Читать книгу Die Botschaft - Karlheinz Vonderberg - Страница 11
Dr. PETERSEN
Оглавление„Wir sollten unsere Außenstelle in Handeloh etwas attraktiver machen, Werner“, meint Monika Stolz und zeigt auf die Zahlen in der Statistik. „Auch wenn wir das alles ehrenamtlich erledigen, müssen wir doch immer wieder Zuschüsse beantragen, Und das Erste, was die klugen Herren aus dem Rathaus anfordern, sind die Besucherzahlen. Wir stagnieren, Werner, wenn uns der Meteorit auch einen kurzen Neuzuwachs an Besuchern beschert hat. Aber das wird schnell wieder abflauen.“
Der massige Körper von Class Petersen, promovierter Lehrer an einem Hamburger Gymnasium, bewegt sich schnell in Richtung von Monika Stolz. Natürlich ist er als ehrenamtlicher Leiter der Außenstelle Handeloh für fast alles verantwortlich, was sich dort abspielt, aber nun fühlt er sich doch zu Unrecht angegriffen. Er fährt sich mit den wulstigen Händen durch das graue Künstlerhaar, das ihm fast bis auf die Schultern fällt. Der rote Stein in seinem Lieblingsring blitzt kurz auf, füllt sein Auge und lässt seinen Mund kurz leicht lächeln. Er hat den Ring vor fast 20 Jahren von seinem Liebsten erhalten, als sie auf Lanzarote gemeinsam Urlaub machten. Es war ein heftiger Urlaub gewesen, in dem sie mehr Zeit im Bett als in den Lavafeldern verbracht hatten. Seither war er mit Lothar, einem Geiger, untrennbar verbunden. Er schüttelte kurz den Kopf, um wieder zurückzufinden.
„Was sollen wir denn deiner Meinung nach machen?“, fragt er zurück. „Der Weg aus Hamburg hierher zu uns ist einfach zu weit. DA können wir Ausstellungen, Vorträge und nächtliche Führungen veranstalten, so viele, wie wir wollen oder können. Bei der letzten Nachtexkursion kamen mal gerade fünf Menschen, die sich für den Sternenhimmel interessierten. Und uns hat das eine halbe Nacht gekostet. Oder unsere Ausstellung über die Erkundung der Planeten. Wie lange habt ihr an den Dekostücken gearbeitet? Auch da war der Erfolg übersichtlich, würde ich sagen. Auch wenn es Tage gibt, an denen wir fast ersticken, weil es bei dem Besucheransturm zu eng wird, bleiben wir dennoch die Außenstelle. Ohne die Reisebusse, die uns in ihr Programm mitaufgenommen haben, sähe das alles noch schlimmer aus.“
„Sabine und ich haben uns überlegt, dass wir uns an den NDR wenden und die Finder der Bruchstücke des Meteoriten auffordern, uns diese für ein paar Wochen zu überlassen. Dann könnten wir eine Ausstellung damit machen, und ich kann mir vorstellen, dass das viele interessieren wird.“
Sabine Keller nickt und greift nach ihrer Teetasse. Schwarzer Tee mit Sahne und Kandiszucker ist ihr Lieblingsgetränk, und in der kleinen Mitarbeiterecke in der Nebenstelle ist es ein Muss, dass Tee getrunken wird.
„Wenn wir anbieten, auch die Namen der Finder zu nennen, falls die das wünschen, werden die Eitelkeiten uns sicher helfen, an die Fundstücke zu kommen. Im Museum für Naturgeschichte könnten wir ein paar große Fundstücke aus früheren Zeiten ausleihen, und vielleicht gibt es sogar Hobbysammler, die uns ihre gesamte Sammlung für ein paar Tage überlassen.“
„Ihr wisst, dass das eine Menge Stress für uns bedeuten wird, denn wir müssen die Sammlung gut sichern. Wenn das laufen soll, dann sind wir hier das gesamte Wochenende festgebunden. Wollt ihr das wirklich tun?“
Dr. Class Petersen kennt seine Mitarbeiter genau. Monika Stolz ist ledig und immer noch an ihm interessiert, obwohl er sich geoutet hat. „Ich bin schwul und liebe einen Mann“, hatte er ihr erklärt, als sie einmal zu nahe an ihn herangerückt war. „Mehr als meine Freundschaft kann ich dir nicht bieten.“ Aber da Monika sich schon auf ihn festgelegt hatte, gab sie die Hoffnung nicht auf, ihn eines Tages doch von den Vorzügen einer Frau überzeugen zu können. Seitdem lebten sie freundlich und friedlich zusammen. Sabine Keller war mehrfache Mutter, aber ihre Kinder waren schon erwachsen und hatten das Haus verlassen. Ihr Mann übrigens auch. Das übliche Verfahren. Er muss sich noch verwirklichen und findet dazu eine junge Frau. Nun ist sie mehr oder weniger alleine und hat in der Außenstelle Handeloh einen neuen Lebensplatz gefunden. An Dr. Petersen ist sie überhaupt nicht interessiert, ja, sie verachtet ihn insgeheim wegen seiner Homosexualität. Aber das würde sie ihm nie sagen.
„Dann sollten wir so schnell wie möglich Kontakt mit dem NDR aufnehmen“, schlug Werner Petersen vor. „Am besten wäre es, jetzt sofort einmal vorzufühlen, was die von unserem Anliegen halten.“
„Das solltest du dann machen, Werner“, meinte Sabine sofort. „Mit deinem Doktortitel kommst du da am ehesten an. Wenn ich anrufe und sage, dass ich nur Herrin über meinen Herd und meine freie Zeit bin, legen die doch sofort auf.“
Class Petersen brummt mit seiner Bassstimme vor sich hin, aber insgeheim fühlt er sich geschmeichelt. Immer, wenn er sich vorstellte, als Doktor und Physiklehrer, meinten alle, sie hätten einen promovierten Naturwissenschaftler vor sich, den es in die Schule getrieben habe. So gut wie keiner weiß, dass er eine pädagogische Arbeit geschrieben hatte, die sich aber auf seine Tätigkeit als Lehrer stützte. Aber das war egal. Doktor ist Doktor.
„Dann will ich das gleich mal erledigen“, meint er und greift nach dem Telefon. Monika hat die NDR-Telefonnummer schon herausgesucht und diktiert sie mit leisen Worten. Dann wurde es das übliche Spiel. Wer sind Sie, was wollen Sie, worum geht es genau bei ihrem Vorhaben…
Dann kommt doch der große Durchbruch.
„Ich versuche, Sie mit dem Leiter Aktuelles zu verbinden, Herr Dr. Petersen. Bleiben Sie bitte am Apparat.“
Es dauert vielleicht zwei, drei Minuten, dann meldet sich Siegbert Murmel.
„Entschuldigen Sie bitte, Herr Dr. Petersen, aber die Vermittlung ha mir nur knapp erklären können, um was es bei Ihrem Anliegen geht. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Werner Petersen muss schmunzeln. Seine Mitarbeiterinnen hatten Recht. Sein Titel half ihm.
„Das mit dem Titel lassen wir mal sein, Herr Murmel. Wir sind Hamburger, das ist der größte Titel. Ich bin Leiter der Außenstelle Hendeloh in der Gesellschaft für volkstümliche Astronomie. Sie haben sicher schon von uns gehört.“
„Helfen Sie mir auf die Sprünge, Herr Petersen.“
„Unsere Gesellschaft versucht, astronomisches Wissen so aufzuarbeiten, dass es für jedermann zur Verfügung steht. Wir zerren die hohe Naturwissenschaft gewissermaßen in die Niederungen des Alltags, ohne aber irgendwie zu einfach und damit verfälschend zu wirken. Unsere Außenstelle in Handeloh organisiert auf freiwilliger Basis der Mitarbeiter Vorträge, Führungen, Ausstellungen zu Sonderthemen und Unterrichtseinheiten für Schulklassen.“
„Das finde ich sehr löblich, Herr Petersen“, äußert sich Siegbert Murmel. „Wie können wir Sie bei diesem Vorhaben unterstützen?“
„Naja, Herr Murmel, der NDR berichtet ständig über den Meteoriten und lässt die Finder der Bruchstücke zu Wort kommen. Ich habe das alles mit Freude gehört. Nun gehören wir zu denen, die leider kein Bruchstück gefunden haben. Aber es wäre von großem öffentlichen Interesse, wenn die Finder uns ihre Stücke ausleihen könnten. Dann hätte jedermann Zugang zu ihnen. Wie würden hier in Handeloh eine Ausstellung organisieren, die auch andere, längst bekannte Stücke zeigen könnte. Unsere Besucher erhalten dann einen Überblick über aktuelle und historische Funde. Das wäre doch von großem Interesse.“
„Das kann ich nachvollziehen, Herr Petersen. Aber wir haben keine Fundstücke hier bei uns.“
Werner Petersen lacht. „Das dachte ich mir schon, Herr Murmel. Aber Sie könnten einen Aufruf an die Finder starten und an sie appellieren, uns da zu unterstützen.“
„Und wie stellen Sie sich das vor?“
„Sie könnten mich interviewen, zum Beispiel. Ich erzähle von der geplanten Ausstellung und von der Garantie, die wir für die Sicherheit der Fundstücke abgeben. Jeder Finder wird namentlich genannt, wenn er da will. Wir tragen dann alles auf einer großen Karte zusammen, holen uns Informationen von der Sternwarte über den Weg des Kometen, seine Zusammensetzung, seine Bedeutung in der Kosmologie usw. Das wäre doch ein guter Weg, oder nicht?“
„Das wäre durchaus machbar, Herr Petersen. Aber Sie müssen noch meine Kollegin Silke Mehrer überzeugen. Sie ist die Leiterin der Abteilung Sonderthemen. Ich kann sie nicht übergehen, was Sie wohl verstehen. Ich stelle Sie mal durch. Meine Unterstützung haben Sie. Das ist ein gutes Anliegen, das wir vom NDR natürlich fördern wollen.“
Werner Petersen ist zufrieden. ES läuft besser, als er erwartet hatte. Auch das Gespräch mit Frau Mehrer ist sehr positiv. Man einigt sich auf eine Mischung von Interview und Reportage. Dabei sollten auch Hörer und Finder im NDR zu Wort kommen. Conrad Meyer, der für die aktuellen Programme zuständig ist, wird auch sofort eingebunden.
Werner Petersen legt den Hörer auf. Alles hat insgesamt fast eine Stunde gedauert, denn immer wieder musste er sei Anliegen erörtern und begründen. Nun ist er am Ziel. Der NDR spielt mit.
Genussvoll trinkt er den frischen Tee, den Monika Stolz aufgebrüht hat.
„Das hast du dir verdient, Werner“, wird er gelobt. „Das hast du prima gemacht. Nun überlegen wir uns eine Strategie, um an Gelder zu kommen, dann kann es losgehen.“
Nach einem einzigen Telefonat ist diese Frage auch geklärt. Die Gesellschaft für volkstümliche Astronomie wird das Vorhaben finanzieren. „Wir stellen gerne bis zu 2500 Euro zur Verfügung, wenn alles so läuft, wie Sie es geplant haben, Herr Dr. Petersen. Dann geben Sie sich morgen mal Mühe, und weisen Sie im Gespräch auf die Möglichkeit hin, bei uns Mitglied zu werden. Das ist dann ein angenehmer Nebeneffekt.“