Читать книгу Tranquillitatis - Karlheinz Vonderberg - Страница 22

26. März, 17.00 h

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Tim und Ling saßen zusammen, um sich zu beraten. Wie immer hatten sie eine Tafel zur Verfügung, um Ideen und Gedanken kurz zu skizzieren. Auf der Tafel sah das übersichtlicher aus, wie sie beide fanden. Diesmal stand kein Tee bereit, sondern Cola, Tims Lieblingsgetränk. Er fuhr sich über das leicht stoppelige Gesicht, denn er war noch nicht dazu gekommen, sich zu rasieren. Seine Augen sahen auch ein wenig müde aus. Es gab so viel zu bedenken und zu verarbeiten, dass er mit den Gedanken nicht so schnell folgen konnte. Ling hatte sich einen lockeren Kimono angezogen, der grüne und goldene Drachenmuster zeigte. Ihr langes Haar hing diesmal lose über der Schulter. Dieser Anblick machte es Tim auch nicht leichter, sich zu konzentrieren.

„Das ist merkwürdig“, meinte Ling. „Alle Logik sagt uns, dass das Signal uns zum Mond lockt. Es macht sonst keinen Sinn. Es erfordert sogar, dass wir schon einmal auf dem Mond waren und in der Lage sind, Gravitationsstörungen zu bemerken und das verborgene System in ihnen zu entdecken. Es ist also eindeutig an eine fortschrittliche Zivilisation gerichtet.“

„Und dann“, nahm Tim den Faden auf, „schleudert die unbekannte Intelligenz die Landefähre in Richtung Jupiter. Das ist ein aggressiver Akt, der keine friedliche Interpretation zulässt. Das passt irgendwie nicht so richtig zusammen.“

Ling nickte ihm zu und schob das schwarze Haar, das vor ihre Augen gefallen war, in einer schnellen Geste zurück. „Die CALCAG muss etwas übersehen haben. Die Einladung, die in diesen Signalen steckte, war unübersehbar. Es geht darum, eine Einladung zu verstehen, Tim. Wann ist ein Ankömmling nicht willkommen?“

Tim überlegte und nannte viele Gründe, doch keiner passte so richtig. Er hatte noch nie eine Einladung bekommen, die dann in eine Abweisung geendet hatte. Das war für ihn Neuland.

„Wir sind uns doch einig, dass dort auf dem Mond kein Lebewesen auf uns wartet, Tim. Es ist eine Maschine, vielleicht ein Roboter, jedenfalls etwas, was nur auf klare Logik reagiert. Es hat uns Botschaften geschickt, die uns dorthin locken sollen. Alles auf der Basis reiner Logik. Wenn wir also die Einladung annehmen, dann muss unsere Eintrittskarte auch auf der Basis reiner Logik bestimmt werden, nicht wahr.“

„Das ist wohl so“, gab Tim zu. „Aber erst einmal muss unsere Annahme, es handle sich um eine Einladung, richtig sein. Doch was haben wir in der Hand, um uns als Eingeladene auszuweisen? Wer oder was sich auch immer auf dem Mond aufhält, fordert ein Zeichen, dass der Ankömmling logisch handeln kann, dass die Einladung von jemandem angenommen wird, der sich so verhält oder über so viel Wissen verfügt, wie die Fremden voraussetzen. Offenbar ist die Menschheit der richtige Adressat. Doch wie sollen wir das mitteilen?“

Er nahm einen Schluck Cola und dachte nach, doch ihm fiel nichts ein.

„Die Zahlen, Tim, die Zahlen!“, schlug Ling vor. „Wir haben die Zahlenbotschaft vernommen. Sie ist mehr als nur die Mitteilungskarte, da bin ich mir jetzt sicher. Darin muss auch die Eintrittskarte enthalten sein. Denke nach!“

Tim trank erneut einen Schluck Cola. Seine Denkmaschine brauchte Zucker, das war nach so einem langen Tag klar. Alles schwirrte wild in seinem Kopf herum. Er sah in Lings dunkle Augen, fixierte sie und dachte nach.

„Es muss für uns eindeutig zu erkennen sein“, stellte er fest. „Alles war eindeutig, nachdem wir es analysiert hatten. Es gab keine Zweifel. Außerdem muss es etwas mit dem zu tun haben, was wir vom Mond erhalten haben. Es kann nichts Neues sein, keine zweite Mitteilung, das wäre unlogisch. Was wissen wir, was eindeutig ist und vom Mond kommt?“

Ling sprang plötzlich auf und warf die Papiere, die sie in der Hand hielt, durch die Luft. Ihr Seidenkimono in Grün und Gold floss in der Luft wie Wasser.

„Ich weiß es, Tim! Ich weiß es!“ Sie tanzte ein paar Schritte, die sie auch bei Tai-Chi benutzte, um Ruhe und Klarheit in den Körper zu bekommen. Tim sah den fließenden Bewegungen fasziniert zu. Ling hatte so viele wunderbare Seiten!

„Und was weißt du?“, fragte er lächelnd zurück. „Sagst du es mir oder muss auch ich tanzen?“

Ling sah ihn schelmisch an und meinte, das müsste sie erst einmal sehen, aber jetzt sei keine Zeit für abweichende Tätigkeiten. Aufgeregt zeigte sie auf ein Blatt.

„Sieh dir die beiden Zahlenreste an, die wir gefunden haben. Bis jetzt kennen wir keine Bedeutung. Es sind keine Primzahlen, aber sie enthalten einen eindeutigen, gemeinsamen Kern. Dieser Kern muss einfach die Betätigung der Einladung sein, es gibt keinen anderen Sinn für sie.“

Aufgeregt wedelte sie mit dem Blatt vor Tims Nase, der sich von ihrer Begeisterung gerne anstecken ließ. Er hatte ja keine bessere Idee, die er entgegensetzen konnte. Alles ergab nun einen Sinn! Jedes Teil des Zahlenpuzzles passte zu den anderen. Es war ein beeindruckendes Ganzes.

„Du hast recht! Das muss es sein. Das ist ja toll, Ling!“

Er umfasste sie und sie führten einen kleinen Freudentanz auf.

„Das ist es, es ist der gemeinsame Kern der beiden Reste. Die Annahme der Einladung heißt 137741. So muss es sein. Das ist das wahre Geheimnis, das auf der fremden Logik beruht!“

Doch Ling war noch nicht ganz fertig. Sie zeigte wieder auf das Blatt und hörte Tims raschen Atem, der vom Tanzen noch benommen war.

„Denk nach, Tim!“, ermahnte Ling und setze sich wieder hin. „Vom Mond kamen zwei Botschaften, nicht eine! Wir hatten den Siebenerrest und die Fibonacci-Folge. Warum sollten wir dann nur eine Eintrittskarte haben und nicht zwei. Auf zwei einladende Botschaften sollten doch zwei Eintrittskarten folgen, oder?“

Tim sah sie an. Lings Wangen glühten förmlich. So hatte er sie noch nie gesehen. Er musste ihr einfach ein Kompliment für ihre Denkleistung machen.

„Jetzt weiß ich, warum sie dich hierhergeholt haben, Ling. Du bist einfach unglaublich! Du hast das Geheimnis der Zahlen geknackt. Das hätte so kein Computer hingekriegt. Wer immer diese Einladung beantwortet, kann keine Maschine sein. Unglaublich!“

Er sah auf das Blatt und dachte kurz nach.

„Wir haben einen Rest, nämlich 137741, brauchen aber zwei Eintrittskarten. Lass und die Zahl untersuchen, Ling.“

„Nicht am Computer, Tim. Du hast gesehen, was mit deinem passiert ist. Wir dürfen keine Geheimnisse niederschreiben, wenn der Computer online gehen kann. Die Techniker sagen zwar, dass alles sicher ist, aber das reicht mir nicht. Die Tatsache, dass wir in China sind, ist den Hackern doch eher eine Herausforderung als ein Hindernis. Nimm den privaten Rechner, den du doch immer bei dir hast.“

Tim nickte. Er tippte die Zahlenfolge 137741 und drückte die Taste für Primzahlzerlegung.

Dann las er laut vor: „137741 ergibt zerlegt die beiden Primzahlen 181 und 761. Es sind genau zwei!“

„Und so haben wir die Eintrittskarten für uns beide gefunden. Das können Maschinen und Roboter nicht!“

Sie fasste seine Hand und sah ihn an.

„Es ist die Eintrittskarte in den Ballsaal oder das Los für Verlierer, Tim. Wir tragen das Wagnis.“

Tim winkt lässig ab, etwas zu lässig, um nicht doch einen kleinen Rest Zweifel aufkommen zu lassen. Das Leben war wichtig und wertvoll. Zu wertvoll, um es nicht noch einmal abzusichern.

„Ich habe der Mathematik immer vertraut, Ling. Diese Zusammenhänge sind nicht zufällig. Berechne einmal die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis! Dieser Wert ist sicher kleiner, als im Sonnensystem einen verlorenen Fußball zu finden. Wir müssen Wu-Shi informieren und die NASA“, meinte Tim und kratzte sich wieder an den Bartstoppeln. Es wurde Zeit, dass er einen Rasierer benutzte.

„Wu-Shi ja, aber die NASA nicht“, entschied Ling. „Eure Rechner sind offenbar in der Hand unserer Gegner, wie der Start von Europa1 gezeigt hat. Hier ist alles abgeschottet. Doch nichts ist wirklich sicher, was mit Computern zu tun hat. Wir haben hier ein abgeschottetes Intranet. Es hat keine Verbindung nach draußen. Das ist ein großer Vorteil in diesem Fall. Wir werden alles mit Wu-Shi besprechen, und sobald wir gestartet sind, wird die NASA informiert. Wir müssen unsere Erkenntnisse überprüfen lassen, denn davon hängt ja unser Leben ab. Du willst auch nicht als 65.ter Mond des Jupiters enden, nehme ich an. Einverstanden?“

Tim nickte. „Einverstanden.“

Doch dann machte er ein bedenkliches Gesicht. Es schien etwas Wichtiges in seinem Kopf abzulaufen. Ling sah ihn wartend an. Sie strich ihr Kleid glatt und sah auf Tims einfache Trainingskleidung. Sie ahnte, was in Tims Kopf vorging.

„Aber wie wollen wir mit dem Unbekannten auf dem Mond in Kontakt treten? Wir wissen doch nicht, auf was er reagiert, welche Empfangsmöglichkeiten er hat. Ich möchte nicht auch als Mini-Mond zum Jupiter geschickt werden, und du sicher auch nicht.“

Ling lächelte. Das war auch ihr durch den Kopf gegangen. Es war sicher eher ein kleines Problem, und sie spürte die Antwort mehr als sie sie wusste. Sie nahm wieder Platz und nahm diesmal selbst einen Schluck von Tims Cola. Sie war ihr wie immer zu süß.

„Alles ist streng logisch aufgebaut, Tim“, begann sie. „Das Unbekannte auf dem Mond hat zwei verschiedene Informationen gesendet, die in zwei Rhythmen versteckt waren. Aus diesen beiden Informationen haben wir eine Gemeinsamkeit gewonnen, die nun wieder in zwei Primzahlen zerlegt ist. Alles hängt eng zusammen. Träger der Infos waren Gravitationsstörungen. Also muss der Erzeuger dieser Störungen mit diesen arbeiten können, was wir nicht können. Er kann sie erzeugen und sicher auch empfangen. Was weißt du über Gravitationswellen, Tim?“

Tim dachte nach. Da gab es Zusammenhänge in seinem Kopf, die er wieder ordnen musste. Er erinnerte sich daran, dass sein Professor gezeigt hatte, dass Gravitationswellen über die vier bekannten Dimensionen hinausreichen. Sie konnten Informationen in die fünfte Dimension transportieren. Oder wie war das genau? Er musste sich das mal wieder ansehen.

„Nicht allzu viel, fürchte ich. Wir sollten die Techniker hier fragen. Sie sollen uns ein Gerät bauen, das in der Lage ist, Wellen in einem Vielfachen der Gravitationswellen auszustrahlen. Gravitationswellen können sie nicht künstlich herstellen. Aber sicher können sie Wellen erzeugen, die das Millionenfache der Gravitationswelle darstellen. Oder das Milliardenfache. Meinst du, dass das geht?“

„Wu-Shi wird uns helfen. An welche Vielfachen hast du gedacht?“

„Es bietet sich zunächst das Millionenfache an, wie schon gesagt. Aber wir sollten sehen, dass wir im System der unbekannten Zivilisation bleiben. Für mich lautet der spontane Einfall, der mir jetzt durch den Kopf geht, die beiden Primzahlen zu nehmen, meinst du nicht auch? Oder ein hohes Vielfaches von ihnen. Was eben technisch möglich ist.“

Ling sah ihn bewundernd an. Tim trank zwar gerne diese merkwürdige Cola, kleidete sich eher wie ein Techniker, war aber ein klarer, zielbewusster Denker.

„Das könnte die Lösung sein“, meinte sie. „Manchmal bist du echt gut im logischen Denken!“

Sie standen auf, rafften die Blätter wieder zusammen und machten sich auf den Weg. Sie hatten ihr Kommen per Intranet bei Wu-Shi angemeldet und angekündigt, dass sie die Überprüfung einer Idee wünschten. Mehr sagten sie nicht.

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