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Kapitel 3 1963

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Meine Mutter wollte mir unbedingt einen Vater geben. Denn, wie sagte man damals so schön:

Das Kind braucht einen Vater, sonst wird nichts aus ihm.

Ja, aber ich sage heute, lieber keinen Vater, als den falschen. Wobei ich auch hier nicht zu hart urteilen sollte, mein Stiefvater war zwar Alkoholiker, aber er hat uns nie etwas getan! Wenn er betrunken war, ist er einfach umgefallen, dann konnten wir zwar immer sein Blut oder das Erbrochene aufwischen, aber gewalttätig ist er nie geworden. Die Heirat meiner Mutter hatte leider auch einen Umzug zur Folge, wir zogen zu meinem Stiefvater ins Sauerland.

Der Unterschied zwischen dem Sauerland und Bayern liegt in der Sprache und die war ein großes Handikap für mich. Man stelle sich nur einen Bayern im Sauerland vor! Spricht und schreibt kein bisschen Hochdeutsch. Alle haben sich halb totgelacht und ich wurde zum Klassenclown. Das funktionierte auch ganz gut, zumindest in meiner Klasse. Aber eine Lösung für immer war es nicht, da ich mich in dieser Rolle überhaupt nicht wohl fühlte. Auf Dauer musste ich mir etwas anderes einfallen lassen, es kam mir auch schon so eine Idee.

Da mein Weg über einen einsam Waldweg führte, dachten die anderen immer, sie könnten mir auflauern, mir Angst machen oder mich sogar aus Spaß verprügeln. Das ging eine Zeitlang so, bis ich die Nase voll hatte und ich mir dachte:

‚Dreh doch mal den Spieß um und erschrecke sie so richtig.‘

Im Wald und in der Natur kannte ich mich sehr gut aus. Ich bin oft alleine durch Wald und Flur gestreift und habe meinen Instinkt geschärft, diese Kenntnisse habe ich mir zunutze gemacht.

Unser Schulweg führte über einen Berg, links vom Weg ging es steil bergab und rechts gab es eine steile Felswand.

Ich übte so lange in der Felswand, bis ich diese schnell und sicher erklettern konnte. In den nächsten Tagen sammelte ich mir Steine, die ich in den verschiedenen Nischen der Felswand zu kleinen Häufchen stapelte und sicherte sie so, dass sie jederzeit mit einem Handgriff gelöst und in die Tiefe stürzen konnten.

Es war ein nasser, nebeliger Tag, genau der richtige Zeit-punkt, um meinen Plan zu verwirklichen. Sie jagten mich wieder auf dem Weg zur Schule über den Waldweg, bis sie vor lauter Nebel nichts mehr sehen konnten. Ich hörte sie laut und aufgeregt hinter mir reden. Weil sie nichts mehr von mir sehen konnten, riefen sie nach mir:

„He, wo steckst du?“, und ich antwortete ihnen:

„He, wo seid ihr denn? Passt auf, hier gibt es Wald- und Nebelgespenster, die fressen kleine Kinder!“

So schnell ich konnte, lief ich den Hang hinauf und fing an zu klettern, dabei machte ich sonderliche Geräusche, um denen unter mir ein wenig mehr Angst zu machen. Beim ersten Steinhaufen gab ich geräuschmäßig noch ein wenig hinzu und löste die Sicherung. Wenn ich es selbst nicht besser gewusst hätte, hätte ich es auch mit der Angst bekommen. Meine schauerlichen Geräusche, die in der Felswand widerhallten und die fallenden Steine, die sich wie springende Geister anhörten, das war schon unheimlich.

Das war schon toll, ich war stolz auf mich. Aber zum Freuen blieb mir keine Zeit, ich musste schnell weiter, denn der nächste Steinhaufen wartete und dann noch einer. Endlich war ich oben. Unten hörte ich die Kerle ängstlich nach mir rufen, sie versuchten schnell, diesen Bereich des Weges hinter sich zu lassen, was, Gott sei Dank, im Nebel nicht ganz so schnell ging. Sie liefen gegen Bäume und einen Zaun und taten sich, oh wie schade, ganz schön weh.

Jetzt musste ich aber schnell wieder runter zum Weg. Hier oben war der Nebel nicht ganz so dicht und ich kam gerade noch rechtzeitig unten am Weg an, ich hörte schon wie sie hinter mir angerannt kamen.

„He, hast du das auch gehört?“, fragten sie mich. Ich tat ganz cool und sagte:

„Wenn ihr das Gemurmel meint, das war doch wirklich nicht der Rede wert.“

Das war der kleine Anfang der erhofften Veränderung. Langsam sah man mich mit anderen Augen, man sprach mich jetzt nur noch mit dem Vornamen an. Beim Spielen glänzte ich durch waghalsige Sprünge bergab über Stock und Stein und durch mutige Kletterpartien. So machte ich mir so langsam einen Namen als „der Verrückte“.

Tja, das war aber auch der Anfang eines weniger rühmlichen Kapitels in meinem Leben, wie alles hatte auch diese Geschichte eine gute und eine schlechte Seite. Da wir in einer Kleinstadt lebten, in der für die Jugendlichen nichts geboten wurde, gründeten sich so nach und nach Gruppen in den einzelnen Stadtvierteln, heute würde man Banden dazu sagen.

Wir gründeten die Gruppe „Cats” und bestanden aus Jungen und Mädchen, die nicht älter als zwölf bis sechzehn Jahre alt waren, dafür waren wir aber bekannt und gefürchtet als beweglich und schnell, wir waren wie Katzen. Außerdem hatten wir Waffen, die wir auch perfekt beherrschten. In unserem Waffenarsenal befanden sich Pfeile und Bogen, Speere und natürlich Steinschleudern. Was aber der absolute Höhepunkt war, wir hatten ein Lager, das fast uneinnehmbar war. Dieses Fleckchen Erde hatte ich während meiner Streifzüge durch die Wälder erkundet und ausgesucht und man hatte mich auch mit der Planung und Durchführung des Ausbaus betraut.

Der große Vorteil an dieser Aufgabe war, ich musste nicht die schmutzige Arbeit des Aushebens und Buddelns tun.

Unser Lager befand sich oberhalb einer Fabrik im Berg versteckt. Von diesem Berg ging das Gerücht um, es sollte ein Eingang zu einem unterirdischen Lager aus dem zweiten Weltkrieg geben. Den wollte ich bei Gelegenheit suchen und erforschen.

Das Lager war nur von oben oder unten zu betreten, von unten kommend lag rechts ein Steilhang, so dass selbst ich Probleme hatte, hier heraufzuklettern. Sollte es doch jemand versuchen, so wäre er ein schönes Ziel für unsere Steine gewesen. Links lagen drei Teiche, die terrassenförmig angelegt waren. Auf dieser Seite gab es schon mal kein Durchkommen, da die Teiche sehr tief und kalt waren. Im Bereich zwischen den Teichen und dem Abhang bauten wir Höhlen und Unterstände. Diese waren so gut gebaut und getarnt, dass man sie von oben oder unten nicht sofort erkennen konnte. So waren wir rundherum gut abgesichert. Als Noteingang und Ausgang benutzten wir den mittleren Teich. Hier hatten wir, wie eine Hängematte, einen Steg unter der Wasseroberfläche und nicht erkennbar verlegt und auf beiden Seiten vertäut.

Das war der Stand als, wie sollte es auch anders sein, die einzelnen Banden sich ausdehnen und vergrößern wollten. Wir hatten in dieser Expansionsphase zuerst kein Problem mit den anderen, aber wir beobachteten sie mit Argusaugen und verbesserten laufend die Sicherheit unseres Lagers. In den Augen der anderen Banden waren wir nicht wichtig genug und so verausgabten sie sich untereinander mit ihren Bandenkämpfen.

Bis, ja bis eine Bande unser Gebiet benötigte, um an eine andere Bande heranzukommen. Wir lagen mitten in der Kampfzone der beiden Gruppen und damit wir rechtzeitig ihr Kommen bemerkten und unsere Leute sammeln konnten, musste immer einer im Lager sein, um zu beobachten.

Wir erstellten einen Zeitplan, schon früh am Morgen begann die erste Schicht und erst, wenn es dunkel wurde, gingen wir nach Hause. Nicht aber, ohne uns abzusichern, wir bauten um das Lager eine Sicherung bestehend aus Signalleinen, die man automatisch durchriss, wenn man den Weg zu unserem Lager benutzte. Dadurch konnten wir feststellen, ob jemand in der Nähe unseres Lager gewesen war.

Um einen weiten Überblick zu haben und um unsere Leute so schnell wie möglich über das Kommen der feindlichen Banden zu informieren, hatten wir auf dem Baum, der in der Mitte unseres Lagers stand, eine Beobachtungsplattform gebaut. Hier wurde noch eine Art Flaggenmast angebracht, um sofort eine Signalflagge hissen zu können, wenn der Feind kam. Unten in unserer Straße, in der wir alle lebten, konnte man das Signal dann erkennen und unsere Leute waren informiert und würden sofort ins Lager kommen.

Die Schule wurde langsam zur Nebensache, es gab ja Wichtigeres zu erledigen. Ich saß die halbe Nacht in meinem Zimmer unterm Dach des Wohnhauses am Fenster und grübelte über alles Mögliche nach.

Wie können wir uns verteidigen und sichern, wenn die „Großen” kommen? Aus welcher Richtung würde ich kommen? Mit wie vielen Personen würden sie angreifen? Was würde ich für Waffen dort im Berg einsetzen?

Zu unserer Gang gehörte auch Peter, sein Vater war Boxer und er hatte sogar schon mit Max Schmeling im Ring gestanden. Das war ein Vorteil für uns, so konnte uns Peter ein paar Boxtricks zeigen und wie man schnell jemanden kampfunfähig machen konnte. Wir trainierten jeden Tag und lernten auch Nahkampftricks.

Hätten wir so viel Elan in die Schule gesteckt, wie in unser regelmäßiges Training, wir hätten alle mit der Note zwei geglänzt. Aber es gab noch mehr zu tun, wir mussten unser Gebiet immer weiter sichern und zur Verteidigung vorbereiten.

Unterdessen war unsere Bandenstärke auf zwanzig Personen, darunter auch sechs Mädchen, angestiegen. Die Führungsgruppe bestand aus drei Jungen und zwei Mädchen. Entscheidungen, die die Bande betraf, wurden von dieser Führungsgruppe getroffen, der ich auch angehörte. Probleme gab es damit keine, da wir uns ziemlich einig waren und unsere kostbare Zeit nicht durch Abstimmungen vertun wollten.

Der Ausbau des Lagers sollte durch eine letzte Aktion abgeschlossen werden. Wir suchten uns dazu kräftige, aber noch biegsame Baumstämme zusammen, gruben das untere Ende in die Erde und bogen die Spitzen Richtung Berg, dort sicherten wir sie durch Pflöcke und Seile so, dass sie durch einen Slipknoten oder durch Stolperfallen ganz schnell ausgelöst werden konnten und hochschnellten. So bildeten sie einen Zaun um das Lager. Im unteren Bereich bogen wir die Stämme nach unten, dadurch hatten wir auf beiden Seiten einen Schutzzaun.

Über diese gebogenen Stämme legten wir Blätter und Zweige als Tarnung. Sie sahen wie kleine Hügel aus, was ja nicht auffällig war. Solche Hügel gab es im Berg des Öfteren. Es gab nur einen Weg ins Lager, ohne diese Sicherungen auszulösen, den nur wir kannten und der führte ganz dicht am Abgrund vorbei.

Das waren unsere Sicherungen von oben und unten, damit keiner ins Lager kommen konnte. Jetzt fehlte nur noch etwas, um sie zu verjagen, wenn sie einmal am Zaun wären und zwar in die Richtung, die wir gern hätten. Dazu sammelten wir diese Einkaufsnetze, welche es immer in den Geschäften gab, schnitten in den Boden ein Loch, flochten dieses Loch dann wieder mit Seilen so zu, damit sie dann ganz schnell mit einem Ruck an dem länger gelassenen Seil wieder zu öffnen waren.

Diese Seile hatten wir so lang gelassen und ins Lager verlegt, sodass wir die Netze durch einen kräftigen Ruck öffnen konnten. Dann wurden Steine in die Netze gelegt und an den Griffen in die Bäume hochgezogen, sodass sie vor dem Zaun hingen. Wir entwickelten ein System, um die Schnüre auch nicht durcheinander zu bringen und beschrifteten sie. So hatten wir einen richtigen Waffenstand, in dem zwei Personen Platz hatten und der von oben und unten uneinsehbar war. Die Kommunikation zu dem Waffenstand lief über Späher, die in der Mitte des Lagers und auf unserem Hochstand waren und den Waffenstand dirigieren konnten.

So waren wir gut vorbereitet und ganz stolz auf unsere waffentrotzende Burg, außerdem hatten wir dann noch Speere und Steinschleudern an gewissen taktischen Stellen hinterlegt, um sie schnell zur Hand zu haben. Jeder von uns wurde in seine Aufgaben eingewiesen und wir übten immer wieder die Abläufe, denn nur so konnten wir auch in Stresssituationen einen klaren Ablauf gewährleisten. Dann war es so weit, es kam nicht unbedingt überraschend, aber so wie es kam, damit hatte dann doch keiner gerechnet.

„He, ihr Luschen! Heute seid ihr dran, wir machen euch platt und übernehmen euer Gebiet. Haut am besten gleich ab, dann tut es nicht so weh!“

Das war der Ruf am frühen Morgen, den wir nicht erwartet hatten. Es war die zweite Liga und wir hatten eigentlich mit der ersten gerechnet. Wir dachten, als erstes kommen die Großen, aber nein, uns machte die zweite Liga eine Kriegserklärung. Die, wie wir dachten, nach uns von den Großen angegriffen werden sollten. Statt sich ruhig zu halten, rissen sie ihr Maul auf. Na ja, gegen Dummheit und Großspurigkeit ist eben kein Kraut gewachsen. Wir waren recht zuversichtlich, was die kommende Auseinandersetzung betraf. Dumm war nur, dass wir jetzt auf jeden Fall zwei Späher an die Grenze der Großen schicken mussten, um uns auch von dieser Seite abzusichern.

Denn dumm waren die bestimmt nicht und so ein paar siebzehn- bis zwanzigjährige Jungs konnten schon ein gewaltiges Kraftpotenzial darstellen. Wir durften uns auch nicht durch Verletzungen außer Gefecht setzten lassen, denn wir hatten schon mehrmals beobachtet, wie sich die Großen während oder nach einem Kampf von rivalisierenden Gruppen den Rest einfach schnappten und damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hatten. Man hatte dann zwei Möglichkeiten, sich ihnen anzuschließen oder sich geschlagen zu geben, im wahrsten Sinne des Wortes. Uns sollte es nicht so ergehen, da waren wir uns alle einig.

Noch einmal überprüften wir unseren durch den mittleren Teich gebauten Notausgang. Man musste schon genau wissen, wo der Steg verlief, um nicht in die eiskalten Fluten abzutauchen. Wir waren bereit! Versteckt in den Höhlen und Unterständen warteten wir ab und beobachteten unser Gebiet, ohne auf das Rufen der Bande zu antworten.

Dann kamen sie angeschlichen, von oben und von unten. Sie dachten wohl, dass sie besonders clever seien, uns von beiden Seiten anzugreifen. Sie schauten sich sichernd und suchend nach allen Seiten um, das war ein Anzeichen dafür, dass sie das Gebiet und unser Lager nicht genau kannten. Ein unglaublich törichtes Verhalten, denn ein Angriff ohne vorherige Ausspähung war nahezu tödlich.

Kurz vor den Sicherungen angekommen, sahen und bemerkten sie immer noch nichts! Sie befanden sich nun unmittelbar vor unserem „Auslösemechanismus“ für den Zaun. Lauernd blieben sie stehen und sahen sich um, dann stand der Anführer auf und rief seinen Leuten unten zu:

„He, Dieter, seht ihr sie?“

Auf der anderen Seite wurde sofort geantwortet:

„Nein! Ich kann sie nicht sehen, wo sollen sie sein, hast du gesagt?“

„Die müssen hier irgendwo sein, lasst uns weitersuchen.“

Das war der Moment als beide, Dieter von unten und ihr Anführer von oben kommend, einen Schritt zu weit gingen. Es hallte ein Surren durch den Wald und beide Barrieren entspannten sich wie ein Bogen, auf dem ein Pfeil abgeschossen wurde. Der Zaun stand wie eine Schutzmauer zwischen uns. Sie waren so überrascht, dass erst einmal keine Reaktion erfolgte und sie vor Schreck einen Schritt zurückgingen. Dann rief Klaus, ihr Anführer:

„He Dieter, wir haben sie, reißt den Zaun um!“

Dieter schaute sich um und rief fragend:

„Aber wo sind sie denn?“

„Da drinnen natürlich, in der Falle“, kam die Antwort.

Jetzt folgte der zweite Fehler, sie gingen weiter an den Zaun heran und standen genau unter den Steinnetzen. Unser Späher gab das Zeichen und es wurden drei Seile für den oberen und den unteren Bereich gezogen. Es musste eine schmerzliche Überraschung gewesen sein, denn so ein paar Steine, die auf den Kopf prasselten, das tat schon ganz schön weh und erzeugte Kopfschmerzen. Es reichte aus, um die erste Fluchtreaktion auszulösen. Um ihren Rückzug noch zu beschleunigen, setzten wir auch unsere Steinschleuder ein. Das zeigte Wirkung! Sie rannten wie um ihr Leben. Wir öffneten eine Tür in dem unteren Zaun und jagten, mit ein paar Jungs von unserer Gruppe, den Flüchtigen hinterher. Der Rest blieb im Lager und sicherte weiter unser Revier.

Ich lief, eigentlich war es eher ein Springen, den Hang hinunter, der Gruppe von Dieter hinterher und war meiner Gruppe schon etwas voraus, als Dieter sich umdrehte, mich sah und seinen Leuten zurief:

„He Jungs, den schnappen wir uns jetzt!“

Alle drehten sich um und schauten zu mir, mein Schwung war so stark, dass ich nicht mehr abbremsen konnte und mitten unter ihnen landete. Mein erster Gedanke war:

‚Scheiße, jetzt haben sie dich, warst mal wieder zu schnell.‘

Nun ist es aber so, wenn sich mehrere Personen auf eine einzelne stürzen, wird es eng. Ich machte mich klein und ging etwas in die Hocke, damit verkleinerte ich noch mehr die Fläche, die ich dem Feind darbot und sie behinderten sich gegenseitig damit, an mich heranzukommen.

Als sie wie eine Traube über mir hingen, spannte ich meinen Körper an und stand blitzartig auf, sie wurden wie durch eine Explosion von mir geschleudert und boten somit meinen mir folgenden Jungs ein gutes Ziel. Jetzt hagelte es Steine und es wurden die Speere als Schlagwaffen eingesetzt.

Dieters Gruppe suchte das Weite und wir verfolgten sie nicht weiter. Wir hatten genug erreicht und wollten uns nicht noch weiter von unserem Lager entfernen und traten den Rückweg an. Gott sei Dank rechtzeitig, denn kaum waren wir im Lager angekommen, da gab es auch schon eine neue Alarmmeldung von unseren Spähern aus dem oberen Bereich.

„Die Großen kommen!“

Wir schauten uns an und wussten, jetzt wird es erst richtig ernst. Wir nahmen unsere Posten wieder ein und hielten uns ruhig. Dann sahen wir sie! Ruhig und gelassen kamen sie nebeneinander den Hang herunter. Sie wussten genau, wo wir waren und wo die Netze hingen, das konnte man daran erkennen, wo sie stehenblieben und wie sie sich umsahen. Was mich wunderte war, sie hatten nichts in den Händen, keine Waffen. Dann löste sich einer aus der Gruppe und kam noch näher, in den Bereich der Netze. Wir wussten, wer er war, wer kannte Wolfgang nicht, Chef der größten und stärksten Gang dieser Stadt, den „White Angels”. Er schaute nach oben und dann zu uns und sagte:

„Ihr habt das doch wohl im Griff? Ich möchte keinen dicken Kopf bekommen! Wer ist euer Boss?“

Wir brauchten uns nicht abzusprechen, wir waren Fünf und wechselten uns immer ab, wer nach außen als Chef auftrat.

Das machte die anderen meistens unsicher, heute war ich als Sprecher ausgesucht worden. Ich ging zum Zaun und sagte:

„Was willst du, Wolfgang? Wieder abstauben, was die anderen zurückgelassen haben? Das wird aber diesmal nicht so einfach werden.“

„Nein, das wollte ich eigentlich nicht tun. Ich wollte mit euch reden und euch ein Angebot machen.“

„Was für ein Angebot?“, fragte ich zurück.

„Hat doch kein Zweck, sich gegenseitig den Kopf einzuschlagen “, und er sah dabei hinauf zum Netz, „das Angebot, das wir machen wollen, ist, dass wir uns zusammentun.“

„Du meinst uns einfach so zu übernehmen, ohne große Anstrengung“, gab ich zurück.

Wolfgang grinste und antwortete:

„Ich kann euer Misstrauen verstehen, wir meinen aber, uns wirklich gleichberechtigt zusammenzutun. Aber müssen wir das hier besprechen? Wollen wir uns nicht zusammensetzen?“

„Wolfgang, du kannst dir sicher vorstellen, dass wir etwas skeptisch sind. Wer weiß, ob du uns nicht eine Falle stellst.“ „O.K. Kalle, ich mache folgenden Vorschlag“, verwundert stellte ich fest, dass er meinen Namen kannte, „ich gebe euch meine Schwester als Pfand und wenn wir unser Gespräch beendet haben, lasst ihr sie wieder frei. Egal wie wir uns einigen. Geht das in Ordnung?“

Fragend blickte ich mich zu meinen vier Mitstreitern um. Wir hatten, um uns schnell und geheim abstimmen zu können, einen aus drei Zeichen bestehenden Geheimcode entwickelt, dessen Bedeutung für Außenstehende nicht verständlich war. Zeige- und Mittelfinger der linken Hand ausstrecken bedeutete: Ja, die rechte Hand zur Faust ballen bedeutete: Nein und beide Hände zusammen hieß: Enthaltung.

Ich sah sie mir an, es gab zweimal Ja einmal Nein und einmal Enthaltung, was so viel war hieß wie ich weiß nicht. Ich machte das Zeichen mit der linken Hand und drehte mich um.

„In Ordnung Wolfgang, lass deine Schwester hereinkommen.“ Wolfgang machte ein Zeichen mit der Hand und aus der Gruppe hinter ihm löste sich ein Mädchen. Ich schätzte so um die vierzehn Jahre alt. Sie kam zum Zaun und wartete. Ich beobachtete, immer noch auf der Hut, den Vorgang aufmerksam, dann fragte ich:

„Wo wollen wir uns treffen, Wolfgang?“

„Was hältst du davon, wenn wir uns in einer Stunde in der Eisdiele in der Stadt treffen? Aber nur wir beide, Kalle. Draußen auf der Straße dürfen nicht mehr als sechs eurer Leute stehen.“

Ich willigte ein und Wolfgang verabschiedete sich mit einem

„Tschüss bis gleich.“

„Bis gleich“, antwortete ich.

Er drehte sich um und ging mit seinen Leuten bergauf davon. Seine Schwester wartete vor dem Zaun, ich gab das Zeichen den Eingang im Zaun zu öffnen. Zwei unserer Jungs nahmen sie dort in Empfang und führten sie in eine unserer Höhlen, in der sie das Ende unserer Mission abwarten sollte.

Wir setzten uns zusammen und überlegten, was da auf uns zukommen könnte. War Wolfgang ernsthaft an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert oder wollte er nur ein paar Leute von hier abziehen, um dann anzugreifen? Aber er würde ja wohl auf keinen Fall seine Schwester in Gefahr bringen. So beschlossen wir, dass noch drei weitere Mitglieder der Führung und drei aus der Gruppe mit mir nach unten in die Stadt gehen sollten.

Oft hatten wir den schnellen Aufbau eines Signal-, und Meldeweges von und in die Stadt geprobt, nun wurde er erstmals für den Ernstfall eingerichtet.

So waren wir in der Lage, falls Wolfgang doch ein falsches Spiel mit uns trieb, sofort eine Meldung ins Lager zu senden. Oder auch umgekehrt, falls das Lager angegriffen werden sollte, dass eine Meldung zu uns in die Stadt kam. Das kostete uns zwar ein paar Mädels, die diesen Meldeweg aufbauten und die dann im Lager fehlten, aber wir fanden es besser und sicherer so.

Jetzt konnte es losgehen, wir gingen durch die Stadt und fühlten uns unheimlich stark. Wir formierten uns auf der Hauptstraße zu einem Dreieck, dessen Spitze ich bildete. Entgegenkommende Passanten sahen uns furchtsam an und gingen uns erschrocken aus dem Weg. Vor der Eisdiele standen schon sechs von Wolfgangs Jungs und warteten. Die drei aus meiner Führungsriege und ich blieben vor der Eisdiele stehen, der Rest verteilte sich, unter den argwöhnischen Blicken der „White Angels”, über die Straße.

Ich betrat die Eisdiele und sah Wolfgang allein in einer Ecke sitzen.

‚Der hat die Eisdiele räumen lassen‘, dachte ich mir, ‚damit wir in Ruhe reden können.‘ Dafür, dass keiner mehr reinkam, würden seine Leute schon sorgen. Die Bedienung nahm meine Bestellung auf, brachte sie und verschwand nach hinten. Wir waren allein und Wolfgang sagte:

„Die Rechnung geht auf mich.“ Ich bedankte mich und begann das Eis zu löffeln.

„Was meinst du denn dazu, dass wir uns zusammentun wollen?“, fragte mich Wolfgang, währen er sein Eis schleckte.

„Wir finden es gut, denn nur gemeinsam sind wir stark“, sagte ich und beobachtete ihn gespannt.

„Richtig! Es nutzt uns nichts, wenn sich die Geschlagenen uns anschließen, weil sie keine andere Wahl haben, das ist immer eine unsichere Sache. Bei der erstbesten Gelegenheit rotten sie sich

wieder zusammen und arbeiten gegen uns. Solche Leute kann ich aber nicht gebrauchen, ich habe Größeres vor, als kleine Bandenkriege in der Stadt zu führen.“ Jetzt wurde ich doch so langsam hellhörig und ich vergaß sogar das Eis zu essen.

„Das leuchtet mir ein, aber wie soll es jetzt nach deiner Meinung weitergehen?“, fragte ich ihn.

Er setzte gerade zu einer Antwort an, als einer seiner Leute hereinkam und sich über ihn beugte, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Er hob den Kopf und sah mich kritisch an.

„Was machen deine Leute da draußen?“, stellte er mir mit durchdringendem Blick die Frage. Er meinte wohl die Aktivitäten der Mädels zum Aufbau der Meldelinie.

„Keine Sorge, das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme zu unserer Sicherheit”, antwortete ich ihm und hielt seinem Blick stand. Er machte ein Zeichen und sein Mann ging wieder nach draußen.

„Bist wohl immer sehr vorsichtig und vorausschauend?“, fragte er weiter.

„Ja, das ist doch nur normal. Alles durchdenken und abwägen, dann erst entscheiden.“

Wolfgang entspannte sich wieder und sagte:

„Ja, ich habe schon bemerkt, dass du so vorgehst und dass du es bist, der bei euch alles organisiert und ausarbeitet!“

Da es keine Frage war, antwortete ich auch nicht darauf und sah ihn weiter ruhig an.

„Also! Gut, wir machen euch folgendes Angebot. Ihr schließt euch uns als selbstständig arbeitende Abteilung an. Alle Einsätze werden durch uns koordiniert und abgesprochen.“ Er bemerkte meinen Unwillen und fuhr schnell fort:

„Du und ein weiteres Mitglied eurer Gruppe seid als Vertreter eurer Abteilung bei mir in der Führungsspitze dabei, damit ist gewährleistet, dass ihr auch ein Mitspracherecht habt und immer auf dem Laufenden seid, was gerade abgeht.“

Jetzt war ich sprachlos, mit diesem Angebot taten sich ganz neue Möglichkeiten für uns auf. Ich fragte ihn:

„Wie viele der Gruppierungen arbeiten freiwillig bei euch mit?“

„Ohne euch sind wir jetzt zwei Gruppen, ihr fehlt noch, der Rest ist unwichtig für uns und muss sich anpassen oder untergehen. Wenn du zusagst, vereinen wir vier der größten und besten Gruppen in der Stadt. Dann kann uns eh keiner mehr was. Das sind dann gut hundert Mann, da spielen die paar Mitläufer, die abspringen könnten, keine Rolle mehr“, er machte eine kleine Kunstpause, „also, was meinst du, kannst du dir vorstellen, dass wir uns zusammentun? Brauchst du noch Bedenkzeit oder musst du dich mit den anderen absprechen?“ Er sah mich an und grinste.

„Aber wie ich euch kenne, habt ihr schon alles abgesprochen, habe euch ja lang genug beobachtet und muss sagen, dass ihr ein tolles System in der Gruppe habt. Ich würde gern einiges übernehmen und von dir erklärt bekommen.“ Ich sah ihn nachdenklich an und überlegte:

‚Es konnte eigentlich für uns nicht besser kommen. Ohne eine richtige Auseinandersetzung, Verletzte oder gar Verluste, an die Spitze zu kommen, war ein unerwarteter Glückstreffer für uns.‘ Ich streckte ihm die Hand entgegen und sagte:

„Gut Wolfgang, darauf ein Handschlag und wir sind uns einig. Ab sofort, oder benötigst du Zeit, deine Jungs zu informieren?“ Er lachte mich an und antwortete:

„Wir haben auch ein funktionierendes Nachrichtensystem. Sowie ihr im Lager seid und meine Schwester freigelassen habt, wissen meine Leute auch schon Bescheid. Willkommen im Club. Willkommen bei den „White Angels.”

Er stand auf, ging zum Tresen und bezahlte die Rechnung. Bevor er zur Tür raus ging, drehte er sich noch einmal um und sagte zu mir:

„Die erste Versammlung der Führung ist übermorgen um fünfzehn Uhr im „Burgfried”. Tschüss, bis dann“, und er ging sichtbar zufrieden hinaus. Der „Burgfried” war eine Kneipe und das Hauptquartier von Wolfgangs Gang. Ich ließ mir noch etwas Zeit und genoss die Kühle der Eisdiele. Dann folgte ich ihm nach draußen. Auf der Straße standen nur noch meine Leute und warteten auf mich.

„Gebt das Zeichen, dass die Schwester von Wolfgang freigelassen werden kann und hebt die Alarmbereitschaft auf“, sagte ich zu meinen Leuten, „wir haben uns geeinigt und wir tun uns zusammen. Mehr gleich oben im Lager. Gehen wir!“

Wir formierten uns wieder und marschierten zurück ins Lager. Als wir oben im Lager ankamen, war alles wieder auf den normalen Status gebracht worden. Wolfgangs Schwester war schon nach Hause gegangen und die Leute warteten alle neugierig auf weitere Informationen. Als wir alle zusammen saßen, erstattete ich Bericht. Erzählte alles, was mir Wolfgang auch mitgeteilt hatte und auch vom ersten Treffen. Sie waren alle mit dieser Entscheidung und der Situation einverstanden und zufrieden.

Besser konnten wir es wirklich nicht haben. Ohne große Auseinandersetzungen und Kämpfe an die Spitze zu kommen und sogar in der Führung ein Mitspracherecht zu haben, war schon toll.

Zu nah am Abgrund

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