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Kapitel 4

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1968 bis 1974 – Arbeit


Das Alter von 18 bis 24 ist wahrscheinlich für jeden Menschen eine echt schwierige Zeit und so auch für mich. Sich der Gesellschaft zu stellen, versuchen einen Platz darin zu finden, eine Zeit der Orientierung. Mit 19 habe ich meine erste Freundin getroffen, ein wunderschönes Mädchen aus meiner Heimatstadt Herten. Sie war viel jünger als ich, aber wir sollten fünf Jahre zusammenbleiben, haben uns sogar offiziell verlobt. In den letzten zwei Jahren kamen mir viele Zweifel, nicht wirklich über sie, ich habe sie geliebt, sondern eher, dass diese Beziehung bis zur Heirat und bis ich alt bin, nur dann funktionieren wird, wenn ich zeitlebens in Herten wohnen werde.

Mit 18 bin ich in der Obersekunda sitzengeblieben, mein Traum vom Abitur und Studium brach in einem Nebel der Realität in sich zusammen. Etwas musste ich tun. Mit Hilfe eines Verwandten kam dann schließlich die Arbeit als Chemiearbeiter bei den Chemischen Werken Hüls.

Das Labor Nummer 522, als Boss Dr. Magiera und Herr Wolny, mein unmittelbarer Vorgesetzter. Schon an meinem zweiten Arbeitstag erzählte er mir, dass ich hier nur meine Zeit verschwende und dass es besser ist mit meiner Ausbildung weiterzumachen. Nett gesagt – aber wie?

Ich hab es die ersten sechs Monate gehasst dort zu arbeiten. Am zweiten Tag begann dann auch die spezielle Ausbildung, die Wolny für mich ausersehen hatte.

Ich wurde die Spülfrau und unsere eigentliche Spülfrau auf der Arbeit hatte plötzlich nichts mehr zu tun, saß den ganzen Tag nur noch auf ihrem Stuhl, trank Kaffee und lächelte mir öfters aufmunternd aus der Ferne zu.

Da stand ich dann von sieben Uhr morgens bis zwei Uhr nachmittags und habe alles gespült, was in unserem Labor dreckig gemacht wurde. Er stand immer hinter mir, seine Hände hinter dem Rücken verschränkt, gab mir Vorträge wie ich zu spülen habe und erklärte mir jeden Teil eines Spülvorgangs im Detail. Ich durfte nie mit den anderen Kaffee trinken oder auch nur eine Minute herumstehen ohne den nächsten Glaskolben mit aller Fachkenntnis zu spülen. Jedes Teil das ich als sauber aus meiner Spülmaschine ( Hände ) entließ, wurde von ihm sorgfältig, ganz aus der Nähe geprüft. Fand er nur den kleinsten Hinweis auf Dreck, konnte ich wieder von vorne anfangen.

Dazu dann jeden Tag dieselben Vorträge, dass es dumm ist als Chemiearbeiter weiterzumachen und ich sollte doch die Chemielaboranten Lehre beginnen. Um ihm gerecht zu werden, wurde ich tatsächlich auch mit Analysen beauftragt, allerdings nur von zwei Uhr nachmittags bis Werksschluss um 3.45. Niemand von meinen Kollegen hat sich auch nur in die Nähe des Spülbeckens getraut. So besaß ich ein persönliches Spülbecken und einen Boss für mich allein.

Nach fünf Monaten entschied er dann wohl, dass ich jetzt ein Experte im Spülen bin, und der nächste Teil meiner Ausbildung begann.

Ich wurde ein Experte im Glasblasen. Er hatte diesen kleinen Arbeitsplatz im Keller eingerichtet, nur für mich, demonstrierte mir natürlich jeden Schritt ( er war gut ) und stand dann wieder hinter mir, mit den Händen hinter dem Rücken verschränkt, und das jeden Tag die gesamte Zeit. Alles musste ich lernen, alle gebrochenen Glasteile unseres Labors reparieren und dann auch alle von allen Laboren um uns herum, und schließlich durfte ich auch Weihnachtskugel blasen.

Ein Jahr in „522“, Chemische Werke Hüls, hatten mich zu einem Experten im Spülen und im Glasblasen gemacht. Dann war es genug für mich und ich habe tatsächlich eine Lehre als Chemielaborant begonnen.


Vielen Dank, Herr Wolny, auch wenn das alles etwas sarkastisch erzählt ist, gelernt habe ich sehr viel. Aller Widerstand in mir ist Zeit meines Lebens gebrochen, irgendetwas zu spülen. Ich liebe es sogar. Vielen Dank.

Über die nächsten dreieinhalb Jahre gibt‘s nicht viel zu erzählen und ich will hier auch keinen zu Tode langweilen.


Nur noch eine kleine Geschichte aus dieser Zeit.

Einen Tag in der Woche mussten wir ins Lehrlabor, alle Lehrlinge zusammen, ein Riesenlabor und großes Klassenzimmer. Da wurden uns dann die ganzen Analysen beigebracht die man schließlich als Chemielaborant wissen muss, plus aller Theorie. Wir hatten einen superjungen Doktor, namens Rot, der mit allem Idealismus unsere Ausbildung betrieb.

Wenn man jung ist will man lernen, nicht unbedingt das was auf dem Lehrplan steht, sondern speziell auch das, was in keinem Buch steht. So hatte sich schnell eine kleine Gruppe gebildet die neben den Analysen die wir machen mussten, ihre eigenen Experimente machte, wie zum Beispiel Tränengas herzustellen, neue Chemikalien zu erfinden die noch fürchterlicher stinken - und nicht zu vergessen neue Sprengstoffe zu entwickeln, weil es ja schließlich knallen musste.

In unserer heutigen Welt würde man uns als Terroristen einstufen, und wahrscheinlich hätten wir nur einen Job bei der CIA bekommen. Die brauchen schließlich immer neue Terroristen.

So hatten wir an einem Morgen einen neuen Sprengstoff hergestellt. Nur so 1,5 Gramm. Uns war klar er würde sehr toll knallen und zwar durch Kontakt. Einfach nur mit dem Hammer draufhauen, so blöd waren wir nicht, das hätte uns die Hand, den Hammer und vielleicht sogar den Arm kosten können. Wir wussten, das Zeug war einfach saugut.

Deshalb in der Mittagspause, das Lehrlabor war leer, verteilten wir das Pulver sehr dünn in einem der riesengroßen Keramik - Spülbecken, gingen in Deckung und warfen Metallgegenstände aus der Entfernung in das Spülbecken. Das funktionierte erst mal gar nicht und nichts passierte, was sehr enttäuschend war. Dann öffnete sich die weit entfernte Tür und unser Herr Doktor betrat in seinem exakt gebügelten Kittel das Labor. Zur selben Zeit flog ein weiterer Gegenstand in das Becken.

Es folgte, der so lange herbeigewünschte, Riesen - Bang, die große Explosion. Das Spülbecken brach in zwei Teile, die große Werks Uhr wurde von der Wand gerissen und krachte auf den Fliesenboden, die Wasserleitungen wurden aus der Wand gerissen, und eine Wasserfontäne schoss raus, direkt unseren DR. Rot zu einer ungeplanten Dusche zu zwingen.

Eine Sekunde später waren wir alle raus.

Obwohl er uns nicht gesehen hatte, war uns allen klar, dass er wusste wer dafür verantwortlich zeichnet. Wir waren schon ein paar Mal mit unseren eigenen Experimenten aufgefallen. Das musste Folgen für uns haben. Wir saßen gespannt in dem großen Klassenzimmer, warten auf Rot, der dann auch schließlich den Raum betrat, mit neuem gebügeltem Kittel, neuer Hose und neuem weißem Hemd. Er baute sich vor der ganzen Klasse auf, einen Moment Schweigen und dann:

„Ich hatte euch ermutigt eure eigenen Experimente zu machen. Das war gut. Aber ich hatte damit nicht gemeint, dass ihr das Labor zerstört.“

Nichts mehr. Der Unterricht ging weiter. Eine Stunde später kamen einige Arbeiter um die Reparaturen im Labor zu beginnen. Ich weiß nicht, was er der Werksleitung als Grund für die Zerstörung erzählt hat, aber sie haben es ihm wohl abgenommen. Danke Dr. Rot!

Die Erinnerung ist eine echt funny Sache. Man kann sich an jede Einzelheit erinnern, nur Verbindungen werden manchmal unklar. So kann es sein, dass diese beschriebene Explosion im Zusammenhang mit Natrium von uns ausgelöst wurde. Aber spielt eigentlich keine Rolle. Es hat geknallt und wie.

Nachdem ich die Lehre beendet hatte, habe ich dann einfach in demselben Labor wie schon die letzten zwei Jahre weitergearbeitet. Das Destillationslabor, Boss Professor Shridar, ein Inder, und Dipl. Ing. Hartmann.

Ich habe es geliebt da zu arbeiten. Von der ersten Sekunde an gab es ein großes Verständnis zwischen Hartman und mir. Er war der absolut Beste in der Theorie und ich war der Beste in der täglichen praktischen Arbeit. Er ließ mir jeden Freiraum den ich wollte und sogar noch viel mehr wozu er mich ermutigte.


Mein Leben war jetzt auf einer richtigen Schiene und man konnte in der Ferne, so ganz weit weg, schon den nächsten Bahnhof sehen. Meine Freundin heiraten, 35 Jahre bei den Chemischen Werken arbeiten, bei bestem Gehalt, da unser Inder mich bereits in die oberste Gehaltsstufe gesetzt hatte, was ein Chemielaborant erst eigentlich nach 20 Jahren verdient. Dann die Pension, mit anderen Rentnern auf einer Parkbank sitzen und Skat spielen.

Wollte ich das wirklich? Der Gedanke hatte etwas Beängstigendes für mich.

Das ich im Gymnasium nach der Obersekunda sozusagen rausgeflogen bin, nagte in mir. Für Versager wie mich gab es dann aber noch den zweiten Bildungsweg, und dafür sage ich Danke.

Ich musste es einfach wissen, ob ich zu blöd bin fürs Abitur oder nicht, aber natürlich ohne irgendjemanden davon zu erzählen. Habe dann einige Tage krank gemacht und mich für das Westfalen Kolleg Dortmund beworben, dann auch die Aufnahmeprüfung gemacht und gewartet. Noch nicht mal meine Freundin wusste davon.

Wow, zwei Wochen später das Ergebnis. Ich hatte bestanden. Aber leider konnte ich da wegen der langen Warteliste mein Abitur erst in drei Jahren nachholen. Scheiße. Aber jetzt war es klar. Doch nicht so blöd und ich musste auch meinen Inder und Hartman darüber informieren, dass ich weg wollte, um weiterzumachen mit Abitur und Studium.

Dann habe ich mich bei 20 anderen Kollegs beworben, irgendwo musste es doch möglich sein im nächsten August anzufangen. Hartman und Shridar waren schockiert und es gab lange Diskussionen und schließlich auch ein Angebot. Wenn unser Inder es schafft mich ins Ingenieur - Gehalt zu heben, werde ich dann bleiben? Da konnte ich dann zusagen, denn mir war auch klar, dass es Regeln im Werk gibt und keiner in der Werksleitung dem zustimmen wird. Aber sollten sie es doch versuchen.

Dann innerhalb von Tagen wurden mir 20 Briefe zugestellt, alles Ablehnungen. Alle mit der Begründung, dass ich an ihrer Schule die Aufnahmeprüfung machen muss und nicht in Dortmund.

Bestehe ich bei ihnen die Prüfung, dann kann ich auch bei ihnen starten. In Dortmund bestanden, in Dortmund Abitur nachholen. Nochmal Scheiße.

Aber nicht mit mir. Nochmal krankfeiern und ab ins Hertener Rathaus, solange fragen bis ich die Gesetze für alle Kollegs in ganz Deutschland einsehen konnte. Anlügen lass ich mich nicht.

Und da stand es dann in schwarz auf weiß geschrieben, Gesetze die für alle gelten. Besteht man die Aufnahmeprüfung an einem Kolleg, so berechtigt mich das an jedem anderen Kolleg in der schönen Bundesrepublik Deutschland anzufangen.

Und noch mehr Krankentage. Jetzt sollen sie mich mal kennenlernen! Meine große Deutschland tour begann, von Kolleg zu Kolleg. Deutscher Gesetzestext, Ablehnungsbriefe, Bestätigung, dass ich in Dortmund bestanden hatte, und los ging‘s zum ersten Ziel. Das Oberhausen Kolleg, am nächsten von Herten gelegen, heute mit dem hübschen Namen: Niederrhein - Kolleg Oberhausen.


Eine Zwischenbemerkung:

Aufwachsen ist schwierig und manchmal knochentrocken, und darüber zu erzählen, damit der Leser auf seinem Stuhl sitzen bleibt und einfach weiterliest, auch sehr schwierig. Aber bitte weiterlesen, dann erklären sich später viele Ereignisse die noch so in meinem Leben bis heute passiert sind.

Danke.


Oberhausen Kolleg, ein Tagesschule Kolleg:

Die Sekretärin:

„Ich bin daran nicht interessiert. Ich bin sicher es gibt kein Gesetz wie sie das hier darlegen. Sie wollen hier ihr Abitur nachmachen, dann müssen sie auch hier ihre Aufnahmeprüfung machen. Ich kann sie gerne anmelden, aber erst fürs nächste Jahr.“

Hinter mir öffnete sich die Tür, die Sekretärin nahm sofort vor mir eine ehrfurchtsvolle Haltung ein und ich wusste, dass jemand sehr Wichtiges hinter mir den Raum betreten hatte. Der ging dann an mir vorbei in sein Zimmer und ich bin ihm hautnah gefolgt und das konnte diese blöde Kuh nicht mehr verhindern.

Das war der Direktor und das stand unsichtbar im Raum geschrieben. Ein netter Typ, der mir den Stuhl anbot und mit fragenden Augen mein Anliegen wissen wollte.

Schweigend sortierte ich meine Dokumente vor ihm, in Reihenfolge, von ihm aus gesehen von links nach rechts. Erst der Brief aus Dortmund, dann viele Seiten Gesetzestext zur Regulierung von Kollegs in der Bundesrepublik Deutschland, dann der Ablehnungsbrief seiner Schule.

Meine Reihe von Papieren scannend:

„Ich kenne die Gesetze.“

Schweigen

„Sie sind hartnäckig.“

„Ja.“

Schweigen

„Können sie am 1. August anfangen? Wo arbeiten sie jetzt?“

„Chemische Werke Hüls. Ich kann morgen aufhören.“

Er studierte mich mit seinen Augen und dann schließlich ein Lächeln.

„Ok ich werde sehen, was sich machen lässt. Meine Sekretärin gibt ihnen meine Nummer. Rufen sie mich in drei Tagen an.“

Lächelnd stand er auf, wir schüttelten uns die Hände ( oh mein Gott ist das ein blöder Ausdruck in Deutsch – sorry ) und er führte mich raus zu seiner Sekretärin und dafür war ich dankbar. Sie musste ihren Ärger schlucken, mir mit lächelndem Gesicht die Telefonnummer aufschreiben, weil er neben mir stand und wartete. Dann schnell raus aus dem Büro.

Draußen vor der Tür ein großes durchatmen, das ist besser gelaufen als ich mir das vorher vorstellen konnte. Hier hatte ich eine richtige Chance. Auf ein paar Tage kam‘s jetzt nicht mehr an und so fuhr ich zurück nach Herten.

Drei Tage später natürlich der Anruf. Er nahm sofort ab.

„Sie sind angenommen. Kommen sie morgen um sich anzumelden. Wir beginnen am 1. August.“

„Sind sie jetzt zufrieden?“

„Ja sehr, Danke“ und ich konnte sein Lächeln durch die Leitung fühlen.

Meine Arbeit habe ich hingeschmissen, die Schule begann wieder und ich hatte das Glück sofort ein Zimmer im Wohnheim zu bekommen, neben dem riesengroßen Stück Rasen hinter dem Hauptgebäude. Zwei super Jahre folgten jetzt.

Ein Leben

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