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Der Konferenzraum im NDR

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Der lange Tisch scheint den Raum zu teilen. Auf der einen Seite liegen die Fenster, durch die das helle Tageslicht fällt. Ein paar Kakteen und ein großer Pfennigbusch fristen dort ihr Dasein. Ohne die Sekretärin wären die Pflanzen wohl schon eingegangen. Seit der Arbeitszeitverdichtung der Raumpflegerinnen im Gebäude des NDR hatten es die Pflanzen schwer. Nun waren sie darauf angewiesen, dass die Sekretärin ab und zu an Wasser dachte. An blühende Pflanzen war überhaupt nicht zu denken. Auf der anderen Seite hingen an der weißen Wand ein paar Drucke von Hamburg. Nichts Aufregendes und vor allem nicht Originelles. Der Vorschlag, dort gelungene Fotos der Mitarbeiter als Wechselobjekte aufzuhängen, fand keine Mehrheit. Über dem langen Tisch hängen die Deckenstrahler, deren unbarmherziges Licht keine fleckige Haut verzeiht. Die in den Tisch eingearbeiteten Anschlüsse für Computer sehen bei oberflächlicher Betrachtung aus wie Warzen. Vor jedem der Stühle liegt eine kleine Mappe.

Langsam füllt sich der Raum mit den Konferenzteilnehmern. Nicht alle Stühle sind besetzt. Es ist eine spontane Konferenz der aktuellen Besetzung in der Tagesschicht. Als Erste treffen Siegbert Murmel, Leiter Aktuelles, und Silke Mehrer, Leiterin Sonderthemen, ein.

Siebert Murmel ist 51 Jahre alt, hat eine glänzende Glatze, die er selbst ganz toll findet. Er lebt in einer schönen Wohnung in Winterhude. Von den drei Räumen ist einer vollgestopft mit Büchern zur Zeitgeschichte. Er selbst bezeichnet sich als „mitten im Leben stehend“, ist ledig und hat auch nicht die Absicht, dies zu ändern. Sein Körper ist eher asketisch, und wenn er in seiner Freizeit nicht gerade in seinem Lieblingssportstudio herumhängt, beschäftigt er sich mit der Tagespolitik. Es gibt angeblich nichts auf diesem Gebiet von dem er keine Ahnung hat. Am Wochenende gönnt er sich regelmäßig einen Besuch in einem Norderstedter Bordell. Es gibt vier „Lieblingsdamen“, wie er sie nennt, die er im Wechsel aufsucht. Alle in der Radaktion wissen und akzeptieren das. Einmal hat eine Praktikantin versucht, ihn auf ihre Seite zu ziehen, aber Siegbert hat ihr schnell klargemacht, dass sie zu wählen hat zwischen kollegialem Umgang oder Ende des Praktikums. Siegbert behauptet von sich, dass er eine feste Beziehung mit nur einer Frau so sehr fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Während seines Studiums in Literaturwissenschaft, Politik der Neuzeit und Journalistik hatte er eine feste Partnerschaft, musste aber schon damals feststellen, dass eine Frau für ihn nicht ausreichend war. An das, was dann folgte, erinnert er sich nur ungerne. Aber schon damals fand er für sich heraus, dass er unkomplizierten Sex mit wechselnden Partnerinnen bevorzugte.

Silke Mehrer, die 42-jährige Leiterin des Ressorts Sonderthemen ist da ganz anders gestickt. Obwohl sie verheiratet ist und drei Kinder hat, ist sei eine überzeugte Verfechterin der Einehe, die ein ganzes Leben halten soll. Das hat für sie keine religiösen Gründe, denn Silke Mehrer ist so religiös wie ein Handtuch, aber sie ungeheuer praktisch und bindungsfest. Ihr Mann Jonas ist Kfz- Mechanikermeister mit eigener Werkstadt in Langenhorn. Sein Spezialgebiet ist die moderne Elektronik, aber er behauptet, alles, was mit einem Auto zu tun habe, könne er auch verstehen. Sein Ruf ist ausgezeichnet, und sein Ehrgeiz besteht darin, dass alle Autos, die wochentags die Plätze auf seinem Hof belegen, am Freitag um 17.00 h repariert sein müssen. Nur selten schaffen er und seine Leute das nicht. Jonas Mehrer ist der erste Kfz-Meister, der in seinem Betrieb auch gleich zwei weibliche Gesellen beschäftigt, und er ist damit sehr zufrieden.

Siegbert Murmel blickt durch die Panoramascheibe, die Konferenzraum und Studio trennt und nickt Conrad Meyer zu, der sich gerne selbst als Conny ankündigt und heute das aktuelle Programm moderiert. Conny hebt den Daumen und fährt die Musikeinlage herunter. Die Sendung wird in den Konferenzraum übertragen, wenn auch etwas leise, um die Besprechungen dort nicht zu stören.

„Und da bin ich wieder, euer Conny, und wie immer gibt es neue Informationen zu dem Thema, das ganz Hamburg beschäftigt. Der geheimnisvolle Meteorit. Kaum zu glauben, was sich da im Internet getan hat. Angebote über Angebote! Hier ist eines von Ebay: „30 g schweres Teilstück des Meteoriten abzugeben. Es ist in meinem Garten niedergegangen. Ich habe es sogar beim Fallen mit dem Handy aufnehmen können. Startgebot 300 Euro.“ Soweit das Angebot. Ich habe mal nachgerechnet, wie viel mittlerweile angeboten wird und komme auf etwa 4,5 kg. Das muss schon ein gewaltiger Brocken gewesen sein, der unseren Hamburger Himmel geteilt hat. Also, ich sage mal, dass nicht alles korrekt ist, was das angeboten ist. Ruft an und teilt uns eure Meinung mit. Die Telefonnummer ist bekannt. Wir stellen so viele wie möglich in dieser Sendung durch.“ Er hebt den Daumen, und die Musik setzt wieder ein. Siegbert Murmel hebt fragend die Augenbrauen und zeigt in Richtung Silke Mehrer. Er liebt es nicht, wenn sich seine Redakteure in gegenseitiger Konkurrenz selbst zerlegen. „Das hätte er mal besser mit dir absprechen müssen“, murmelt er Silke zu. „Du hast doch sicher auch so was vor.“

„Nicht in dieser Richtung, eher etwas Seriöses“, murmelt sie zurück. „Aber mal sehen, was sich so ergibt.“

Der Monitor zeigt in rascher Folge die Anzahl der Anrufer. Es sind schon mehr als zehn, die ihre Erlebnisse mit dem Meteoriten loswerden wollen. Conny fährt die Musik herunter.

„Das rauscht ja schon ganz schön im Blätterwald“, versucht er zu scherzen. „Ich meine natürlich, dass die Drähte glühen. Unser erster Anrufer ist in der Leitung.“ Er tippt eine Rufnummer an. „Mit wem spreche ich?“

„Conny, ich bin Thomas und rufe aus Wedel an. Das mit den Angeboten ist doch alles Betrug. Wenn das seriös ist, sollten die doch die Bruchstücke nicht verhökern, sondern den Astronomen zur Verfügung stellen.“ „Das ist eine gute Idee, Thomas“, stellt Conny fest. „Thomas, würdest du denn auf Gewinn beim Verkauf verzichten? Immerhin geht es nicht um 2 Euro pro Gramm, sondern um deutlich mehr Kohle.“ „Ich denke, der Hamburg Meteorit gehört allen Hamburgern, Da sollten zwei Euro pro Gramm genug sein.“ „Danke Thomas“, beendet Conny das Gespräch. „Du scheinst ja zu den Freunden Hamburgs zu gehören. Mal sehen, was der nächste Anrufer meint.“ Er drückt auf eine andere Nummer, die gerade aufgepoppt ist. „Mit wem spreche ich?“

„Ich bin Marlies, und ich finde es nicht richtig, dass du den Anbietern bei Ebay unterstellst, sie hätten keine echten Stücke. Ich habe leider nichts gefunden, aber wenn ich etwas finde, gebe ich das nicht für zwei Euro weg. Die haben doch Geld genug, um mehr zu bieten als Käufer bei Ebay.“ Marlies legt auf, bevor Conny antworten kann.

„Dann mache dich mal auf die Suche, Marlies. Es soll noch viele Stücke geben, die nicht gefunden wurden.“ Es ist deutlich zu hören, dass Conny sich lustig macht. „Erst mal Musik, bevor es mit den Anrufen weitergeht.“

Aktuelle Musik erklingt. Siegbert Murmel streicht sich über die Glatze. Er findet, dass dieser Meteorit in der Tat ein Geschenk des Himmels ist, denn das vorgesehene Programm sollte sich mit dem Ärger über KFZ- Reparaturen beschäftigen. Nicht gerade der neueste Hit, aber immer aktuell. Seine Gedanken werden immer noch von den gestrigen Erlebnissen in seinem Lieblingsbordell, dem Bluelight, abgelenkt. Marianne, seine Favoritin, hatte ihm alle Wünsche erfüllt und dann noch kostenlos, schließlich ist er ja Stammkunde bei ihr, noch ein Schmankerl kostenfrei draufgelegt.

„Sigi“, reißt in Conny aus den Träumen, „wie wollen wir das Gespräch lenken? Eher so in Richtung Unterstützung der Astronomen oder Verständnis für die Ebayer?“

Siegbert schüttelt den Kopf. Der Themenwechsel in seinem Kopf ist ihm zu abrupt.

„Wir sollten zuerst sammeln und sehen, wohin die allgemeine Richtung geht und dann genau das Gegenteil machen“, schlägt er vor. „Das bringt Spannung in die Sache. Silke kann ja mal schnell nachsehen, was wir alles so zu diesem Thema haben. Wäre nicht schlecht, wenn wir da ein bisschen kompetent daständen.“

Conny nickt. Silke Mehrer schlägt den Computerwieder auf und flüstert, dass sie die Stichworte Komet, Meteorit und Sternschnuppen eingegeben hat. Dann macht sie die kreisende Handbewegung, und das bedeutet, dass sie alle relevanten Beiträge auf die Monitore der Kollegen umleiten wird. Siegbert ist zufrieden. Das Thema ist gerettet und mit Marianne hat er einen Termin ausgemacht, der am kommenden Sonntag sehr früh liegen wird. Er möchte mal der erste Mann zu Beginn von Mariannes Schicht sein. Wenn er wie gewöhnlich erst spät kommt, hat sie schon etliche Kunden hinter sich. Er glaubt, dass das sich auf ihn auswirkt.

„Wo sind deine Gedanken, Sigi?“, scheint der Blick von Silke zu bedeuten, die ihn ganz deutlich mit den Augen fixiert. „Jedenfalls nicht bei dir“, würde Siegbert gerne antworten, denn die Vorstellung, mit einer Frau im Bett zu liegen, die drei Kinder und eine deutliche Zahnlücke oben rechts hat, turnt ihn nicht an.

„Und hier ist wieder NDR 2, hier ist Conny, und unser Thema ist immer noch der Meteorit. Hallo Sonja! Du hast den nächsten Beitrag.“

„Und ich habe ein echtes Stück des Meteoriten, Conny“, kommt die schnelle Antwort. „der heutige Morgen hat mir nicht nur ein Stück des Meteoriten eingebracht, sondern auch die Bekanntschaft eines ganz netten Autofahrers, ohne den das alles nicht Wirklichkeit geworden wäre.“ Bevor der Kollege noch einmal anrufen konnte, wollte sie doch selbst die Sache schildern.

„Du machst uns neugierig, Sonja. Erzähle uns alles. Alles bleibt unter uns, versprochen!“

Conny lacht selbst über seinen Witz, aber eine Handbewegung Silke Mehrers lässt ihn wieder ernst werden. „Leg los!“

„Also, heute Morgen steckte ich in diesem verflixten Stau auf der Langenhorner Chaussee, und ich hatte es wie immer eilig. Auf der Höhe Flughafen habe ich einen anderen Fahrer gefragt, ob er einen Umweg kennt. Der ist doch dann tatsächlich vor mir hergefahren und hat mich um den Stau herumgelotst. Dass es solche Autofahrer gibt, hätte ich nicht vermutet. Jedenfalls gab es hinter dem Flughafen wieder einen kleinen Stau, und da sahen wir, wie ein kleines Feuer vom Himmel fiel. Was soll ich sagen? Es war ein Stück des Kometen. Wir konnten sehen, wo er einschlug. Also rannte wir beide dorthin und er buddelte dann das Eisenteil aus. War noch sehr heiß. Die Erde hat ein wenig gedampft. Das Eisenstück sah aus wie eine zerfledderte Hantel. Als es dann abgekühlt war, hat mein Retter es dann mit ein paar Bewegungen zerbrochen. Nun hat er ein Stück und ich auch.“

„Das ist ja eine tolle Geschichte, Sonja“. Conny hebt den Daumen und Sigi nickt. „Und was machst du jetzt mit dem Meteoritenstück?“

„Das kommt in meine Vitrine. Außerdem habe ich mir an einer scharfen Bruchstelle eine kleine Verletzung zugezogen. Nun bin ich wohl Weltraumgeschädigte, oder?“ Sie hören ihr Lachen und stimmen ein. „Sogar Meteoriteninvalide“, stimmt Conny zu. „Da hat sich dem Umweg ja gelohnt.“

„Darf ich meinen Retter kurz grüßen, Conny?“ „Klar doch. Er hört sicher zu.“

„He, Nick, du hast mir heute Morgen geholfen. Durch dich bin ich auch zu dem kleinen Stück des Meteors gekommen. Nochmals vielen Dank und ganz liebe Grüße. Vielleicht treffen wir uns beim nächsten Stau wieder.“

„Das wäre doch toll“, ergänzt Conny, das Gespräch wieder an sich reißt. „Und für Nick, den Retter im Stau und dem Finder des Kometenstücks, kommt nun das nächste Musikstück. Nur für dich, Nick!“

Die Musik erklingt. Conny hebt den Daumen. Silke Mehrer nickt. „Ein toller Beitrag“, findet Sigi Murmel. „Da bin doch gespannt, ob sich dieser Nick auch meldet. Ich gebe der Vermittlung Bescheid, dass er bevorzugt eingestellt wird.“

Schließlich sind es vier Finder, die sich über NDR outen. Nick, Sonja, Swantje und Gernot. Natürlich wird nicht nach Adressen oder vollem Namen gefragt, aber bei der Anmeldung zum Gespräch werden Namen und Telefonnummern notiert.



Die Botschaft

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