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Literatur und Sprache – ein enger „Kreis der Wissenschaften“

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Prosa-Autoren standen eher im Hintergrund. Sie waren eine Domäne des Rhetors. Das trifft auch auf die griechische „Abteilung“ zu, den Unterricht beim grammaticus Graecus, der in der Regel wohl eine Personalunion mit dem grammaticus Latinus bildete. Griechisch war die Sprache der Gelehrten, im Osten des Imperium Romanum auch die Volkssprache. Sie musste nicht zwangsläufig Gegenstand des Unterrichts auf der „Grammatik“-Stufe sein, war aber als Grundlage für eine anschließende Rhetorikausbildung unabdingbar und gehörte zur höheren Bildung in ähnlicher Weise wie heute das Englische. Der Griechischunterricht konzentrierte sich vor allem auf Homer, den Dichter schlechthin, sowie den Komödiendichter Menander und die großen Tragiker des 5. Jahrhunderts v. Chr. (Aischylos, Sophokles, Euripides).

Als zentrale Bildungsziele des Unterrichts beim grammaticus nennt Quintilian die recte loquendi scientia et poetarum enarratio30, „Sprachlehre und Dichtererklärung“. Der Unterricht kannte keine Einzelfächer wie Geographie, Geschichte oder Naturwissenschaften. Diese „Sachkunden“ wurden nur herangezogen, wenn sie zur Interpretation eines Verses oder einer Passage benötigt wurden. Sie waren also keine systematisch aufbereiteten und kontinuierlich unterrichteten Fächer, sondern allenfalls isolierte Wissensinseln ohne Brücken und Vernetzung, von der Mythologie vielleicht abgesehen, die schon als ganzes „Konstrukt“ gelernt wurde. Damit fehlte den „Sachkunden“ jedes Eigengewicht, sie waren gleichsam nur Zulieferer für die exakte, oft penible und bis ins Einzelne gehende Klassikerlektüre. Wer tiefer in eine Sachmaterie eintauchen wollte, musste später entweder autodidaktisch weiterarbeiten oder sich einem prominenten Fachgelehrten anschließen. Wenn man so will, gehörten diese Fächer zu einer Art Berufsausbildung, waren aber nicht Teil der schulischen Allgemeinbildung, die ganz auf die litterae setzte.

Die Bildungstheorie der enkýklios paideía, des „Kreises der (sieben) Wissenschaften“ – Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik –, die inhaltlich weitgehend mit der Vorstellung von den artes liberales, den „eines Freien würdigen Wissenschaften“, zusammenfällt, hat im Alltag der römischen Schulen nie recht Fuß fassen können. Wo sie überhaupt – vor allem in der Spätantike – Berücksichtigung fand, dominierte das traditionelle „Trivium“ aus Grammatik, Rhetorik und Dialektik. Das Quadrivium der vier anderen Disziplinen trat stets in den Hintergrund.

Dass diese Disziplinen – eine von ihnen, mehrere oder gar alle – in der einen oder anderen Schule stärker im Unterricht behandelt wurden, ist nicht ausgeschlossen. Im Wesentlichen aber blieb die Ausbildung in diesen Fächern – wie auch in der Philosophie – der Eigeninitiative des Lernenden überlassen. Das Zeugnis des Apuleius über seinen Bildungsgang im 2. Jahrhundert ist gerade wegen seiner sentenziös-anschaulichen Formulierung eindeutig: Er vergleicht die Bildung mit Weinkrügen oder Kelchen (creterrae; „Mischgefäße“): Der erste wird beim litterator geleert, der zweite beim grammaticus und der dritte beim Rhetoriklehrer. „Ich selbst habe in Athen noch andere Krüge getrunken“, setzt Apuleius nicht ohne Stolz als persönliches Bildungs-Additum hinzu und zählt Geometrie, Musik, Dialektik und Poetik als zusätzliche Fächer auf.31 Da dieses Buch, abgesehen von dem Quintilian-Kapitel, die „reale“ Schule zum Gegenstand hat, wird auf die Darstellung theoretischer Konzepte wie das der enkýklios paideía verzichtet.

Lernen und Leiden

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