sich aufsaugend, ein kleines Kind das mit großen Augen in einer riesige Welt blickt.
Ich konnte nicht weg vom Fenster. Die DDR, eine gefrorene Landschaft, Eis und schneebedeckt, Bäume die bizarr überlebten, Dörfer die an mir vorbeizogen mit dampfenden Autos und dampfenden Menschen in der Ferne. Dann das eine Wort in mir, wiederhallend:
„Waldvogel.“
Diese drei Stunden, mit Anne und Waldvogel, auf dem Teppich, zwei Jahre rückwärts.
„Oh mein Gott.“
Und Tränen überfluteten mich da am Gangfenster. Ich konnte sie nicht stoppen.
Februar 1978 verlasse ich Deutschland, werde den Rest meines Lebens da draußen verbringen, irgendwo in der Welt. Da draußen auch sterben. Das konnte doch gar nicht sein. Ist dieser 10 Februar 1978 der Tag? Konnte das dieser Tag sein? Ich hatte den Typen total vergessen, abgebucht in mir als kleines Ereignis ohne Konsequenzen. Das war wohl vielleicht falsch. Und die Tränen liefen und es wurde langsam peinlich, ein weinender Mensch am Fenster, während andere mit ihren Koffern an mir vorbei drängten, auf der Suche nach einem Sitzplatz. Das wollte ich denen nicht zeigen. Das war mein Moment. Ich versuchte die Tränen wegzuwischen, mich auf die Landschaft zu konzentrieren, Kontrolle zu bekommen.
So! Das war also meine große Reise - oder vielleicht doch nicht? Vielleicht mein letzter Blick auf Deutschland, mit Tränen, mit Erinnerungen an M. in Herten, meine Freunde in Oberhausen, Anne irgendwo in Berlin mit ihrem Russisch-Studium. Ich liebte das alles. Konnte es sein das ich das alles jetzt zurücklasse, mein geliebtes Deutschland, mit all seinem Scheiß?
„Ich bin auf dem Weg. So sei es dann.“
Ich wartete bis diese Wasser in mir versiegten. Innerlich gefasst ging ich zurück in mein Abteil, den anderen Menschen da zu sehen. Hoffentlich war der nett.
Ein älterer Türke packte gerade seine belegten Brote aus, ein türkisches Frühstück und bot mir sofort an es mit ihm zu teilen. Ja, der war nett. Seine Frau hatte es ihm eingepackt. Er war auf dem Weg nach Istanbul um seine Familie und seinen kranken Vater zu besuchen. Er sprach Deutsch wie ich, hatte schon über zehn Jahre in Deutschland gearbeitet.
Mein Reisebegleiter für die sechs Stunden nach München und sogar bis Istanbul. Sechs Stunden zusammen im sonst leeren Abteil, man spricht und lernt sich kennen, erzählt über sein Leben, die Vergangenheit und die geplante Zukunft. Besser hätte ich es nicht treffen können für meine ersten Schritte in eine neue Welt.
Sein Name war Ozan und er fuhr alleine, weil nicht genug Geld da war für die ganze Familie, Frau und zwei Kinder.
Nur noch eine halbe Stunde Fahrzeit bis München gab es eine große Polizeikontrolle im Zug. Das hatte ich in meinen 28 Jahren noch nie erlebt. Misstrauische Polizisten, unhöflich und rau, Pässe raus und unser Gepäck wurde argwöhnisch betrachtet. Gibt‘s das in deutschen Zügen? Sie zogen weiter, es war wohl alles ok.
Einfahrt in München. Ein Riesenkrach draußen, unsere Abteiltür wurde gewalttätig aufgerissen, Polizisten drängten rein, mein türkischer Freund wurde zu Boden gedrückt, in Handschellen gelegt und auf den Gang rausgestoßen. Andere Polizisten nahmen seine Koffer und Taschen. Und ich wurde misstrauisch beäugt. Also wieder den Pass vorzeigen.
„Kennen sie den? Wo wollen sie hin? Was hat der gesagt?“
Ich wurde dann wohl als harmlos eingestuft nachdem sie meinen Studentenausweis sorgfältig studiert hatten. Ich konnte gehen, oder besser meinen Rucksack nehmen und raus auf den Bahnsteig um auf meinen nächsten Zug zu warten, dem Orient Express, aber ohne meinen netten Türken.
„Aber so nicht – Scheiß-Bullen.“
Der Typ war harmlos und die Bullen nur Arschlöcher, also nicht warten sondern hinter den Bullen her, die ihren Gefangenen unhöflich durch Gruppen von wartenden Menschen vor sich her stießen. Mein Türke war ganz schön verstört von dieser gewaltvollen Behandlung. Es ging rein in eine kleine Polizeistation und ich hinterher. Sie verschwanden hinter einer Glastür und dann wurde es laut da drinnen mit lauten Kommandos.
Der einzige Bulle im Eingangsraum:
„Was wollen sie hier? Zeigen sie mir nochmal ihren Pass. Sie kennen den?“
Ich versuchte zu erklären, dass er harmlos war, dass das alles nur ein Fehler sein konnte, dass man einen Menschen so nicht behandeln kann. Er gab mir meine Papiere zurück.
„Dann gehen sie jetzt.“
Aber so nicht. Ich hatte eh noch drei Stunden Wartezeit und die konnte ich auch hier mit diesem Bullen verbringen. Abwarten was hinter der Tür alles passierte. Vielleicht konnte ich ihm helfen? Seine Frau in Berlin anrufen?
Der Bulle wollte mich nicht da haben, äugte manchmal rüber zu mit, aber das war mir scheißegal. Ich hatte mich bereits auf den einzigen Stuhl gesetzt, versuchte mich auf die Glastür zu konzentrieren und auf die dahinter entstehenden Geräusche zu lauschen.
„Gehen sie.“
Ich ignorierte ihn. Da konnte er mich mal. Dann soll er mich rausschmeißen. Aber das tat er dann doch nicht und ließ mich sitzen.
„Was wird ihm vorgeworfen?“
Darauf gab‘s keine Antwort. Aber man muss nur hartnäckig sein und schließlich nach der siebten oder achten Frage gab’s eine kleine Antwort.
„Der Name Ozan steht auf der Fahndungsliste. Drogen und Menschenhandel. Wir warten auf sein Foto.“
Das konnte er unmöglich sein. Nicht mein Türke. Da war ich mir sicher. Manchmal war‘s ruhig da hinter der Glasscheibe, dann fiel mal ein Stuhl um, dann laute Stimmen. Sind die bescheuert da drinnen? Die Zeit verging, nur noch knapp eine Stunde zu meinem Anschlusszug. Dann flog plötzlich die Glastür auf und er wurde rausgestoßen, jetzt ohne Handschellen. Er raffte sein Gepäck zusammen, begleitet von den höflichen Worten:
„Raus jetzt. Hau ja ab.“
Wir stürmten beide mit unserem Gepäck auf den Bahnsteig, ja schnell weg von hier, bevor sie es sich anders überlegen. Auf einem anderen Bahnsteig, auf den Zug wartend, fragte ich ihn dann.
„Was ist da drinnen passiert. Warum der ganze Zirkus?“
„Die haben mich verwechselt. Als das Foto dann schließlich kam, war es klar und sie haben mich rausgeschmissen. Die sind blöd.“
Er lachte:
“Die wissen nicht das in der Türkei fast jeder zweite Ozan heißt.“
Nach unserem kleinen gemeinsamen Abenteuer, klar suchten wir uns verständlicherweise wieder ein Abteil nur für uns. Dieses kleine Intermezzo hatte ihm nichts ausgemacht. Türken in Berlin waren es gewöhnt von unseren Ordnungskräften so nett behandelt zu werden. Es spielte keine Rolle ob sie ein Jahr hier arbeiteten oder schon zwanzig Jahre und perfekt Deutsch sprachen, sogar mit Ruhrgebiet-Akzent. Sie sahen halt anders aus und Fremde sollen halt draußen bleiben. Kennen wir ja alle von Asterix und Obelix:
“Mich stören Fremde nicht, solange sie bleiben wo sie hingehören.“
Ich kann mich nicht erinnern wie lange diese Zugfahrt dauerte, eine Nacht, vielleicht auch zwei Nächte, aber die Zeit verging wie im Flug mit diesem netten Typen. In Istanbul einlaufend, ging dann alles schnell. Ein Verwandter wartete schon auf ihn. Seine Reise würde jetzt noch weitergehen. Mit dem Bus in das kleine Dorf aus dem seine Familie stammte. Er drückte mir seine Essenstüte in die Hand und das war‘s. Weg war er.
Ich stand da erst mal eine Weile auf dem Bahnsteig:
„Das ist die Türkei. Aha. Ist ja eigentlich ganz gut gelaufen für meinen Anfang. Also Zettel raus, was hat der Bayer mir noch auf den Weg gegeben?“
Türkei und Iran – Zwei so verschiedene Welten:
Über die nächsten fünf Wochen habe ich öfters an diesen Bayern gedacht. Er hatte mich so gut vorbereitet auf mein großes Abenteuer. Ich war so froh, ihn in Neukölln getroffen zu haben, da in seiner dreckigen Küche.
Vielleicht sitzt er da heute noch mit demselben dreckigen Frottee Bademantel und rollt sich seinen Joint, sonntags zum Frühstück. Hoffe es geht ihm gut, heute im Jahre 2015. Und: Vielen Dank.
Er hatte mir die Nummer des Busses gegeben zu einem kleinen billigen Hotel. Billig und dreckig, ein sehr kleiner Raum ohne Fenster. Also nichts zum Aufhalten. Pennen und dann raus in das exotische Istanbul. Und zum Pudding-Shop, zu der Zeit so berühmt, wie auch heute noch.
Verrückter Name für ein kleines Restaurant. Pudding gab‘s da auch. Für mich allerdings hatten sie den besten Joghurt aller Zeiten, selbstgemacht. Der Pudding-Shop, ein kleines sehr billiges Restaurant, mit billigen kleinen Resopal-Tischen. Hinten eine Theke mit Joghurt, Pudding und verschiedenen Sorten Kuchen. Es war immer voll, von morgens sieben bis spät in der Nacht, wenn sie den Laden schlossen. Das Wichtigste aber: es war der Treffpunkt für alle Rucksacktouristen die von Europa nach Asien oder von Asien zurück nach Europa zogen. An den Wänden riesige weiße Tafeln, gespickt mit vielen Zetteln, soviel Platz für die neuesten Nachrichten von der Strecke.
Um sich das mal vorzustellen: Der lange Weg bis Indien, ca. 4.600 km von Istanbul aus, vier Länder durchquerend, mit öffentlichen Bussen oder auch manchmal mit billigen lokalen Zügen. An diesen Tafeln konnte man Freunde wiederfinden, einen Platz im Bus finden oder auch Warnungen für andere Reisende hinterlassen. Istanbul hieß für mich erst mal fünf Tage Pause zu machen, sechs bis sieben Stunden jeden Tag im Pudding-Shop rumhängen. Natürlich um Informationen zu sammeln, mit vielen Leuten zu reden, Fragen zu stellen und die Tafeln studieren.
Ich musste einfach noch so viel lernen vor meinem nächsten Schritt. Während des Tages ein Tourist, der durch die exotischen Basare lief, einfach nur um das erste Asien einzuatmen. Morgens und abends–Pudding-Shop. Vier Stunden jeden Abend in diesem Restaurant, ein ständiger Strom von neuen Gesichtern, ankommen und wieder weiterfahren, Fragen stellen und auch beantworten. Jeder lernte hier und bereitete sich auf das nächste Stück seines Weges vor.
Am dritten Tag, es war wie üblich voll, suchte ich mit den Augen nach einem freien Stuhl an irgendeinem Tisch. Ich fand ihn auch, an der einzigen farbigen Stelle in diesem vollgestopften Restaurant. Ein Mensch ganz in Orange, unter Menschen die alle in Armee Jacken, blauen Overalls, Jeans und schwarzen Klamotten gekleidet waren. Ich saß ihm gegenüber, musterte ihn wie ein Papagei im Zoo. Der fiel einfach so aus der Rolle unter uns allen. Leuchtende orangene Jeansjacke, orangenes T-Shirt und orangene Jeans, selbst mit orangenen Socken wie ich bei einem Blick unter den Tisch feststellen konnte.
Meinen Tee trinkend musterte ich ihn ziemlich auffällig für eine Weile. Studierte die Rosenholzkette um seinen Hals mit dem Bild von diesem weißbärtigen alten Mann. Aber das schien ihm nichts auszumachen.
„Du kommst von Poona? Oder fährst du jetzt da hin?“
Das hatte ich im Kopf behalten von diesem Artikel im Sternmagazin, diese Sekte da in Poona trug nur Rot.
„Komme.“
Stille
„Wie war‘s?“
„Gut.“
Stille
„Wie lange warst du da?“
„Drei Monate.“
Stille
„Du bist jetzt einer von denen?“
„Sieht man doch.“
Stille
„Wie heißt du?“
„............................“ (habe den Namen vergessen)
Stille
Der ließ sich jedes Wort aus der Nase ziehen. Freiwillig war kein Wort aus ihm zu locken.
„Erzähl mir was davon. Ich habe diesen Artikel über euch im Stern gelesen.“
„Es gibt nichts zu erzählen.“
Stille.
Der gab nicht ein bisschen freiwillig her. Es war mühselig mit ihm zu sprechen. Und ich war einfach nur neugierig und ich wurde immer neugieriger.
So ein Gespräch hätte nie an der Uni in Berlin stattfinden können. Da weiß jeder schon die ganze Wahrheit und alle haben sie andere Wahrheiten. Eine Frage und es wird sofort losgelabert, alles wird glasklar erklärt, man wird zur nächsten Gruppensitzung/Versammlung eingeladen. Gegenargumente werden sofort niedergemacht mit irgendeiner Überzeugung. Eigentlich wird man da direkt vergewaltigt mit Worten und jede Gegenwehr wird sofort unterdrückt.
Ich hasste das.
„Bist du jetzt glücklich oder mehr zufrieden?“
„Was ist Glück?“
„Glücklich ist wenn man glücklich ist. Ist doch einfach. Wenn man was Gutes gefunden hat. Wenn man lächelt.“
„Vielleicht“ und er glotzte mich mit ernster Miene an und trank seinen Tee weiter.
Stille. Diese Stille zwischen uns ging mir echt auf den Sack.
Dann stand er plötzlich auf, ohne irgendeine Geste zu mir und verließ das Restaurant.
Jetzt war ich mal neugierig und dann ließ er mich stehen, im Raum hängen. So ein Gespräch hatte ich noch nie geführt.
„Interessant“, dachte ich.
Fünf Tage in Istanbul, es wurde jetzt Zeit weiterzufahren. Die Notizen von dem Bayern raus und sofort zur Busgesellschaft die er empfohlen hatte. Ein Ticket nach Teheran, Fensterplatz, damit ich auch ja viel sah auf dieser langen Strecke. Am nächsten Tag, der 18. Februar, Abfahrt um elf morgens. Drei Tage und zwei Nächte bis Teheran. Alle drei Stunden hält der Bus für eine Pinkelpause. Morgens, mittags und abends jeweils für eine Stunde um uns Gelegenheit zu geben etwas zu Essen und zu Trinken.
Ankunftszeit in Teheran um fünf Uhr früh. Aber das wurde mir direkt von der hübschen Türkin am Fahrkartenschalter erklärt:
„Es kann auch der Nachmittag oder der Abend sein - oder der nächste Tag. Es kommt darauf an wie reibungslos diese drei Tage verlaufen und wie lange der Grenzübergang in den Iran dauert.“
Die allgemeine Meinung über den Iran hatte ich schon aus jedem Gespräch im Pudding-Shop herausgehört.
„Vorsicht, durch den Iran muss man schnell durch. Die Leute sind unangenehm, bösartig, unfreundlich – einfach übel. Ja nicht anhalten, einfach weiter und die Schnauze halten.“
Das erklärte mir auch jetzt diese nette Türkin, mit der ich auch ein wenig flirten wollte.
„Nicht länger als notwendig und sofort weiter. Kein Ort, den Touristen zu spielen.“
Wann der Bus von Teheran weiterfährt, dass wusste sie nicht, nur dass noch zwölf andere Ausländer in meinem Bus saßen, alle auf den hinteren Sitzplätzen, der Rest Türken.
Dass ein Land und seine Leute so schlecht sein sollen, konnte ich mir nicht vorstellen. Aber ich werde mir meine eigene Meinung bilden. Wir werden ja sehen.
Wir saßen am nächsten Tag alle hinten, zwölf Rucksacktouristen und zu meiner Überraschung auch ein riesiger schneeweißer Hund, mit einem Fell, das er wohl von einem Eisbären gestohlen hatte. Er gehörte zu dem Berliner namens Chandus. Chandus ganz in Rot auf dem Weg nach Poona aber immer noch ohne seine Rosenholzkette. Der Hund, Panda, lag im Gang zu seinen Füßen.
Heute weiß ich, dass er zur Rasse der „Weißen Schäferhunde“ gehörte, gezüchtet in Kanada. Zwei von denen sind seit zwölf Jahren Teil meiner kleinen Familie hier auf Bali.
Ich hatte einen Türken als Nachbarn und vor mir saß noch eine Deutsche. Schon nach ein paar Stunden wurde es klar, dass sie lieber mit einem anderen Westler zusammen sitzen wollte. Sie tauschte ihren Platz mit meinem Nachbarn. Marianna, aus München, hatte gerade ihr Pädagogikstudium abgeschlossen, war für ein Jahr auf dem Weg die Welt zu erkunden, bevor sie ihre Arbeit in Deutschland begann.
Marianna sollte bis zur Ankunft in Delhi / Indien meine Reisebegleiterin und Freund werden.
Zu unserer Gruppe gehörten dann noch zwei Pärchen aus Deutschland, ein Pärchen aus Paris, ein Schweizer und ein Typ aus London. Man freundete sich über die ersten Stunden schnell an, so dass in der ersten Nacht schon heimlich der erste Joint rumgereicht wurde. Noch kein Problem, wir waren ja immer noch in der Türkei. Türkische Passagiere wechselten ständig, stiegen irgendwo aus und neue kamen für kurze Strecken dazu.
Ich liebte meinen Fensterplatz. Schon als Kind auf der langen Zugfahrt mit meiner Familie nach Par Le Creusot, saß ich die ganze Fahrt mit der Nase an die Scheibe gedrückt, konnte die Welt bewundern, die an mir vorbeizog, fragte mich oft wie die Menschen da draußen sind, was sie denken, ob sie glücklich sind, was sie so am Tag tun. Am liebsten hätte ich gerne von meinem Zugfenster aus in jedes Haus einen Blick geworfen, einen Schnappschuss in mein Gehirn geklickt, um einen Eindruck für mein Leben zu bekommen.
Die Türkei, das erste asiatische Land. Mir war es nicht eine Sekunde langweilig an diesem Fenster. Nicht viel zusehen da draußen, eine karge Landschaft mit kleinen Dörfern, manchmal eine etwas größere Stadt. Trotzdem konnte ich mich nicht sattsehen. Türkische Mitfahrer beäugten dieses Monster Panda misstrauisch, aber der war so was von wohlerzogen, lag neben Chandus im Gang und starrte cool zurück. Da stand er total drüber.
Chandus - den Namen hatte er sich selbst gegeben - und Panda, zwei coole Typen, sollte ich später noch etliche Male begegnen. Sie waren auf dem Weg nach Poona aber nicht ohne vorher in Afghanistan für einige Wochen das Rauchen zu genießen. Joints, Joints und Marihuana in Massen, davon sprach er die ganze Zeit. Marianna wollte eigentlich nichts mit Marihuana zu tun haben oder mit der Sekte in Poona oder irgendeiner anderen Sekte. Ihr ging‘s um das Abenteuer neue Kulturen kennenzulernen, Menschen zu erleben, an deren Leben teilzunehmen und zu lernen. Deshalb verstanden wir uns auch super, direkt von der ersten Stunde an.
Noch eines der deutschen Pärchen war auf dem Weg nach Poona, der Artikel im Stern muss wohl ganz schön reingehauen haben, in die deutsche Szene der „Sucher“ nach Sinn in ihrem Leben.
Nicht viel mehr zu erzählen, bis unser Bus morgens um zwei Uhr endlich die Iranische Grenze erreicht hatte. Hunderte von Lastwagen auf dem riesigen Parkplatz, Fahrer und Beifahrer auf der Straße schlafend oder in den Büschen neben dem Parkplatz. Alle Türken hatten schon in den 50 Kilometern zuvor den Bus verlassen. Hier an der Grenze waren es nur noch unser Fahrer, wir zwölf Westler und ein weißer Panda. Unser Bus wurde in eine Sonderspur gewinkt und dann ging‘s nochmal im Schritttempo für eine Stunde weiter bis zum flachen Zollgebäude.
Unser Fahrer, ein richtig netter Typ während unserer Reise durch die Türkei, wurde jetzt ständig nervöser je näher wir der Grenze kamen. Er murmelte vor sich hin, fluchte, hielt Gespräche mit sich selbst, gab uns hinten Anweisungen und Verhaltensregeln. Er hielt ein paarmal an, kam nach hinten und versuchte uns in schlechtem Englisch zu warnen.
„Immer lächeln mit den Iranern, nie wütend werden oder unhöflich, was immer auch passiert. Lächeln, lächeln, ja nicht ausflippen und tun was sie uns sagen. Chandus musste Panda an eine kurze Leine nehmen.“
Dann ging‘s endlich um fünf Uhr morgens ins Gebäude, alles Gepäck mitnehmen, Panda an der kurzen Leine, der Bus wurde jetzt hinter uns durchsucht. Der erste Schritt in dieses Gebäude, es fühlte sich alles ganz anders an als in der Türkei. Eine gespenstische lange, breite Halle, schlecht beleuchtet, ganz hinten am Ende lange Tische mit wartenden Beamten. Vor uns lange Reihen mit Glasvitrinen, so ausgerichtet, dass wir an allen vorbei laufen mussten.
Niemand konnte widerstehen anzuhalten, einfach in diese Vitrinen hinein zu starren, die Objekte zu betrachten und die kleinen Karten lesen. Eine nach der anderen.
Ein Koffer mit doppeltem Boden, die Karte dazu:
Name, Alter, Nationalität, gefasst am ............, 100 Gramm Marihuana. Prozessdatum:..........., Urteil: zum Tode verurteilt, Vollstreckt:..........
Ein Rucksack, Metallrahmen geöffnet, Marihuana im Rahmen versteckt:
Name, Alter, Nationalität, gefasst am ............, 10 Gramm Marihuana, Prozessdatum:.........., Urteil: 20 Jahre.
Ein Aktenkoffer, Marihuana im Griff:
Name, Alter, Nationalität, gefasst am ..........., 4,6 Gramm Marihuana, Prozessdatum:............., Urteil: 25 Jahre.
Es konnte einem schlecht werden beim Studium dieser Karten. Nachdem ich sechs oder sieben gelesen hatte, fiel mir auf, das zwischen Arrestdatum und Strafvollzug nie mehr als zwei Monate lagen. In den meisten Fällen sogar nur wenige Wochen. Die Halle überblickend, wurden wahrscheinlich so 100 bis 150 Objekte ausgestellt. Dreiviertel davon hatten die Todesstrafe bekommen, die dann auch meistens eine Woche nach dem Urteil bereits vollstreckt wurde.
Es gab überhaupt keine Strafe unter 20 Jahren. Selbst wenn die Menge Marihuana unter einem Gramm lag. Wir liefen schockiert an diesen Reihen vorbei. Die Türken hatten Recht, wir standen vor dem Tor zur Hölle. Dann endlich der lange Tisch mit einigen Beamten dahinter. Passkontrolle. Gepäckkontrolle, alles musste ausgepackt werden. Die unfreundlichen Idioten ließen Sachen absichtlich zu Boden in den Dreck fallen und danach kam das scharfe Kommando:
„Aufheben.“
Pässe wurden durch die Luft geschmissen zu dem Beamten am Ende des Tisches, der kein Interesse zeigte sie aufzufangen. Dann landeten sie im Dreck vor seinen Füßen, er starrte runter, musterte den Pass, dann eine drohende Geste mit der Hand:
„Herkommen. Aufheben.“
Unser türkischer Fahrer hatte ein gefrorenes Lächeln im Gesicht und wir alle wohl auch. Ja nicht ausflippen hier. Da mussten wir durch. Panda, immer nahe an Chandus, den ließ das kalt. Sie starrten, er starrte zurück, niemand traute sich in die Nähe von Chandus. Unser Fahrer wurde heftig befragt über diesen Hund, aber er konnte ein Busticket vorweisen.
Name: Panda. Geschlecht: Hund. Bezahlt bis Teheran.
Die hatten wohl keine Gesetze für Hunde die einmal durch die Hölle reisen wollten und er hatte ja bezahlt.
Willkommen im Iran. Willkommen in der Hölle. Kein Wunder, dass kein Türke in den Iran reisen wollte. Zwei Stunden Demütigungen, dann durften wir endlich passieren, durften unsere Rucksäcke wieder packen und raus zum Bus, in den Iran.
Aber jetzt am Bus gab‘s ein weiteres Problem. Unser Fahrer diskutierte heftig mit Chandus, ständig mit der Hand zum Gepäckraum unter den Bus zeigend.
„Was ist los?“
„Der Fahrer hat Angst. Panda darf nicht mehr im Bus sitzen. Er muss unter den Bus in den Gepäckraum. Scheiße, ich hab voll für Panda bezahlt. Der hat das gleiche Recht wie wir alle.“
Unser Fahrer:
„Iraner, ganz schlechte Menschen. Immer lächeln. Nie sprechen mit denen. Immer lächeln. Ganz ganz schlechte Menschen.“
Mann, der Typ hatte echt Schiss. Der wollte nur schnell bis Teheran und zurück, immer mit seinem eingefrorenen Lächeln im Gesicht. Einmal in der Türkei, da konnte er dann aufatmen und freundlich sein. Es ging nicht anders, Chandus musste ja sagen. Wir handelten mit dem Fahrer aus, dass er jede Stunde für fünf Minuten anhält, damit Chandus seinem Panda Wasser geben kann.
Er hielt sich auch an unsere Vereinbarung, allerdings wurden die Stopps jetzt kürzer. An den Raststellen für Mittag und Abendessen durfte Panda zwar sein Gepäckfach verlassen, aber nicht mit Chandus das Restaurant betreten. Sie mussten am Bus warten, bis wir ihnen irgendein Fleisch - Reisgericht brachten. Aber das Zeug konnte sowieso niemand essen. Ein undefinierbarer Fraß, dem nur Panda etwas abgewinnen konnte. Schien ihm nichts auszumachen. Wir alle lebten jetzt nur noch von Kartoffelchips und Biskuits.
Die Türkei ist arm, zumindest außerhalb der großen Städte, aber eine asiatische Schweiz verglichen zu was nun an unseren Busfenstern vorbeiglitt. Die Hauptfarbe des Iran: Zementgrau. Kleine Dörfer, einzelne Häuser, es schien alles aus Zement und Beton gebaut zu sein, die meisten davon unbewohnte Ruinen.
„Ist dir schon aufgefallen, dass es nirgendwo auch nur eine Blume gibt?“
Tatsächlich ein Land ohne Blumen und dreckig mit Müll, wo immer man hinguckte.
Die paar Menschen, die wir dann mal sahen, hoben sich kaum ab von der Hintergrundfarbe Zement. Sie waren genauso grau wie dieses Land. Hier im Iran stiegen dann wieder Leute zu, nutzten den Bus für kurze Strecken und beäugten uns misstrauisch auf unseren hinteren Sitzen. Aber lächeln, immer lächeln.
Endlich Ankunft in Teheran um neun Uhr morgens, nach drei Nächten und mehr als drei Tagen im Bus. Eine große Halle mit einigen Fahrkartenschaltern. Wir hatten schnell rausgefunden, dass der nächste Bus nach Mashhad um fünf Uhr am Nachmittag abfuhr und fahrplanmäßig am nächsten Morgen in Mashhad ankommen sollte. Aber Zeitpläne in Asien waren nicht viel wert. Konnte alles bedeuten, bis zu vielen Tagen Unterschied zum Fahrplan. Aber falls es doch so sein sollte, könnten wir den einzigen Bus nach Afghanistan noch erwischen. Der Bayer hatte mir sogar die Abfahrtszeit in Mashhad aufgeschrieben.
Acht Stunden in dieser dreckigen Halle auf den nächsten Bus zu warten erschien keinem von uns eine rosige Perspektive. Sollten wir alle Warnungen aus der Türkei in den Wind schlagen? Einfach rausgehen, uns die Stadt ansehen? Teheran ist ja schließlich eine moderne Stadt. Sonnenschein lockte hinter den großen dreckigen Fenstern, eine moderne Stadt mit breiten Straßen, vielen Autos und Taxis und manchmal sogar Frauen in modernen kurzen Röcken, sogar ohne Kopftuch, die an unserer Busstation vorbeigingen.
Das konnte doch gar nicht so schlimm sein. Chandus konnte mit Panda hier warten und aufs Gepäck aufpassen und wir alle gehen raus, suchen einen Basar, suchen uns was zu essen, bringen dann noch einige Snacks zurück für die beiden und für unsere Weiterfahrt. Wir wollten gerade gehen, da sprach uns ein Bettler von der Seite an.
Ob wir etwas Geld haben oder etwas zu essen. Es dauerte einige Sekunden bis ich begriff, dass er mich in Deutsch angesprochen hatte. Vor mir stand ein Typ der hätte jeder Nationalität angehören können.
Dreckiges Gesicht, die Haare mindestens drei Jahre nicht gewaschen, zerrissene Jeans, halbzerrissenes T-Shirt. Ich starrte ihn erst mal einen Moment an, konnte nicht begreifen, dass der mich in perfektem Deutsch anquatscht. Ein deutscher Bettler, wie konnte das sein? Hier in Teheran?
Wir gaben ihm unsere letzten Biskuits und jeder ein paar Dollar. Dann erzählte er uns seine Geschichte und ich übersetzte notdürftig für die Anderen. Er war einer derjenigen die an der Grenze mit Marihuana erwischt wurden. Vielleicht hatten wir sogar seinen Namen irgendwo in einem der Glaskästen gelesen. Für drei Joints hatten sie ihn zu 20 Jahren Haft verurteilt. 5 Jahre hatte er bereits abgesessen, dann schmissen ihn die Iranischen Behörden einfach raus auf die Straße. 15 weitere Jahre hatte er als Bettler zu leben, der zweite Teil seines Strafvollzugs.
Die Deutsche Botschaft konnte ihm nicht helfen, die war sowieso so hermetisch bewacht, dass er nur heimlich Kontakt mit einem deutschen Angestellten hatte, außerhalb der Botschaft. Kein Pass, kein Geld, keine Möglichkeit den Iran zu verlassen. Ein scheiß Schicksal.
Er tat uns allen leid. Überleben nur durch Betteln und versuchen kleine Arbeiten zu suchen, wie z. b. Lastwagen ausladen. Aber er musste vorsichtig sein, wurde oft von den Polizisten nur so aus Spaß verprügelt, wenn sie ihn sahen und schnappten.
Nach einer Weile wollten wir los, raus in die Stadt, er konnte ja bei Chandus und Panda bleiben. Er warnte uns dann nachdrücklich, ja nicht in die Stadt zu gehen, lieber hier in der Busstation auf den nächsten Bus zu warten. Flehte uns sogar an, diesem friedlichen Bild da draußen ja nicht zu trauen.
Unsere Frauen bereiteten sich auf Teheran vor. Marianna steckte ihr langes, buschiges, blond-braunes Haar zusammen, sorgfältig verpackt unter einem großen Kopftuch. Dazu ein Rollkragenpullover bis zum Kinn und ein langer Rock der sogar ihre Füße und Sandalen bedeckte. Eine letzte Kontrolle unserer drei Frauen. Nichts mehr zu sehen an Fleisch, nur noch Hände und Gesicht, jetzt konnte es losgehen.
Wir wollten einfach keinen Ärger da draußen bekommen, die Warnungen des Deutschen in unseren Köpfen. Der Bettler hatte uns den Weg zu einem der größten Basare Teherans beschrieben, einfach geradeaus der Hauptstraße für fast zwei Kilometer folgen, danach irgendeine kleine Straße nach rechts. Dann waren wir mittendrin. Der lange Weg die Hauptstraße entlang, unsere Bedenken verflüchtigten sich. Teheran, eine moderne saubere Stadt, schöner Sonnenschein, es hätte auch der Kudamm in Berlin sein können. Warum sollte uns hier was passieren? So viele Iranische Frauen modern gekleidet und ohne Kopftuch. Warum mussten eigentlich unsere Frauen so schwer eingehüllt sein?
Nur zur Erinnerung: 1978 hatte im Iran noch keine islamische Revolution stattgefunden. Der Iran wurde regiert von einem Diktator, dem Schah und seiner Frau, Prinzessin Soraya, ein heißes Thema in deutschen Klatsch-, Liebes- und Frauen-Magazinen. Vielleicht existieren diese Magazine auch noch heute. Die hatten damals so Namen wie: Das Goldene Blatt, das Silberne Blatt, Echo der Frau usw.
Die Straße nach rechts und wir waren mittendrin im Leben. Kleine Verkaufsstände soweit man sehen konnte, breite Straßen, gefüllt mit Menschen. Anscheinend die beste Zeit für jeden Iraner seine täglichen Einkäufe zu erledigen. Wir gliederten uns in diesen Strom von Menschen ein, aber zusammenbleiben, das war die Devise, aufeinander aufpassen und nicht getrennt werden.
Ein asiatischer Basar, ob in der Türkei, Teheran oder später in Indien, mit Leben pulsierend, eingehüllt in tausenden von strahlenden Farben, ein Abenteuer an dem man sich nicht sattsehen oder satterleben kann. Es ging auch für eine Weile gut und wir hatten bereits etliche Früchte und exotische Snacks eingekauft.
Dann plötzlich ein Aufschrei von Marianna:
„Nimmt deine Hände weg! Nicht!“ und ihr Körper bog sich um irgendein Hindernis zu vermeiden. Ich verstand nicht wirklich was da passierte.
„Was ist los? Was ist passiert?“
„Eine Hand hat versucht meine Brüste zu grabschen.“
„Wer?“
Und meine Augen suchten die vorbei strömenden Gesichter ab. Alles normal, nur lächelnde Leute um uns herum. Dann ein neuer Aufschrei, diesmal in Französisch. Sie versuchte etwas wegzuschlagen, begleitet von schweren Flüchen.
„Eine Hand hat mich in die Nippel gekniffen. Scheiße, das tut weh.“
Wir drängten uns näher zusammen und wieder ein Aufschrei von Marianna. Wieder eine Hand aus der Menge die man keinem der lächelnden Nachbarn zuordnen konnte. Noch ein Aufschrei von unserer anderen Deutschen:
„Einer hat mich in den Arsch gekniffen.“
Zwanzig Minuten friedvolles dahin strömen in der Masse, vielleicht hatte man unsere Frauen zuerst studiert, waren beendet. Jetzt eskalierte unsere Situation.
Wir Männer nahmen unsere Frauen jetzt in die Mitte, versuchten einen schützenden Kreis zu bilden. Gleichzeitig konnte auch keiner anhalten, wir wurden einfach weitergedrängt von der Masse hinter uns.
Noch ein Aufschrei und noch einer. Ich sah eine Hand kommen da ganz unten, blitzschnell zulangen und weg war sie. Zu wem gehörte sie? Oben nur lachende unschuldige Gesichter.
„Er hat versucht meine Möse zu grabschen.“
Jetzt wurde es gefährlich, sie kamen jetzt von allen Seiten, die Hände die keine Gesichter hatten, grabschten Titten, rissen Mariannas Kopftuch weg, versuchten es von hinten und vorne, von unten verdeckt und von der Seite. Ich hörte wie ihr Rock zerriss.
Wir mussten hier raus. Mit aller Gewalt raus aus dem Strom, irgendwo zur Seite, raus aus diesem Basar. Jetzt wurden diese Hände melodisch begleitet von freundlich ausgestoßenen Worten.
„Küss mich, Lady.“
„Ohh! Bitte fick mich.“
Männer weggerissen in einen heißen Sexrausch.
„Da vorne, die kleine Seitenstraße“, rief einer von uns und los ging‘s, als zusammengeklebte Masse nach rechts und vorwärts, ohne Rücksicht auf Verluste. Aber die Hände kamen immer noch, von alles Seiten, grabschten, kniffen, zerrten, versuchten sich einen Weg frei zu reißen zum nackten Fleisch.
Dann endlich hatten wir es in die kleine Straße geschafft. Keine Menschen hier - und vor uns in Sichtweite die große Hauptstraße. Wir rannten los.
Da blieben wir dann stehen, sammeln, erst mal sehen ob alle ok waren.
Die Französin hielt sich ihre Brüste vor Schmerzen. Muss sau wehtun mit Gewalt in den Nippel gekniffen zu werden. Auch ihre Jacke war eingerissen. Mariannas langer Rock hatte einen langen Riss bis zur Taille und wurde nur noch von ihrem Gürtel am Körper gehalten. Scheiße, wir hätten auf die Warnungen hören sollen. Sorgfältig wurde der zerrissenen Rock zusammengebunden, ihr Kopftuch hatte irgendeiner von den Bestien wohl als Trophäe erbeutet, sie musste sich mit einem T Shirt behelfen, alle Haare wieder für unseren Heimweg zu verstecken.
Das gemütliche Bummeln war jetzt vorbei. Jetzt ging‘s im Laufschritt Richtung Busstation, ja schnell in Sicherheit.
Wieder vereint mit Chandus und dem deutschen Bettler, erzählten wir unser großes Abenteuer im Basar.
„Ich hab euch vorher gewarnt. Da draußen sind nur Tiere. Alles nur Bestien. Iran ist die größte stinkende Toilette der Welt.“
Er blieb dann noch bei uns, bis wir weiter mussten, mit dem Bus nach Mashhad um fünf Uhr. Er tat mir so leid. Was für ein Leben in dieser stinkenden Hölle und das noch für weitere fünfzehn Jahre.
Mitkommen konnte er nicht. Erwischt ihn in Mashhad die Polizei, würden sie ihn schwer misshandeln und zurück in die Massenzelle nach Teheran bringen. Er durfte Teheran nicht verlassen.
Unser Bus fuhr am nächsten Nachmittag in Mashhad ein. Den Anschlussbus hatten wir verpasst.
Noch eine Nacht mehr im Iran. Wir suchten uns ein kleines Hotel in der Nähe der Busstation.
Niemand hatte noch Appetit irgendetwas von Mashhad zu erkunden. Das Hotel hatte nur vier kleine schäbige Räume im ersten Stock und die lagen zudem noch verteilt auf drei Nebenkorridore. Unten die Rezeption war ganz nett und groß, mit vielen alten Sesseln. Wir verließen diese Rezeption nicht mehr bis es Zeit zum Schlafen war. Der Besitzer erschien ganz nett, mit seinen mindestens zehn Boys die er rumschickte wie ein Feldmarschall. Sie rannten los und besorgten uns neuen Tee oder Kaffee und Berge von Kartoffelchips. Richtiges Essen wollten wir auch nicht mehr ausprobieren in diesem netten Land.
Am Abend gesellte sich dann ein 17-jähriger Junge zu uns, wohl ein Verwandter vom Besitzer, der auch gut englisch sprach. Am Anfang war er uns allen lästig wegen all dieser Fragen über Deutschland und Frankreich und einfach alles aus unserer Welt. Aber dann wurde es interessant. Wir hatten jetzt auch Fragen, erzählten unser Sex Abenteuer im Basar. Er hasste den Schah denn er war schuld an allem in diesem Land. Lebte im größten Luxus und ließ dieses Land verkommen. Ist ja heute auch nicht anderes bei uns. Die Vorzüge unserer sogenannten Demokratien genießen eigentlich nur die obersten 2 % in jedem Land. Der Rest ist eigentlich nur dazu gut, den Reichtum für diese zu schaffen.
In seinen 17 Jahren hatte er bereits vier Jahre im Knast verbracht und seine Geschichten über Folter und Misshandlungen bis hin zu Vergewaltigungen, hätten gut in einen Horror-Film gepasst. Es hörte sich alles etwas übertrieben an. Er sah unsere Zweifel, zog dann sein weißes Hemd aus und seine Hose runter.
Ohh, mein Gott. Sein Rücken bis zum Arsch bedeckt mit hunderten von alten und neuen Narben. Da gab es keinen Millimeter heile Haut mehr. Eine einzige bizarre Mondlandschaft mit Narben, manchmal in vier Lagen übereinander. Der Shah und seine Prinzessin: Metzger! Aber in der Bundesrepublik Deutschland sogar vergöttert und gefeiert von deutschen Politikern.
Um zehn Uhr ging‘s hoch in unsere Räume. Vier für zwölf Leute. Ich teilte einen größeren mit Marianna und dem Engländer, allerdings mit großem wackligem Eisenbett, und wir hatten ein kleines Fenster. Es wurde dunkel draußen. Wir wollten schlafen, um ausgeruht zu sein für Afghanistan, einem Paradies von dem jeder sprach.
Die kommende Nacht wird für immer in meinem Gedächtnis haften bleiben, als die Nacht der lebenden Zombies oder Untoten. Gehirnlose Monster.