Читать книгу Tranquillitatis - Karlheinz Vonderberg - Страница 34
8.April, 10.45h
ОглавлениеZwei Tage später rief Wu-Shi die wichtigsten Mitarbeiter des Mondprojekts in der Weltraumbasis Hainan zusammen. Es waren nur wenige Personen, die zu diesem Kreis gehörten. Unter ihnen befand sich Dr. Miles als höchster Vertreter der NASA.
Auf dem Tisch standen Getränke und Gebäck, aber keiner bediente sich. Die kurzfristige und sehr wichtig klingende Einladung hatte den Appetit gedämpft. Ohne lange Vorreden begann Wu-Shi zu berichten.
„Unsere Informanten und unsere Internetspezialisten haben einige interessante Dinge zutage gefördert, die uns zu schnellem Handeln drängen. Offenbar sind die Planungen der CALCAG schon weiter vorangeschritten, als wir es geahnt haben. Sie haben eine neue Trägerrakete im Raumzentrum Kourou bereitgestellt, und unsere Internet-Spezialisten, die man wohl eher als Hacker bezeichnen könnte, haben sogar das Ziel ausfindig gemacht: der Tsiolkowskiy-Krater auf der Rückseite des Mondes.“
Eine Sekunde des ungläubigen Schweigens. Die Rückseite des Mondes. Es hatte einmal ein kurzfristiges Projekt gegeben, dort eine Dauerstation zur Beobachtung des Weltalls einzurichten, aber die anstehenden Probleme erwiesen sich doch als nicht beherrschbar. Es gab gute Aufnahmen von der Rückseite, geologische Untersuchungen durch Satelliten und Spekulationen, was man dort alles finden könnte, aber das war auch schon alles. Das Rätsel, warum es dort viel weniger Krater gab als auf der Vorderseite, war schon längst gelöst.
„Noch nie wurde eine Landung auf der Rückseite versucht“, warf Miles ein. „Nicht einmal eine unbemannte Mission. Alles spricht dagegen. Es gibt bei der Landung keinen Kontakt zur Erde, keinen Abgleich der Daten, keine Möglichkeit, rechtzeitig von hier aus einzugreifen. Warum sollten sie etwas so Wahnsinniges tun wollen?“
„Darüber haben wir auch nachgedacht“, entgegnete Wu-Shi. „Lao-Wu, berichte, was wir vermuten.“
Lao-Wu wartete eine Sekunde, ehe er begann. Er war der Koordinator der „Expertengruppe“, die sich mit der Gewinnung von Nachrichten und Informationen befasste. Er hatte jede Freiheit, die er brauchte, um seine Ziele zu erreichen. Vor einigen Jahrzehnten war er als junger Hacker zu der halboffiziellen Regierungseinrichtung gestoßen, die versuchte, die Rechensysteme der verschiedenen Regierungen zu knacken. Er hatte damals die Wahl zwischen freiwilliger Mitarbeit oder langer Haftstrafe, weil er versucht hatte, seine Personalakte bei der Polizei zu frisieren. Er war nun ein gestandener Mann mit kahlem Schädel, was für einen Chinesen ungewöhnlich war.
„Es ist uns gelungen, den Landecomputer des Landemoduls so zu manipulieren, dass er bis zum Start für uns ein Back-up aller Daten liefert. Die Zündsequenz beendet dann die Übertragung. Wir wollen ja nicht, dass die Rakete abstürzt. Daher wissen wir, auf welche Koordinaten der Flug zusteuert. Außerdem konnten wir Teile einer Mitteilung entschlüsseln, die uns bestimmte Schlüsselbegriffe lieferte. Diese Begriffe, auf die ich hier nicht näher eingehen will, lassen nur einen logischen Schluss zu: Es muss ein Signal auf der Rückseite des Mondes gegeben haben, das von der CALCAG aufgefangen worden ist. Als Informationsüberträger kommt nur der abgestürzte Satellit infrage. Die Daten der vermuteten Landestelle passen zu seinem Flugmuster.
In aller Deutlichkeit formuliert heißt das, dass es einen Zusammenhang mit der Landestelle von Apollo 11 geben muss, also noch eine Stelle mit Anomalien. Und genau dort hin will die CALCAG.“
Er lehnte sich zurück und genoss die Blicke, die auf ihn gerichtet waren. Keiner ließ sich gerne ausspionieren, aber alle nahmen gerne die Erkenntnisse dieser Arbeit an. Seine Gruppe war gut, sehr gut!
„Geben Sie mir einen Rechner und einen Programmierer, schnell!“, warf Miles ein. Er hatte einen spontanen Einfall, den er überprüfen wollte. Sofort wurde seine Bitte erfüllt. Der Programmierer wartete auf die Anweisungen.
„Verbinden Sie die Koordinaten der Landestelle und des Tsiolkowskiy-Kraters und prüfen Sie, auf welches Sternbild die Verlängerung dieser Achse momentan zeigt.“
Der Programmierer rief ein Astronomie-Programm auf, wählte den Mond aus, markierte die Landestelle von Apollo 11, drehte die Mondkugel und wählte dann den Tsiolkowkiy-Krater aus. Eine Linie verband die beiden Punkte. Der Programmierer verlängerte sie und wechselte in ein anderes Programm. Er gab „Gerade – Sterne- Sternbilder finden“ ein.
Es dauerte nur ein paar Minuten, dann kam die Antwort.
„In etwa Sternbild Haar der Berenike, aber es passt nicht genau. Andere Alternativen gibt es aber nicht.“
„Vergleichen Sie es mit der Position des Sternbildes vor 20.000 Jahren“, forderte Miles.
Der Programmierer lächelte. Das waren doch keine Probleme für ihn, eher etwas für Anfänger. Wieder ein paar Minuten, dann die Antwort:
„Übereinstimmung perfekt für Zeitpunkt vor 20.500 Jahre.“
Miles sah Wu-Shi an. Wieder passte ein Puzzleteil zum anderen, wenn es auch noch viel zu viele Lücken gab. Immerhin hatte er die richtige Idee gehabt. Er bedankte sich beim Programmierer, der nun den Raum verlassen musste. Wu-Shi nickte ihm noch freundlich nach.
„Es stimmt also, was deine Sondereinheit herausgefunden hat. Es gibt diese Verbindung. Außerdem ist es verblüffend, dass auch Tim das Sternbild „Haar der Berenike“ gefunden hatte. Ich konnte damals nicht viel mit dieser Erkenntnis anfangen. Aber jetzt ist mir das schon klarer. Jetzt weiß ich, was die CALCAG dort will. Sie vermuten dort wieder wie auf der Vorderseite technische Geräte, die sie vielleicht vermarkten können. Es geht nur und ausschließlich um die Rechte an der eventuell vorhandenen Technik dieser außerirdischen Intelligenzen. Sie wollen sich die Gewinne und die dann unumschränkte Marktstellung sichern. Eine andere Erklärung gibt es für mich nicht.“
Wu-Shi dachte nach. Es war wohl so, wie Miles es sah. Doch dann ergab sich für den Absturz über dem MATRA etwas ganz anderes. Es war dann der Versuch.
Nein, das konnte nicht sein. Auch die CALCAG würde sich das nicht leisten wollen, da war er sicher. Aber andererseits war die Wahrscheinlichkeit, dass man das nachweisen könnte, mehr als fraglich, zumal jetzt alle dort verstrahlt war.
„Wir müssen nun schnell handeln“, meinte er. „Unsere Regierungen müssen die ESA und die CALCAG unter Druck setzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass fremde Technik in die Hände eines so mächtigen Konzerns fällt. Mit anderen Worten, wir müssen mit an Bord sein oder verhindern, dass es überhaupt zu einem Start kommt. Leider entwickelt sich unsere Rakete nicht so, wie wir es erhofft haben. Für einen Start haben wir nicht mehr genügend Vorbereitungszeit. Wir müssen uns auf die ESA verlassen.“
Miles nickte. Ihm passte dieser Gedanke auch nicht, denn es war doch klar, wer an Bord dieser Rakete das Sagen haben würde. Doch die fremde Technik war zu wichtig, um hier Animositäten wachsen zu lassen. Dieses Ziel war vorrangig. Sie würden sofort ihre Regierungen informieren und darauf hoffen, dass diese genügend Druck ausrichten konnten.
„Wir müssen weiterhin der Frage nachgehen, wie wir überprüfen können, ob unsere Astronauten zu Tode gekommen sind“, fügte Wu-Shi hinzu. „So schnell sollten wir dieses Vorhaben nicht aufgeben. Wir sollten einen Roboter senden, der an der Senke eine Bohrung vornehmen kann. Ich sehe keine andere Möglichkeit, da das Gelände dort hochgradig verstrahlt ist. Doch ich habe keine Hoffnung auf Rettung.“
Die Runde löste sich schnell auf, denn es gab viel zu erledigen. Jedem war klar, dass mit der Information an Regierungen und UNO auch die CALCAG einbegriffen war, aber in diesem Augenblick war das sogar eher erwünscht.