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Kapitel 11

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Nacht der Lebenden Toten – Mashhad/Iran


Marianna schlief schon. Wir saßen auf dem dreckigen Boden, unterhielten uns und rauchten unsere selbstgedrehten Zigaretten.

Um Mitternacht herum traf plötzlich ein Riesenschlag unsere Tür vom Gang. Sie wackelte und Marianna schreckte aus ihrem Schlaf hoch. Danach, Totenstille im Hotel.

„Was war das denn?“

Wir lauschten. Kein Geräusch zu hören. Vorsichtig schlossen wir die Tür auf, ein Blick links und rechts, alles ruhig.

„Vielleicht ist einer der Iraner betrunken und in unsere Tür gefallen?“

Marianna versuchte weiterzuschlafen. Ein Blick auf die Uhr, es war tatsächlich fast zwölf Uhr Mitternacht. Vielleicht das Einläuten der Geisterstunde im Iran. Gibt es überhaupt Geister im Iran?

Zehn Minuten später, aus dem Nichts, ein weiterer Schlag der unsere Tür traf, der Rahmen quietschte, die Tür vibrierte heftig, nur vom Schloss im Rahmen gehalten. Marianna schreckte aus ihrem Schlaf auf, saß mit angezogenen Knien auf dem Bett, sah uns ängstlich an.

„Wer ist da? Was wollt ihr?“

Unsere raus gebrüllte Frage wurde nicht beantwortet. Es war wieder totenstill da draußen.

„Scheiße, das ist kein Besoffener da draußen.“

Wir lauschten an der Tür. Nichts zu hören. Vorsichtig aufschließen und rausspähen, aber niemand zu sehen im Gang. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Marianna ängstlich, wir standen an der Tür und warteten.

Wumm, Wumm, Wumm! Drei dicke Schläge und die Tür erzitterte! Wir schmissen uns von Innen gegen die Tür.

„What the Fuck? Was wollt ihr? Lasst uns in Ruhe.“

Keine Antwort. In der nächsten Stunde sollte unsere Tür noch fünf oder sechsmal von den Gewaltschlägen erzittern. Marianna stand jetzt auch an der Tür, wartend und dann gegen die Tür stemmend, das diese ja im Rahmen blieb. Unseren einzigen wackligen Stuhl hatten wir mittlerweile unter die Klinke geklemmt.

Dann plötzlich eine Stimme von draußen, unsere Franzosen:

„Lasst uns rein. Schnell.“

Sie stürmten mit ihren Rucksäcken durch die Tür und schnell wurde abgeschlossen. An deren Tür hatte sich dasselbe abgespielt. Gewaltschläge, die Tür erzittert, dann Totenstille. Sie hatten Angst. Sie waren alleine in dem kleinsten Raum gewesen.

An deren Tür wurde sogar zwischen den Angriffen geflüstert.

„Ich will dich ficken, Lady. Bitte fick mich.“

„Ich will deine Möse.“

Komisch, wir hatten nichts gehört. Unsere aller Räume lagen auf verschiedenen Korridoren, aber nur ca. zehn Meter voneinander entfernt. Koordinieren diese Arschlöcher ihren Terror? Jetzt waren wir fünf, stärker als zuvor, drei Männer und zwei Frauen, wartend auf den nächsten Angriff.

Scheiße, jetzt ging‘s weiter mit unserer Tür und jetzt auch begleitet von leisen Stimmen und deutlich gewaltsameren Versuchen unsere Tür einzutreten, dazu ausgestoßene Laute wie von Tieren:

„Ohhh….! Fick mich.“

„Fick dich selbst“, war unsere rausgebrüllte Antwort.

Stöhnen von draußen. Nochmals Schläge und dann für eine Weile wieder Totenstille. Wir sollten in den Pausen die Anderen rufen. Sie herholen. Wo sind Chandus und Panda? Den brauchten wir jetzt.

Eine laute Stimme von draußen.

Das andere deutsche Pärchen mit ihren Rucksäcken stürmte in den Raum, und direkt danach die anderen, sie rannten um die Ecke und rein in unseren Raum. Tür zu und verschnaufen. Alle hatten denselben Terror erlebt. Nur Chandus und Panda fehlten noch, aber die kamen eine Minute später. Jetzt waren wir alle beisammen, zwölf Reisende und ein weißer Schäferhund der sich direkt vor der Tür aufbaute, sein Körper vibrierend von einem tiefen Grollen.

Mittlerweile war es 2 Uhr 30 morgens, bereits über zwei Stunden Terror in regelmäßigen Abständen. Chandus:

„Vögeln wollten die mich und Panda. Das sind Tiere.“

„Wir haben nie ein Bellen gehört. Warum bellt Panda nicht?“

„Ich kenne Panda. Bellen heißt nichts. Macht er nie. Guck ihn dir an. Der zittert vor Anspannung. Jetzt grollt er nur. Aber jetzt ist er gefährlich. So hat er die ganze Zeit bei meiner Tür gesessen.“

Dann ging‘s weiter, die Schläge und die Aufschreie von Tieren draußen vor der Tür:

„Ich will dich, Lady.“

„Ohhh! Fick mich.“

Da war nicht nur einer da vor unserer Tür, mindestens sechs Männer im Sexrausch. Die holten sich da draußen wahrscheinlich einen runter, nur durch den Gedanken geil gemacht, dass hier drei Frauen mit im Raum waren. Aber vielleicht wollten sie uns alle vögeln, inklusive Panda und unsere Rucksäcke?

Dann wieder Totenstille. Vielleicht trinken sie sich hinter der nächsten Ecke Mut an, bereiten ihren nächsten Angriff vor?

„Keine Sorge, die kommen nicht rein - und wenn, dann killt Panda sie alle. Dann gibt‘s einen Blutrausch. Panda wird sie alle zerfetzen, die haben keine Chance gegen ihn.“

Als ich Panda beobachtete, wusste ich, dass Chandus Recht hatte. Der saß da gespannt wie die Sehne eines Compoundbogens. Mit dem würde ich mich nie anlegen. Der würde sie alle zerfetzen, falls sie es durch die Tür schafften. Aber damit war uns nicht geholfen. Blut und Tote und Polizei. Die würden uns alle gemeinsam vögeln und dann in den Knast stecken. Das durfte nicht geschehen. Wir mussten einfach durchhalten bis zum Morgengrauen, bis zum Licht.


Drei Uhr, vier Uhr, es ging weiter in regelmäßigen Abständen. Die draußen, gewaltsam versuchend unsere Tür einzutreten, begleitet von Stöhnen und verlangenden Worten - wir drinnen, uns bei jedem Angriff gegen die Tür stemmend. Nach vier Uhr morgens wurden die Angriffe seltener, die Pausen dazwischen größer. Fünf Uhr 30 dann der letzte und es war wieder totenstill draußen. Hatten wir es überstanden?


Das erste Licht von unserem kleinen Fenster leitete auch die ersten normalen Geräusche aus dem Hotel ein. Teller klapperten, Türen öffneten sich draußen. Schritte eilten schnell an unserer Tür vorbei, wahrscheinlich die Jungen, allen Kommandos des Besitzers folgend. Vor unserer Tür wurde der Gang gefegt. Keine Angriffe mehr. Wir hatten es wohl überstanden.

Wir warteten bis acht Uhr morgens, dann alle im Eilschritt mit allen Rucksäcken runter, in die Sicherheit der großen Rezeption. Wir wurden mit freundlichem Lächeln und vielen „Guten Morgen“ begrüßt.

Ich fragte den Besitzer:

„Was war das gestern Nacht? Was sollte das?“

Großes strahlendes Lächeln zurück:

„Ich habe geschlafen.“

Scheißkerl, wahrscheinlich war er einer der wichsenden Männer da draußen, die unsere Frauen vögeln wollten. Keiner hatte in der Nacht geschlafen, aber es ging jetzt nur noch ums Durchhalten bis zehn Uhr. Dann den einzigen Bus Richtung Afghanistan ja nicht verpassen.

Wir waren nur noch wenige Stunden von unserem Paradies entfernt. Wir hatten Hunger. Der Brite und ich versuchten etwas zu Essen zu finden. Vielleicht Brot in der unmittelbaren Umgebung unseres Hotels. Nur 50 Meter die Straße runter und dann rechts, eine Riesenbäckerei, mit Schlangen von wartenden Iranern auf der Straße, warten auf das nächste fertige Brot.


Das muss ich jetzt auch etwas näher beschreiben. Warum? Weil es das beste Brot war das ich bis heute je gegessen habe.


Vor uns ein zweistöckiges Gebäude ohne vordere Hauswand. Unten ein „Riesenei“, vier Meter hoch. Unten an der Seite eine große Öffnung. In diesem „Ei“ war ein heißes Feuer zu sehen, davor drei schwitzende Jungen, nur mit einem Hüft Tuch bekleidet, die Kohle und Holz durch die Öffnung schmissen, um das Feuer zu füttern. Die Spitze des „Eis“ war durch den Fußboden des oberen großen Raums abgeschnitten.

Da muss dann wohl ein großes Loch im Fußboden gewesen sein. Am Rande saßen schwitzend vier Jungen, die Schweißperlen glitzerten im Sonnenlicht. Zwei formten aus kleinen Teigballen blitzschnell lange Brote, schlugen sie durch die Luft bis sie lang, dünn und flach waren, dann wurden sie mit langen Eisenhaken in das „Ei“ geschleudert. Sie blieben dann wohl an den Wänden innen kleben.

Die anderen beiden langten mit ihren Eisenhaken in das „Ei“ und fischten knusprige lange flache Brote heraus, die dann zur Seite geschleudert wurden. Jedes Brot so ca. 60 cm lang und 25 cm breit.

Der fünfte Junge oben sammelte die fertigen Brote ein, stapelte ca. 15 Stück übereinander, brachte sie zum Fußbodenrand und schmiss sie runter auf die Straße. Da standen dann vor uns zwei Jungen mit einem weißen Leinentuch zwischen sich und fingen die Brote auf. Mit denen wurde jetzt die lange Reihe von Wartenden sofort bedient. Ein Uhrwerk an Präzision. Wir standen da erst mal eine Weile, um dieses kleine Meisterwerk zu bewundern. Keine Sekunde wurde verschwendet in dieser Maschine die alle fünf Minuten fünfzehn weitere Brote produzierte um die Schlange der Wartenden zu füttern.


Wir reihten uns schließlich hinten ein. Es ging schnell bis an die Spitze. Handzeichen zu den beiden Jungen, wir nahmen 20 Brote. Wir mussten ein paar Minuten auf den nächsten herunterfliegenden Stapel warten. Das Geld nahm uns einer aus der Hand, wir hatten keine Ahnung was eines kostete, aber es war fast nichts.

Jeder zehn Brote unterm Arm, das Brot knisterte und knackte beim Laufen, da lief einem schon das Wasser im Mund zusammen.

Das beste Brot das ich je gegessen habe. Man brauchte nichts, keine Butter oder andere Schweinereien drauf - die hätten diesen reinen Geschmack nur verdorben. Alle saßen in einer Reihe auf der Bordsteinkante, eine Reihe von knackenden herrlichen Geräuschen. Selbst Panda knackte an seinem Brot rum, obwohl Hunde eigentlich kein Brot mögen.

Die letzten Stunden im Iran waren dann doch eine sehr gute Erfahrung, die es wert ist, hier geschildert zu werden.

Zeit für unseren Bus. Beladen mit unseren Rucksäcken die Straße runter und es ging los. Rüber nach Afghanistan. Nach einigen Stunden Fahrt bekamen wir unseren letzten Geschmack vom Iran. Schikanierende iranische Grenzbeamte, ein langes Gebäude mit ähnlichen Glasvitrinen, an denen wir vorbei mussten. Aber jetzt hielt keiner mehr an. Einfach nur weiter, lächeln, lächeln, bis der Ausreisestempel schließlich in alle Pässe reingedrückt wurde.

Und raus. Raus in den gleißenden Sonnenschein. Da hinten war Afghanistan. Jetzt hatten wir einiges in der Hitze zu laufen.

Ein Leben

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