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29.März, 11.30h

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Der Verband aus Landefähre und Kommandokapsel löste sich wie vorgesehen aus der Trägerrakete, drehte noch zwei Runden um die Erde und schoss dann von mehreren Treibwerken beschleunigt auf die Bahn, die zum Mond führte. Ling und Tim saßen angeschnallt in der Kommandokapsel, obwohl sie nicht viel zu kommandieren hatten. Längst hatten Computer alle notwendigen Arbeiten übernommen, und so konnten die beiden die Weite des Universums, die sich vor ihnen ausbreitete, voll genießen. Das Gefühl der Schwerelosigkeit war überwältigend. Nur dann und wann erfolgte ein Rückruf von der Erde aus.

„In Cape Canaveral hätten sich die Massen gedrängt, um den Start zu sehen“, bemerkte Tim und räkelte sich in seinem passgenauen Drucksessel. „In China wäre das wohl genauso, wenn die Behörden es zuließen.“

„Alles hat seine Vorteile und Nachteile“, meinte Ling und drehte sich zu ihm. Durch das Visier des Helms sah er die kurzen Haare, die sie nun hatte. Ein Pferdeschwanz war im Weltraum wohl auch nicht so leicht unter dem Raumhelm zu verstecken. Also hatte Ling ihre Haare beim Friseur geopfert. Sie sollten aber nicht im Abfall landen, sondern zu einer Perücke verarbeitet werden, die dann an eine arme Krebspatientin kostenlos abgegeben werden sollte. Selbst in diesen kleinen Dingen war Ling konsequent, und Wu-Shi hatte ihr versichert, dass es auch so geschehen werde.

„Die Abgeschlossenheit unseres Raketengeländes macht es eigentlich unmöglich, den Flug zu sabotieren. Das Personal wird ständig überprüft, und sicher gibt es mehr Kontrollen, als jeder weiß. Immerhin haben wir auf diese Weise einen sicheren Start erlebt, wenn er auch in den oberen Atmosphärenschichten ein wenig uneben war. Die Übertragung für die Massen in den USA und dem Rest der Welt, China eingeschlossen, war wohl von exzellenter Bildqualität, nehme ich an.“

Tim stimmte zu. Er hatte insgeheim befürchtet, dass auch an ihrer Rakete in letzter Minute ein Fehler aufträte, der den Flug sofort beenden würde. Doch alles verlief unspektakulär normal. Das gewaltige Dröhnen des Starts, die Kräfte, die gegen die Brust drückten und das Atmen schwer machten, die unbeholfenen Anzüge und das Festgeschnalltsein gehörten zum Alltag der Astronauten. Bisher hatten sie es nur in Simulatoren erlebt, aber nun in der Realität war alles noch eine Stufe schwerer, gefährlicher, geheimnisvoller.

„Was es mit der kleinen Kapsel auf sich hat, die von der CALCAG um den Mond geschickt wurde, ist immer noch nicht klar. Ich glaube nicht, dass es nur eine Erkundungskapsel ist. Was soll auf der Oberfläche des Mondes noch zu erkunden sein?“

Tim wollte das Gespräch fortsetzen, als die Erde sich meldete.

„Hier Flugkontrolle. Ihr könnt euch ab sofort frei im Gefährt bewegen. Kontrolliert die Landekapsel nach Plan. Überprüft die Landeautomatik. Anschließend aktiviert ihr das Lasergerät und kontrolliert die Frequenzen. Wu-Shi schlägt vor, die erste Sequenz schon am Übergangspunkt X zur Mondanziehung zu senden. Er meint, es könnte nicht schaden, das zu tun. Anschließend stellt ihr auf Automatik, damit in den vorgesehenen Zeitabschnitten das Signal auf den Landepunkt ausgerichtet und gesendet werden kann. Löst die Halterungen jetzt!“

Ling bestätigte und gab den Befehl zum Lösen der Halterungen. Die Gurte, die sie beim Start fixiert hatten, lösten sich automatisch und zogen sich sofort zurück. Ein kleiner Ruck mit den Armen genügte. Beide schwebten in der Schwerelosigkeit des Alls zur Landefähre. Die Überprüfungen folgten einem strengen Plan, den sie genau einhalten mussten. Ein Kontrollcomputer sandte jedes Ergebnis zur Erde, wo es noch einmal überprüft wurde. Nach fast drei Stunden waren die beiden mit der Arbeit fertig. Tim musste immer wieder zu Ling sehen, denn sie sah mit den kurzen Haaren unbewohnt aus. Doch er fand, dass es ihr gut stand. Sie bemerkte es, lächelt aber nur und fuhr sich mit einer leichten Geste über das Kinn. Tim wusste, dass sie auf seinen Bart anspielte. Doch Rasieren im All ist eine schwierige Angelegenheit. Er zog es vor, das nur alle zwei Tage durchzuziehen. Ling musste ihn eben so ertragen!

„Flugkontrolle, hier Grav-Mission 1“, meldete sich Ling. „Wir haben die Überprüfungen abgeschlossen und kehren in die Kommandokapsel zurück.“

Vorsichtig schwebten sie zurück, darauf bedacht, nirgendwo anzustoßen. Sie zogen sich in den Sessel und nahmen nur den kleinen Bauchgurt zur Hilfe. Ling sah zu Tim und dem Foto seiner Eltern, das nun auf einem kleinen freien Platz angeklebt war. Sie kannte seine Geschichte. Doch sie selbst wollte kein Foto mitnehmen. Sie trage ihre Erinnerungen im Herzen, nicht auf Papier, hatte sie Tim erklärt. Sie drehte den Kommunikator etwas lauter und verminderte dann das Rauschen im Hintergrund.

„Richtet den Laser zur Kontrolle erst wieder auf die Erde aus“, kam die Anweisung aus Hainan. „Wir überprüfen das Signal. Anschließend automatische Rückführung und Ausrichtung auf MATRA.“

MATRA war zur Abkürzung für die lange Bezeichnung Mare Tranquillitatis geworden. Um in Übung zu bleiben, richteten Ling und Tim den Sender auf fest vorgegebene Koordinaten auf der Erde aus. Der Computer würde den Laser nachführen. Sie hatten jetzt ein Zeitfenster von 25 Minuten, um die Kontrolle durchzuführen. Alles klappte ohne Probleme, und auf Befehl hin richtete der Computer den Laser wieder auf MATRA aus.

„Für euch da oben ist jetzt Ruhe angesagt, bis der Punkt X erreicht ist. Dann werdet ihr geweckt. Das erste Signal wird auf euer Kommando hin gesendet. Sollte keine Reaktion erfolgen oder sogar eine Gravitationsänderung stattfinden, wird sofort Plan B aktiviert.“

Plan B!

Das Drehen der Kapsel und dann mit starkem Gegenschub zurück in die Anziehungskraft der Erde. Plan B war der Punkt, der noch nie in der Geschichte der Raumfahrt probiert worden war. Ein Versuch vor einigen Jahren mit einer unbemannten Kapsel hatte mit einer Katastrophe geendet. Die Kapsel war auf die Erde zurückgestürzt und dann an ihrer Atmosphäre wie ein Tennisball abgeprallt. Einen weiteren Versuch hatte es nicht gegeben, zumal sich die Augen auf eine mögliche Marsmission richteten und der Mond eher uninteressant geworden war. Selbst bei Apollo 13, als kleine kosmische Splitter die Außentanks getroffen hatte, wurde der Weg um den Mond gewählt, um wieder zur Erde zurückzukommen. Jeder Astronaut kannte die Problematik des Punktes X!

Tim und Ling schnallten sich in ihren Sitzen an und aktivierten die Schlafmischung, die aus fast reinem Sauerstoff und einer Beimischung eines Gases bestand, das sie sofort einschlafen ließ. Dieses Gas hatte keine Langzeitwirkung. Die Dauer des Schlafes wurde eingestellt, den Rest erledigte ein von der Erde aus überwachter Computer. Dieses Schlafgas war nötig geworden, als man feststellte, dass es bei Langzeitflügen immer wieder zu Schlafstörungen gekommen war, die das weitere Verhalten der Crew negativ beeinflussten. Die Lösung für dieses Problem waren die Hyperschlafkammern, in denen die Besatzung mehrere Monate schlafen konnte. Das war der erste Schritt für die Marsmission gewesen, denn so sparte man nicht nur Nahrung und Sauerstoff. So konnte man auch Stress zwischen den Missionsmitgliedern vermeiden. „Wer schläft, sündigt nicht!“, hatte ein witziger Psychiater gemeint. Ein anderer Arzt, der an der Entwicklung beteiligt war, konterte dann: „Wer sündigt, schläft aber besser!“ Dieses Bonmot ging dann um die ganze Welt und wurde oft zitiert. Niemand wusste, dass es ein altes, lateinisches Wortspiel war, das diesem Bonmot zugrunde lag.

Tim und Ling schliefen nach den ersten Atemzügen sofort ein.

„Signal gesendet!“, hörten Tim und Ling die bekannte sanfte Stimme des Computers, kaum dass sie die Augen aufgemacht hatten. Sie passierten den Punkt X und fühlten sich erfrischt und voll wach. Sofort richteten sich ihre Augen auf die Monitore, die die Beschleunigung von Grav-Mission 1 anzeigten. Sie riefen die Kontrollergebnisse der Erde noch einmal ab. Die dortigen Empfänger hatten das Testsignal eindeutig identifizieren können. Die Umstellung der Sendeeinrichtung war problemlos verlaufen.

Keine Veränderung gegenüber den vorberechneten Werten.

Sie passierten den Punkt, an dem die europäische Kapsel beschleunigt worden war, ohne dass etwas geschah. Ständig wurden die Signale zum MATRA gesendet. Es kam kein Signal zurück, nichts geschah. Aber ihr Flug blieb unbehelligt. Noch zweifelten sie ein wenig, ob ihre Überlegungen korrekt gewesen waren, doch sie mochten sich das nicht selbst eingestehen. Nicht jetzt zweifeln, so kurz vor dem Mond!

„Sieht so aus, als hätten wir unsere Freunde auf dem Mond zufriedengestellt“, meinte Ling schließlich und zeigte auf die Stelle des Mondes, an der Apollo 11 gelandet war. Das Bild der Mondscheibe füllte schon den gesamten Monitor aus. Noch ein paar Stunden, und sie würden nur noch einen Ausschnitt sehen können.

„Es war eine kniffelige Aufgabe, aber sie scheint gelöst“, fügte Tim hinzu. „Wir sollten den Technikern ein Stück Mondstein mitbringen, so als Wertschätzung für ihre Arbeit. Nun sollten wir wieder in unsere Schutzanzüge klettern, denke ich.“

Immer wieder spürten die beiden leichte Erschütterungen und Schübe, wenn die Flugbahn durch Korrekturen verändert wurden. Dann raste der Mond unter ihnen vorbei. Sie schienen ihn fast greifen zu können, so nahe erschien er. Die von der Erde aus nicht sichtbare Rückseite des Mondes war nicht schwarz, wie es immer wieder hieß. Sie wurde von der Sonne im Wechsel genauso wie die Vorderseite beschienen. Heute war die Vorderseite des Mondes hell, hier auf der Rückseite herrschte trübes Zwielicht.



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