Читать книгу Tranquillitatis - Karlheinz Vonderberg - Страница 17

8.März, 9.00h

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Mike Salbowski schaute aus dem Fenster. Er sah die Hochhäuser, die sich fast kreisförmig um diesen Turm erstreckten, in dem er regierte. Er war nicht Regierungschef, nein, Mike war viel mächtiger als irgendein Regierungschef. Er war der Chef der Space and Land Corporation AG, eines riesigen Mischkonzerns, der überall auf der Welt mitmischte. Die CALCAG, wie sie einfach immer nur genannt wurde, handelte mit Lebensmitteln, Rohstoffen, Waffen, Baustoffen, Medikamenten und sogar mit Raumfahrzeugen und vielem anderen mehr. Sie besaß mehr Patente als Mitarbeiter, und das wollte schon etwas heißen. Der Jahresumsatz der CALCAG war höher als der einer großen Industrienation. Ihr Erfolgsrezept war einfach: Gewinnbringende andere Unternehmen entweder eingliedern, gewaltsam übernehmen oder zugrunde richten. So kam es im Laufe der Zeit, dass fast jeder Zweig des täglichen Lebens auf der Erde war von ihr betroffen war.

Diese Machtstellung zu brechen war kaum mehr möglich. Selbst die UNO, die einmal gegen die Manipulationen der CALCAG vorging, war an dem Vorhaben gescheitert. Plötzlich fielen in großen und wichtigen Werken die Maschinen aus, der Energiefluss stoppte, das Lager- und Bevorratungssystem brach zusammen, große Geldmengen überschwemmten einzelne Länder, und jeder wusste, wer dahintersteckte. Doch ohne die Zusammenarbeit mit der CALCAG war nichts zu machen.

Mike Salbowski war kein Kriegsherr, kein Staatsmann, er war Geschäftsmann, der seine Möglichkeiten kannte und sie gnadenlos ausnutzte. Wo immer sich neue Geschäftsfelder auftaten, die grenzüberschreitend Gewinn versprachen, da war er zugegen.

Mike Salbowski war nicht übermäßig groß, von schlanker Gestalt. Das Gesicht war eher unauffällig bis auf die scharfe Nase, die leicht nach oben gebogen erschien. Die blauen Augen verrieten keine Herzenswärme. Seine Finger waren schlank und lang wie die eines Pianisten. Bei einem Überfall vor vielen Jahren war sein rechtes Ohr von einem scharfen Messer angeschnitten worden, und diese Narbe zierte ihn noch heute. Er konnte sich nie dazu durchringen, sie operieren zu lassen. Sie war für ihn immer eine Mahnung, nach allen Seiten zu sehen.

Er hatte als Kind eine privilegierte Zeit durchlebt, immer nur die besten Schulen, das feinste Internat. Sein Vater hatte in den hoffnungsvollen Sohn viel investiert. Dann kam das Studium in Jura und Wirtschaftswissenschaften in Oxford und Cambrigde, die Prüfungen mit summa cum laude und der schnelle Aufstieg in der CLACAG. Für Freunde und Familie war da keine Zeit vorhanden, und der nun fast 62-jährige Mike blickte ohne Verlustgefühle auf sein Leben zurück. Nun kamen die Regierungschefs zu ihm und baten um Rat oder Unterstützung. Er hatte fast alles erreicht, was es zu erreichen gab. Doch immer wieder taten sich neue, faszinierende Geschäftsfelder für ihn auf. Das Leben war eben voller Überraschungen!

Der Mond war bisher kein solches Geschäftsfeld gewesen.

Bis jetzt! Mike hatte überall seine Informanten. Er wusste alles, was er wissen wollte. Jetzt interessierte ihn der Mond und das, was da geschah.

„Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir dort oben Hinterlassenschaften einer Zivilisation oder einer Technik finden, die für uns gewinnbringend ist?“, fragte er in die Runde.

Da saßen seine Superhirne um den runden Tisch. Jeder war ein Spezialist auf seinem Gebiet, einfach der Beste! Nur solche Menschen duldete Mike um sich herum. Ihn interessierte nicht die Hautfarbe und nicht das Geschlecht, nicht die Frage des Gesundheitszustandes oder des Alters. Ihn interessierte nur, ob er oder sie einzigartige Leistungen bringen konnten. Und die hier Versammelten konnten das.

Es gab eine feste Reihenfolge, in der geantwortet wurde. Immer im Uhrzeigersinn. Immer begann die Antwortrunde links neben dem, der die letzte Antwort des letzten Treffens gegeben hatte. Es gab kein Vordrängeln, keine Bevorzugung. Mike hasste das.

Er klopfte mit dem Knöchel der linken Hand auf den alten Eichentisch. Das Holz, das hier verarbeitet war, hatte nachweislich über 1000 Jahre auf dem Buckel. Es strahlte förmlich die Zeit aus.

Die Reihe war an Herlith, einer jungen Frau aus Polynesien. Sie war eigentlich Systemanalytikerin, hatte aber nebenbei Wirtschaftstheorien studiert und sich intensiv mit Naturwissenschaften befasst. Sie war schlank und zierlich, meist mit mehreren Partnern gleichzeitig liiert und doch irgendwie unergründbar. Herlith konnte mit ihren blauen Augen kokettieren oder Blitze senden, ihre krausen Haare verliehen ihr oft den Eindruck, sie trüge eine Perücke, die schlanken Hände waren ohne Ringe. Sie mochte Schmuck nicht besonders, wenn sie auch manchmal teure Designerstücke trug. Sie war eine Alpha-Frau. Trotzdem sammelte sie seltene Pflanzen und Kulturgegenstände aus ihrer Heimat, verschwendete auch einmal viel Zeit auf das Musizieren und konnte eine charmante Gastgeberin sein. Sie hatte viele Gesichter.

Sie hatte sich mit der anliegenden Materie vertraut gemacht.

„Es gibt keine irdische Technik, die Gravitationsstörungen gezielt hervorrufen kann. Ein solches Vorgehen ist nicht einmal in Ansätzen bekannt. Daher kann der Ursprung nicht irdisch sein.“

Sie gab das Wort an Wolfhardt weiter, einen älteren Mann aus Österreich, der sich auf Maschinen und Energieprobleme spezialisiert hatte. Er war ein massiger Mann in den späten Fünfzigern, der das Essen liebte. Seine Frau tobte meist irgendwo mit dem Jetset durch die Gegend. Kinder gab es keine, obwohl er sich immer welche gewünscht hatte. Früher, während des Studiums, war er streng religiös gewesen, doch kam eine neue Lebensphase. Seit etwa zehn Jahren bedrängte ihn dieses Thema wieder. Er wirkte oft introvertiert und wortkarg, aber das täuschte. Die Narbe auf seiner linken Wange war bei einem Arbeitsunfall entstanden. Durch sie konnte er nicht den Bart tragen, den er immer haben wollte.

„Das Auftauchen der Signale zu einer Zeit, in der die erste Mondlandung noch nicht lange zurückliegt, wenn man historische Dimensionen betrachtet, lässt auf eine Technik schließen, die außerordentlich stabil ist. Beachtenswert ist auch, dass es zu dem Zeitpunkt geschieht, in dem von einer Marsmission Abstand genommen wurde. Das deutet auf intelligente Beobachtung hin. Wie werden solche Entscheidungssignale, die doch hier auf der Erde in sicheren Räumen ausgesandt werden, vom Mond her aufgenommen? Es muss eine Informationstechnik vorliegen, die unsere Vorstellungen übersteigt.“

Nun war die Reihe an Conny aus Kanada. Sie war von Beruf Informatikerin und die Chefin der gesamten Datenverarbeitung. Ihre Aufgabe umfasste auch das ständig Verbessern der Sicherheit innerhalb des elektronischen Verkehrs. Wer sie sah, hätte ihr das nicht zugetraut. Sie war ziemlich pummelig, färbte ihr Haar jeden Monat wieder anders, trug gerne großflächigen Schmuck und reichlich Make-up. Keiner in der Leitungsgruppe hatte sie je ohne Rock gesehen. Sie hasste Hosen und hochstielige Schuhe. Ob sie in ihrer zweiten Ehe glücklich war, wusste niemand. Es gab nicht viele Informationen aus ihrem privaten Umfeld. Nur eines wusste jeder: Sie war auf ihrem Gebiet eine der Bestes, und das reichte aus. Ihr Mann verkaufte Immobilien, besonders oft kleine Inseln. Sie selbst besaßen eine solche Insel vor der Küste Sumatras, und wenn sie einmal zusammen Urlaub machen konnten, dann waren sie dort zu finden. Mike hielt viel von ihr, und sie konnte behaupten, dass sie Geheimnisse des Betriebs wusste, von denen sonst keiner eine Ahnung hatte. Vor drei Wochen war sie gestürzt und hatte sich dabei zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Die Implantate bereiteten ihr immer noch leichte Probleme, weil das Zahnfleisch sich oftmals entzündete. Doch sonst hatte sie immer alles im Griff. Ihre hellen Augen waren etwas durch die leicht hängenden Lider verborgen. Doch niemand durfte sie unterschätzen.

„Das Problem, große Distanzen zu überwinden, auch im Sternenbezug, scheint durch die unbekannte Zivilisation gelöst worden zu sein. Wir wissen von den Erkundungen des Sonnensystems, dass es außer unserem Leben kein anderes in unserer direkten Nachbarschaft gibt. Wie kann der Transport von soweit durchgeführt worden sein? Welche Energiequelle liegt als Antrieb vor? Wo befinden sich die Transportmittel?“

Conny aus Kanada gab das Rederecht weiter an Ferenzi, einen verspielten Italiener.

Er war der Bioniker der CALCAG. Ihm war es zu verdanken, dass ein erheblicher Gewinn und viele Patente aus diesem Gebiet zur CALCAG floss. Als er sich vor fast einem Jahrzehnt hier vorgestellt hatte und seine Ideen präsentierte hatte, brauchte es eine ganze Menge Überzeugungskunst, dem Vorstand klarzumachen, dass die Umsetzung biologischer Errungenschaften in technische Lösungen ein lukrativer Zweig sei. Er forderte erst einmal große Investitionen, die er auch erhielt. Seine erste Leistung war ein künstlicher Arm, der durch den Willen des Menschen bewegt werden konnte. Das war der Durchbruch, aber der Höhepunkt der Entwicklung war eine Art künstliches Insekt in der Größe einer Megamaschine. Diese Konstruktion konnte sich in jedem Gelände selbstständig bewegen, bei Aufträgen eigenständige Risikoabschätzungen und Entscheidungen vornehmen. Sie brachte nach ihrer Vermarktung auf militärischem Gebiet einen Milliardengewinn ein. Ferenzi sah immer verträumt aus, so, als würde er übe etwas Wunderbares nachdenken. Er war fast ein typischer Bilderbuch-Italiener: groß, schlank, dunkelhaarig, glutäugig. Der schmale Despotenbart um den Mund herum stand ihm gut. Es ging das Gerücht um, dass er etliche uneheliche Kinder zu versorgen hätte, aber verheiratet war nicht. Er joggte gerne, segelte und sang oft irgendwelche italienische Arien.

„Es wäre schon interessant zu wissen, wie ein Körper diese langen Strecken überstehen kann. Das zu wissen, wäre ein Vermögen wert! Ich hoffe, dass wir irgendwelche Hinweise finden können, die uns selbst auf diesem Gebiet weiterbringen. Auf Dauer ist die Tiefschlafkabine bei interstellaren Reisen auch nicht die ideale Lösung. Ihr wisst ja: das ungelöste Problem der Muskelmassenminderung! Doch da liegt noch eine andere Frage im Raum: Wer ist überhaupt der Adressat dieser Botschaften? Sind wirklich wir gemeint oder eher eine Zivilisation auf der Erde, die sich schon weiter fortentwickelt hat? Gibt es noch mehr, was an den Menschen übergeben werden soll? Und wenn, was? Wie kann eine fremde Intelligenz wissen, was für uns brauchbar oder gar nützlich wäre?“

Bevor der nächste Redner einsetzen konnte, unterbrach Mike die Runde.

„Ihr habt das Problem erkannt, und daher kennt ihr auch unsere Aufgabe: Diese Technologie und alles andere muss uns gehören. Ich kann mir schon vorstellen, wie ich das alles einsetzen kann. Da wir aber mit Sicherheit nicht die Einzigen sind, die daran interessiert sind, müssen wir jeglichen Zugriff auf den Mond verhindern, bis wir selbst so weit sind, uns das zu holen, was dort oben wartet.“

Er blickte in die Runde. Jeder hatte sofort begriffen, was das hieß. Die CALCAG hatte nicht viele Skrupel, wenn überhaupt welche.

„Jeder von euch bekommt ein Aufgabengebiet, das er bearbeiten muss. Ich erwarte von jedem, dass er die Fragen und die Antworten findet, die mit diesen Aufgaben verknüpft sind. Alle Mittel stehen euch zur Verfügung. Der Zeitrahmen ist eng. Ich weiß, dass eine amerikanisch – chinesische Mission zum Mond geplant ist, sobald die Gravitationsstörungen zur Ruhe gekommen sind. Wenn unsere Berechnungen und Informationen stimmen, dann wird das in etwa 18 Tagen der Fall sein. Richtet euch darauf ein!“

„Haben wir alle Informationen, die es zum Mondproblem gibt?“, wollte einer aus der Runde wissen.

„Öffnet auf eueren Computern die Datei MOND.GRAVI. Das Schlüsselwort findet ihr in den Unterlagen. Achtet besonders auf die Niederschrift der Kommunikation zwischen zwei Astronauten, Ling aus China und Tim Bird von der NASA. Wir haben Zugang zu dem Chatroom der beiden erhalten. Es geht doch nichts über begabte Mitarbeiter auf allen Gebieten.“

Es gab keine weiteren Fragen. Jeder wusste, was zu tun war.


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