Читать книгу Die Botschaft - Karlheinz Vonderberg - Страница 12
Astronomisches Institut der Universität Hamburg
ОглавлениеDr. Werner Kees lächelt über die Gruppe der Studenten, die ihn erwartungsvoll ansehen. Es ist sein Seminar für Fortgeschrittene, und er ist froh, dass er nicht auf historische -Funde und Daten zurückgreifen muss, um die Studenten und Studentinnen zu animieren.
„Da haben Sie ja wirklich Glück, dass dieser Meteorit über Hamburg zerbrochen und hier heruntergekommen ist“, meint er. „Es ist nämlich ein Unterschied, ob man historische Daten zu Übungszwecken heranzieht oder sich an einem aktuellen Fall messen kann. Da haben Sie es deutlich besser getroffen als ich damals im Hauptseminar. Da wollen wir doch dem freundlichen Finder, einer gewissen Frau Theresa Haupt danken, die den Fund nicht für sich behalten hat, sondern ihn uns allen zur Verfügung stellt.“ Er macht eine bedeutungsvolle Pause.
„Meine Kollegin Dr. Ehlers wird Sie und mich bei dem Unterfangen unterstützen, die vermutliche Flugbahn des Meteoriten zu bestimmen und aus den wenigen Bruchstücken, die uns zur Verfügung stehen, - es ist eigentlich nur ein einziges Teil, leider- die Eigenschaften des Himmelskörpers abzuleiten und mit den bereits bekannten Meteoriten zu vergleichen. Bedenken Sie dabei, dass wir uns im Wettstreit mit den anderen astronomischen Seminaren in Deutschland befinden, die alle möglichst schnell die Flugbahn bestimmen wollen. Da wollen wir doch nicht alt aussehen, oder?“
Wieder diese Pause, die auf etwas Wichtiges hindeutet.
„Dr. Ehlers wird sich mit einer Gruppe von Ihnen die Materialeigenschaften vornehmen. Dabei ist es wichtig, dass Sie versuchen, zumindest für die Untersuchung noch an andere Bruchstücke heranzukommen. Da könnt der NDR oder ein Aufruf im Internet hilfreich sein. Der Rest von Ihnen wird mit mir die Flugbahn bestimmen. Woher? Wohin? Gibt es noch mehr da? Das werden unsere Fragen sein.“
Er sieht zu Kathrin Ehlers hin. „Willst du dir deine Gruppe auswählen, Kathrin? Das letzte Mal habe ich auswählen dürfen. Jetzt bist du an der Reihe.“
Dr. Kathrin Ehlers steht kurz auf und lässt ihre dunklen Augen über die Studentengruppe gleiten. Sie ist bekannt dafür, immer sehr ernsthaft zu sein, stets konzentriert und alles fordernd, aber auch stets zur Hilfestellung bereit. Ihre dunklen Augen wirken unter dem fast schwarzen Haar hypnotisch, wenn sie für ein Thema Feuer gefangen hat. Sie ist die einzige Astronomin, die eine echte Ausbildung als Metallurgin hinter sich hat. „Streberin“, hieß es immer, wenn sie als Studentin irgendwo auftauchte. Sehr schnell hat sie ihre Promotion begonnen und abgeschlossen, dann eine Studienreise in den Norden der USA eingelegt und dort die erste Bekanntschaft mit „Besessenen“ gemacht, wie sich die Meteoritenjäger dort selbst nannten. Sie kennt alle Studenten und sortiert die, mit denen sie arbeiten will, mit fixiertem Blick und kurzem Nicken aus. Keiner wünscht, in der anderen Gruppe zu sein. Kathrin Ehlers ist in ihrer Art mitreißend, immer fordernd und eine Quelle von Ideen und Hilfestellungen. Noch nie hat sie einen Studenten oder eine Studentin fallengelassen.
„Dann ist ja alles geklärt, Kathrin“, führt Werner Kees fort. „Da bin ich ja froh, dass du mir alle Motivierten überlassen hast.“
Gelächter erfüllt den Raum.
„Wir beginnen so, dass wir die allgemeinen Grundlagen der Metallurgie und der Bahnbestimmung als Kurzvorträge hören, dann verteilen wir ein paar Aufträge an unsere „Eintreiber“, die sich anstrengen müssen, dass wir möglichst viele genaue Daten der Fundstellen und natürlich auch möglichst viele Objektstücke bekommen. Ich kenne Siegbert Murmel, den Leiter des Ressorts Aktuelles beim NDR ganz gut. Er wird Ihnen helfen, an Sendezeit zu kommen. Lassen Sie sich etwas Interessantes für ihn einfallen, denn er will ja auch etwas davon haben. Und denken Sie immer daran: Je intensiver und freundlicher der Kontakt zu den Findern ist, desto bereitwilliger werden sie uns ihre Funde zur Verfügung stellen. Sammeln Sie alle Informationen, die Sie kriegen können.“
„Übrigens“, ergänzt Kathrin Ehlers, „kenne ich den Koordinator für das aktuelle Programm sehr gut. Ich habe schon einmal mit Konrad Meyer zusammengearbeitet. Der ist sehr hilfsbereit, erwartet aber auch dann, als Erster über die Ergebnisse berichten zu dürfen. Das dürfte kein Problem sein.“
„Gut, Kathrin, das ergänzt sich. Lass uns in den beiden Gruppen die Einzelheiten klären, dann geht es an die Planung. Wann soll das Projekt anlaufen?“
„Natürlich sofort“, platzt es aus Kathrin Ehlers heraus. „Wir beginnen noch heute. Die Teile dürfen schließlich nicht über Ebay verschwinden. Fangen wir an!“
Ein Seminarteilnehmer meldet sich. „Wir sollten vielleicht doch im Internet nachsehen, was dort als tatsächliches oder gefaktes Fundstück angeboten wird. Die Fundorte könnten wir ohne Probleme auf diesem Weg abfragen, gewissermaßen als Absicherung, dass es ein echtes Stück ist.“
„Das ist eine sehr gute Idee“, bestätigt Kathrin Ehlers. „Das könnte uns auch einen Umkreis liefern, in dem die Fundstücke heruntergekommen sind. Ja, das sollten wir machen.“ Sie sieht zu Werner Kees, der ihr zunickt. „Übernehmen Sie das?“, fragt sie den Seminaristen.
„Thomas“, er zeigt auf einen jungen Mann, „ist Experte im Internet. Für ihn wäre das ein Klacks. Ich könnte die Fotos vergleichen und nachsehen, welche Stücke sich irgendwie ineinanderfügen. Das wäre auch eine Art Auswahl, ob es sich um echtes Material handeln kann. Ich könnte dann auch auf die Oberflächen und den Glanz achten, so gut das im Internet geht.“
Kathrin Ehlers nickt. Das Projekt läuft an. „Wer übernimmt die Kontakte zum NDR?“, fragt sie in die Runde.
„Das mache ich mal lieber selbst“, wirft Werner Kees ein. „Ich kenne die Leute dort. Das ist einfacher. Für die Interviews bilden wir dann eine AG, die sich darum kümmert, unser Anliegen gut an die Zuhörer zu bringen.“
Sie reden noch eine Weile und bilden Arbeitsgruppen. Noch in dieser Nacht wird ein Plan entworfen. Morgen wird das Projekt dann starten.
Werner Kees verabschiedet sich in sein Büro. Er hat nun ein paar Gespräche zu führen. Aber kaum ist er in seinen Räumen, klingelt schon das Telefon. Nicht sein privates Handy, sondern das Telefon der Universität. Verwundert schaut er auf die Uhr. Schon nach 19.00h, das ist ungewöhnlich. Ist da die Vermittlung nach draußen überhaupt noch besetzt?
„Kees“, meldet er sich, und seiner Stimme ist anzuhören, dass er über die Störung nicht gerade erfreut ist.
„Hier ist Susanne Minas von der Verwaltung, Dr. Kees. Ich bitte um Nachsicht, aber da ist ein Reporter, der sich nicht abwimmeln lässt. Kann ich durchstellen?“
„Wieso sind Sie denn noch im Büro?“, fragt Werner Kees zurück. „Die Arbeitszeit ist doch schon längst überschritten, oder haben Sie Langeweile ohne Ihren Job.“ Sofort wird ihm klar, dass er ziemlich unfreundlich klingen musste. Er hört, wie Frau Minas durchatmet. „Entschuldigen Sie meine miese Laune, Frau Minas. Eigentlich wartet meine Familie auf mich, aber ich muss erst noch Einiges organisieren, und wie es aussieht, wird das noch etwas dauern. Bitte nochmals um Entschuldigung.“ Er sieht das Nicken auf der anderen Seite. „Stellen Sie bitte durch.“
„Kees.“ Seine Stimme klingt immer noch nicht freundlicher.
„Hallo, Dr. Kees. Hier ist Frank Meiter von der Morgenpost. Ich bin dabei, einen Artikel über den Meteoriten zu schreiben, der über Hamburg niedergegangen ist. Ich hätte da ein paar Fragen an den Fachmann.“
Schleimer, denkt Werner Kees. Ein paar Fragen. Das kenne ich. Das wird ein ellenlanges Gespräch, und morgen lese ich dann die verkürzte und verhunzte Form in der Zeitung. Hinterher muss ich bei den Kollegen wieder alles richtigstellen.
„Aber gerne doch, Herr Meiter. Stellen Sie Ihre Fragen.“ Sein Chef hatte angeordnet, dass der Umgang mit der Presse immer und grundsätzlich freundlich gestaltet werden muss, egal, wie dumm die Fragen oder der Fragende sind.
„Ich lese Ihnen mal kurz vor, was ich bisher recherchiert habe. Wenn es falsch rüberkommt, greifen Sie bitte ein, dann stelle ich meine Fragen. Einverstanden?“
Jetzt bin ich auch noch Korrekturleser für einen Schreiberling, denkt Dr. Kees und legt sich schon mal einen Stift und ein Blatt Papier bereit. „Bitte, Herr Meiter. Das ist eine gute Idee. So werden Fehler schon im Ansatz vermieden.“ Sein Chef wird sich freuen.
Frank Meiter liest etwa eine Minute vor. Erstaunlicherweise gibt es nichts zu bemängeln. Er steigt im Ansehen von Dr. Kees ein Stück an. Er ist offenbar kein Schmierenheini, dem es nur um billige Sensation geht.
„Das haben Sie gut recherchiert“, lobt er. „Sie haben sich ja richtig in das Thema eingearbeitet. Wo soll ich da noch helfen, wenn Sie schon wie ein Fachmann schreiben.“
„Eigentlich habe ich schon ein paar Fragen, Dr. Kees. Aber danke für das Lob. Wir von der MoPo versuchen, unsere Arbeit gut zu erledigen. Unsere Leser legen darauf Wert.“ Pause. Dr. Kees will noch etwas sagen, aber Frank Meiter fährt schon fort.
„Erste Frage: Kann man aus den verschiedenen Fundorten die Flugbahn des Meteoriten rekonstruieren, und wenn, mit welcher Genauigkeit?“
„Das geht, wenn die Daten des Aufschlags und die Masse der Bruchstücke korrekt sind und der Eintrittspunkt in die Atmosphäre bekannt ist. Eine Unsicherheit gibt es immer, denn die Atmosphäre spielt eine Rolle. Sie ist nicht homogen, wie Sie sicher wissen. Außerdem müssen wir voraussetzen, dass die Geschwindigkeit des Meteoriten sich in den bekannten Grenzen für solche Objekte bewegt. Probleme gibt es bei dem Winkel, mit dem der Meteorit in die Atmosphäre eintritt. Da kann aber extrapoliert werden. Natürlich muss auch seine Masse bekannt sein und das Material, aus dem er besteht.“
„Da schließt sich gleich die zweite Frage an, Dr. Kees. Wenn wir alle Bruchstücke kennen, kennen wir dann die Ausgangsmasse?“
„Nein, nur in etwa, denn der Meteorit zerfällt in der Atmosphäre, und dabei verdampfen unter Umständen große Teile. Das hängt von der Zusammensetzung ab. Ist es ein reiner Metallmeteorit, also ein Eisen-Nickel- Meteorit, so wird die Oberfläche in der kurzen Zeit des Durchflugs durch die Atmosphäre stark erhitzt. Aber die Hitze kann in der kurzen Zeit nicht in das Innere des Meteors, wie er nun genannt wird, eindringen. Das Innere bleibt kühl. Die Ausgangsmasse wird in diesem Fall nicht besonders verringert.“
„Glauben sie denn, dass es gelingen könnte, alle Bruchstücke zu erhalten? Ich habe da ein paar Angebote auf Ebay gesehen. Diese Teile werden Sie doch nie wiedersehen.“
Dr. Kees seufzt. „Ja, das ist ein Problem. Aber wir haben eine Arbeitsgruppe gebildet, heute Abend, die sich mit dieser Suche beschäftigen soll. Wir haben bislang nur eine Probe vorliegen. Es ist ein Eisen-Nickel-Meteorit gewesen. Nach dem, was ich gehört habe, schätze ich die Masse auf weniger als 20 kg. Wir können nur hoffen, dass sich die Einsicht durchsetzt, dass ein solcher Meteorit ein Ereignis ist, dass allen Hamburgern, ja allen Wissenschaftlern in Deutschlang gehört. Wir verzeichnen nur etwa 4- 7 solcher Treffer jährlich auf der Erde. Das ist schon aufregend, wenn das über Hamburg passiert.“
Frank Meister schiebt die nächste Frage nach.
„Das mit der Wärme interessiert mich. Vor allem, dass die Wärme nicht bis in den Kern vordringt. Ist das nur eine Frage der Flugzeit?“
Dr. Kees kommt nun in Fahrt. „Ein solcher Meteorit kann eine Fluggeschwindigkeit von 260.000 Km/h erreichen. Das heißt, dass er die Strecke zum Mond in etwa 90 Minuten zurücklegen kann. Bei einer Atmosphärendicke von vielleicht 2o km ist das eine Angelegenheit von Sekundenbruchteilen. Da kann die Hitze nicht weit geleitet werden. Man bezeichnet das übrigens als dritte kosmische Geschwindigkeit, falls das Ihre Leser interessieren sollte.“
„Unsere Leser interessiert alles, Dr. Kees. Das Ereignis am Himmel ist das Gesprächsthema in Hamburg. Ich habe vorhin mit einem Finder gesprochen, der aber anonym bleiben will, und der hat mir etwas ganz Anderes berichtet.“
„Etwas Anderes?“, fragt Dr. Kees verwundert zurück. „Gehen Sie mal auf Wikipedia, da finden Sie diese Informationen auch. Alles, was ich Ihnen erzählt habe, entspricht der Wahrheit. Also, was hat Ihr Finder Ihnen berichtet.“
„Ich muss Sie vorher um Vertraulichkeit bitten, Dr. Kees.“ Die Stimme Frank Meisters klingt ernst. „Natürlich habe ich vorher bei Wikipedia nachgelesen. Alles, was Sie mir erklärt haben, stimmt. Und jetzt kommt die Sensation, hinter der ich her bin. Habe ich Ihre Zusage der Vertraulichkeit und Verschwiegenheit, bis ich alles veröffentlicht habe?“
Dr. Kees wird vorsichtig. Er ahnt eine Falle oder eine Schwierigkeit, mit der nicht jeden Tag zu rechnen ist. Dieser Reporter stellt zu genaue Fragen. Er hat etwas in der Hinterhand, das ihm sehr wichtig oder sensationsträchtig erscheint. Aber nun ist seine eigene Neugierde geweckt. Hoffentlich nicht wieder eine Verschwörungstheorie.
„Das sage ich Ihnen gerne zu, Herr Meiter. Ich werde alles vertraulich behandeln, bis Sie mir freies Wort geben. Versprochen.“
„Danke, Dr. Kees. Mein Informant hat mit Sicherheit ein Stück des Meteoriten gefunden, und er hat mir gesagt, dass etwas ganz Merkwürdiges vorliegt.“ Eine Kunstpause, um die Spannung zu steigern. „Das Metallstück ist nicht nur warm, sondern es bleibt warm. Mein Informant hat es in den Kühlschrank gesteckt. Es ist warm geblieben. Dann hat er es in Eis eingepackt. Das Eis ist geschmolzen, aber das Metall ist weiterhin warm.“
„Sie wollen mich auf die Schippe nehmen“, entrüstet sich Dr. Kees. „Das ist physikalisch unmöglich.“
„Ich habe es selbst in der Hand gehabt, Dr. Kees. Es ist warm und es bleibt warm. Ich habe es sogar an der Haut gerieben, um es noch etwas mehr zu erwärmen. Nun habe ich eine kleine Blase, aber das Metall ist gleich warm geblieben.“
„Das kann ich nicht glauben“, widerspricht Dr. Kees. „Dann müsste ja unser eigenes Stück auch noch warm sein. Ich werde das sofort überprüfen, aber nur, um Ihnen zu zeigen, dass Sie da gelinkt wurden. Einverstanden?“
„Gerne. Ich warte auf das Ergebnis.“
Dr. Kees geht auf die zweite Leitung und ruft bei den Asservaten an. Zum Glück arbeitet noch ein Student, der etwas für die Diplomarbeit überprüfen muss. Dr. Kees fragt nach dem Fundstück. Bei der Antwort ist er erschüttert. Er lässt das Resultat noch einmal überprüfen und bittet den Studenten, das Metallstück unter kaltes Wasser zu halten. Mindestens zwei Minuten. Es bleibt bei dem Resultat.
„Und Ihretwegen habe ich mich jetzt sogar verletzt, Dr. Kees. Das Ding ist ganz schön scharfkantig.“
„Tut mir leid, Herr…?“
„Gerd Leyden, Herr Dr. Kees, mit Y in der Mitte.“
„Danke Herr Leyden. Verarzten Sie sich. Sie haben mir sehr geholfen. Wenn Sie mal eine Frage haben, stehe ich im Gegenzug gerne zur Verfügung.“
Er wechselt auf Leitung eins.
„Es hat etwas länger gedauert, Herr Meiter. Ich musste da Einiges überprüfen. Ja, Sie haben Recht, auch wenn ich das nicht verstehe. Auch unser Fundstück bleibt warm. Das ist unerklärlich. Da haben Sie mir ein Rätsel hinterlassen. Bleiben wir in Verbindung?“
Sie tauschen die Privatadressen aus. Nun hat Dr. Kees es eilig. Er muss schnell das Gespräch mit dem NDR führen, denn wenn da ein physikalisches Rätsel vorliegt, muss das auch bei allen Findern der Fall sein. Sein Verstand vollzieht einen Salto mortale. Auf was bin ich das gestoßen?