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Der dritte Finder
ОглавлениеThomas Ellert ist Elektriker bei der Lufthansawerft in Fuhlsbüttel. Hier hat er von der Pike an gelernt und sich durch Fortbildungskurse immer wieder den neuen Anforderungen angepasst. Sein Spezialgebiet ist die Verdrahtung und Elektronik beim A320, aber wenn Not am Mann ist, und das ist oft der Fall, arbeitet er auch an anderen Maschinen. Mit seinen 42 Jahren ist er ein Experte auf seinem Gebiet, und er arbeitete sogar ein halbes Jahr lang in Abu Dhabi, auf besonderen Wunsch des Scheiches. In dieser Zeit hat er zwar viel Geld verdient, aber seine Ehe verloren, denn Marianne wollte nicht mitkommen. Sie hasst Hitze, Staub und hat jede Menge Vorurteile gegen die „Steinzeitmachos, die auf dem Öl sitzen“, wie sie es nennt. Thomas wollte sich diese Chance, groß Geld zu verdienen, nicht entgehen lassen, und so gewann er eine Menge Geld, verlor aber Marianne. Das hatte sich schon vorher abgezeichnet, denn Marianne stand eher auf die athletischen Männer, nicht direkt auf leichte Bauchträger wie Thomas. Sie hatten vor 15 Jahren geheiratet, weil Marianne schwanger geworden war. Aber es wurde eine Frühgeburt, die nicht überlebte. Dennoch bleiben sie zusammen, denn sie nahmen das Ehegelöbnis sehr ernst. Glücklich waren sie aber beide nicht. Thomas trug gerne Jeans oder Cordhosen, was sie hasste. Sie hing in der Freizeit im Sportcenter herum, wie er es nannte, und das ging ihm gegen den Strich. Aber alles bewegte sich auf einem Niveau, das keine direkte Konfrontation erzeugte. Es gab immer noch genug Gemeinsamkeiten, um die Beziehung zu kitten.
Bis Abu Dhabi anstand. Marianne nutzte die Chance, fand einen Mann nach ihren Vorstellungen, und als Thomas Ellert nach sechs Monaten zurückkam, konnte er gleich die Scheidungspapiere unterschreiben. Was er dann auch tat.
Was Marianne nicht wissen kann, ist, dass Thomas ein Glückspilz ist. Nach der Scheidung gewann er fast zehntausend Euro im Lotto, erwischte bei einer Auktion das Auto, das er sich schon immer gewünscht hatte und stolperte fast über einen Teil des Meteoriten, als er von der Nachschicht nach Hause wollte.
Er hört ein Sausen und sah einen Aufschlag auf dem Rasen hinter der großen Halle der Luftwerft. Sofort geht ihm durch den Kopf, dass einer der Flieger ein Teil verloren haben könnte, aber ein Blick in den frühen Himmel zeigt ihm, dass dort kein Flugzeug ist.
Neugierig geht er zur Aufschlagsstelle und sieht, dass sich dort etwas Heißes so richtig in den Rasen gebohrt hatte. Es qualmt noch. Er nimmt einen Schraubenzieher aus seiner Tasche und legt das qualmende Ding frei. Dabei sieht er, dass auch außerhalb des Zauns zwei Menschen, eine Frau und Mann, in Richtung Zaun laufen und dann im Boden bohren.
Das interessiert ihn aber nicht. Er ist zu müde, um irgendwelche Zusammenhänge von da draußen und hier drinnen herzustellen. Außerdem brummt der Kopf noch ein wenig. Der Lärmpegel war heute Nach besonders hoch gewesen, und an die vorgeschriebenen Ohrstöpsel kann er sich einfach nicht gewöhnen.
Mit dem Schraubenzieher legt er ein Stück Metall frei, das völlig verbogen, aber sehr glatt ist.
Er steckt es ein, wundert sich über die Hitze, die das Teil ausstrahlt und macht sich dann auf den Weg zur Busstation. Sein tolles Auto steht zu Hause in der sicheren Garage. Er bevorzugt den Bus. Der fährt fast bis vor die Haustür, bequemer geht es nicht. Und die Lufthansa bezahlt fast die gesamten Fahrkosten.
Er überlegt kurz, ob er den Fund melden soll, entscheidet sich dann aber dagegen. Dieses Kuriosum will er behalten, hier würde s sicher im Altmetall landen.
Die beiden anderen Personen, die er kurz gesehen hat, hat er schon vergessen. Er geht in seine Wohnung, duscht kurz und packt sich müde ins Bett. Es ist immer noch das Doppelbett, das er mit Marianne gekauft hatte. Groß und gemütlich. Und nun für ihn alleine.
Spät am Nachmittag wacht er auf. Es ist schwierig für ihn, nach einer Nachschicht zum Schlaf zu kommen. Das ist gegen den Biorhythmus, hat Marianne immer gesagt. In Abu Dhabi hatte er Tagschicht. Da konnte er nicht schlafen, weil es nachts auch noch zu warm war und die Klimaanlage ihn störte.
Wie immer packt er erst jetzt seine Tasche aus und findet das Stück Metall. Sofort fällt ihm ein, wie es gezischt hatte, als es einschlug. Nochmals überlegt er, den Vorfall zu melden. Immerhin ist es ein besonderer Vorfall, wenn ein solches Stück in der Nähe einer Halle niedergeht, in der Flugzeuge gewartet werden, die einen Millionenwert haben. Aber er weiß, dass diese Ecke nicht überwacht wird, und er will sich den Papierkram und die Bemerkungen seiner Kollegen sparen. Thomas hat sich auf Müllsammeln spezialisiert!
Er kocht etwas, wenn er auch keinen Hunger hat. Das Essen in der Lufthansakantine ist prima. Aber er will nicht außer Übung kommen. Das Metallstück hat er auf die Anrichte gelegt. Er fragt sich immer noch, wo es hergekommen ist.
Während er in der Küche hantiert, kehrt sein Blick fast in gezwungener Weise zu seinem Fund zurück. Er hat das Gefühl, dass es ihn ruft.
Du bist verrückt, redet er sich ein. Ein Stück Eisen kann nicht rufen, kann nicht auf sich aufmerksam machen. Und dennoch wandert der Blick immer wieder dorthin. Schließlich geht er zur Anrichte und nimmt es in die Hand.
Das ist ja merkwürdig. Das Eisen ist warm! Das müsste doch schon längst abgekühlt sein. Er schüttelt den Kopf und nimmt es mit in die Küche. Dort liegt es jetzt neben der Obstschale auf der Fensterbank. Wie schön blank es ist! Und wie warm!
Thomas beschließt, Nachrichten zu sehen. Das macht er immer, denn er will ja politisch informiert sein. Das war etwas, was er und Marianne gemeinsam hatten. Sie interessierten sich für Politik und hatten lange Diskussionen. Er war SPD-Anhänger, Marianne bevorzugte die FDP. Beide lehnten die CDU ab.
Bei N24 findet er Nachrichten.
„Über Hamburg ist in den Morgenstunden ein Meteorit niedergegangen. Er zerbrach in viele Stücke und bot den Hamburgern ein Himmelsspektakel. Da es ein seltenes Ereignis ist, bittet die Behörde die Finder der Bruchstücke, diese dem Astronomischen Institut der Universität zur Verfügung zu stellen. Sie sind von besonderem wissenschaftlichen Interesse. Die Behörde teilte auch mit, dass mittlerweile über Ebay Bruchstücke angeboten werden, die aber mit hoher Wahrscheinlichkeit Fälschungen sind. Für Auskünfte steht die Behörde der Freien und Hansestadt zur Verfügung.“
Thomas Ellert läuft sofort zu seinem Fund. Das war das also! Ob er sich auch etwas wünschen kann, so wie bei Sternschnuppen?
Vorsichtig streicht seine Hand über das Metall. Da habe ich ja einen richtig guten Fund gemacht, denkt er sich und freut sich. Wenn er das den Kollegen erzählt, werden die vor Neid blass werden!
Aber dann erfährt die Betriebsleitung davon, und dann ist das Stück futsch!
Nein, beschließt er, er wird es für sich behalten. Es ist sein Geheimnis. Das wird er nicht verraten.
Seine Finger gleiten über das Metall. Es ist immer noch warm. Merkwürdig. Vielleicht war er kein Meteorit, sondern etwas aus einer Sonderforschungsabteilung, was da abgestürzt ist? Und nun versuchen sie, das geheime Material wieder einzusammeln. Meteorit! Wer weiß?
Thomas Ellert liebt Verschwörungstheorien. Er glaubt fest an die Area 51, bezweifelt die Mondbesuche der Amerikaner, ist sich sicher, dass die Finanzmafia hinter 9/11 steckt und zweifelt keine Minute daran, dass in Deutschland alle ständig abgehört werden. Aber das beunruhigt ihn nicht, denn nach seiner Meinung gehört das zum Wesen eines Staates, und so lange man ihn sonst in Frieden die Dinge machen lässt, die er gerne macht, ist ihm alles egal.
Was, wenn es sich bei diesem Stück Metall um etwas handelt wie bei der Area 51? Dann muss er damit rechnen, dass plötzlich Agenten vor seiner Tür stehen und ihm Ärger bereiten. Da ist es doch besser, diese Winzigkeit an Eisen nirgends zu erwähnen, sie aber dennoch zu besitzen. Er, der Elektriker und Elektroniker Thomas Ellert ist im Besitz von Geheimmaterial! Das baut doch auf!
Fast liebevoll streichelt er über das glatte, silbrige Metall, genießt die Wärme und sonnt sich in seinem Besitz. Auch das Metall scheint sich bei ihm wohlzufühlen, es strahlt so etwas wie Wohlbefinden aus.
Plötzlich tauchten in Thomas Ellerts Kopf schöne Gedanken auf. Gedanken an eine schlanke, willige Frau, die wie er die Einsamkeit beiseiteschieben will. Gerlinde wäre so eine. Die hat ihm doch schon öfter in Andeutungen zu verstehen gegeben, dass sie ihn ganz attraktiv findet.
Gerlinde! Ja, das wäre es. Er greift nach dem zerfledderten Notizbuch, in dem die Telefonnummer steht, schlägt auf und wählt die Nummer auf seinem Handy.
Sie meldet sich fast sofort. Wenn das mal kein gutes Zeichen ist.
„Hier ist Thomas. Mir fällt gerade die Decke auf den Kopf, und ich dachte, bevor wieder die Nachtschicht beginnt, wäre ein kleiner Plausch mit einer attraktiven Frau nicht das Schlechteste. Alkohol darf ich nicht mehr trinken, so kurz vor der Schicht, aber ich habe gekocht. Hast du Lust auf ein wenig Abendessen mit Kerzen?“
Plötzlich kommt er sich ziemlich blöde vor. Das ist doch eine miese Anmache. Schnell korrigieren.
„Ich will damit sagen, dass ich einfach gerne noch jemanden um mich haben möchte, bevor ich wieder im Bauch einer A 320 verschwinde. Kannst du das verstehen?“
Gerlinde lacht. „Du benimmst dich merkwürdig, Thomas. So kenne ich dich nicht. Was ist los?“
„Ich fühle mich einfach einsam, weißt du. So ganz plötzlich, als wäre das eine neue Erkenntnis für mich. Und ehe ich lange nachdenken konnte, habe ich schon angerufen.“
„Spontan ist manchmal ganz gut. Ich hätte eine Stunde Zeit. Mehr nicht, und verspreche dir nicht zu viel. Essen und reden, klar?“
„Klar. Und danke. Ich warte dann auf dich. Wenn du willst, kannst du auch Louise mitbringen. Die hängt doch meist an deiner Seite.“
„Geht auch mal ohne. Also, bis dann. Kein Alkohol, aber essen und reden.“ Sie legt auf.
Thomas schwitzt. Was ist in ihn gefahren? Schnell mustert er die Wohnung und fängt hektisch an aufzuräumen. Er freut sich auf Gerlinde. Er will sie nicht enttäuschen.
Es bleibt wirklich bei Essen, Tee und Reden. Thomas ist charmant und aufgeräumt. Das hat ihm gefehlt, das weiß er jetzt.
„Hast du die Nachrichten über den Meteoriten über Hamburg gehört?“, fragt er Gerlinde.
„Klar, der NDR war voll davon. Diese Glückspilze, die davon etwas finden. So was passiert mir nie.“
Thomas zögert nicht mehr. Er kann ihr voll vertrauen.
„Du, mir ist ein Stück davon direkt vor die Füße gefallen. Auf der Werft. Aber das muss unser Geheimnis bleiben, denn alles, was dort rumliegt, egal woher, ist Eigentum der Lufthansa.“
„Du willst mich verarschen, Thomas.“ Gerlinde verzieht verärgert das Gesicht. Er hat es doch nicht nötig, mit kleinen Lügen anzugeben. Das findet sie nicht gut.
„Du zweifelst? Du denkst, ich lüge?“ Thomas spürt ihre Unsicherheit.
„Ich kann es dir zeigen. Du kannst es anfassen. Aber bitte niemandem etwas sagen, auch Louise nicht. Klar?“
Sie nickt begeistert und skeptisch zugleich. Thomas nimmt ihre Hand und führt sie zur Anrichte. Unter einem Tuch liegt das kleine Stück geschmolzenes Metall. Er zieht das Tuch mit einer raschen Bewegung weg.
„Da!“ Er nimmt ihre Hand und lässt sie sanft über das Metall hinweggleiten. Gerlinde hält den Atem an. Sie ist begeistert. Von Thomas und dem Stück des Meteoriten. Die Wärme, die von dem Metall ausgeht, wandert durch die Finger in ihren Körper.