Читать книгу Tranquillitatis - Karlheinz Vonderberg - Страница 33
6. April, 9.00h
ОглавлениеDrei Tage nach dem Versuch von NASA und Hainan, die Vorkommnisse zu klären, traf sich Mike Salbowski mit seiner Arbeitsgruppe. Alle wirkten müde und abgespannt, aber sie hatten die Planung erledigt und mehrfach überprüft. Es war alles machbar, denn an Geld und Mitteln mangelte es nicht. Die Abgeschlossenheit der Arbeitsgruppe hatte das Arbeitstempo noch erhöht. Immer wieder hatten sie sich getroffen und diskutiert, einzelne Aspekte aufeinander abgestimmt oder bestehende Probleme geklärt. Die Experten, die sie immer wieder konsultierten, ahnten nicht, an welchem Unternehmen sie unaufgeklärt teilnahmen.
Nun hatten sie einen vernünftigen Stand der Planung erreicht. Es hakelte noch an ein paar Ecken, aber sie waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Jeder hatte auf einer CD-ROM das Gesamtergebnis abgespeichert, und jeder hatte es mit seinen eigenen Sicherheitscodes verschlüsselt.
Im Raum stand eine riesige Kugel, der Mond. Sowohl die Vorderseite als auch die Rückseite waren mit allen Bergen, Rillen, Maren und Ebenen ausgeformt und beschriftet. Mike Salbowski hatte dieses einzigartige Modell anfertigen lassen, angeblich als Geschenk für das Museum für Raumfahrt. Er zeigte ein zufriedenes Lächeln. Die Dinge liefen so, wie er sich das vorgestellt hatte. Die Gruppe war erschöpft, aber offenbar auch zufrieden. Neugierig schauten sie sich den Mond an und suchten die Stelle, an der Apollo 11 gelandet war. Es war kein Problem, sie zu finden, denn sie war schon mit einer roten Nadel markiert.
Jeder Einzelne trug die Ergebnisse seiner Arbeit vor, nannte die benutzten Quellen und die kontaktierten Personen. Das Gespräch wurde vom Sprachcomputer aufgezeichnet. Mike hörte sich alles an. Ab und zu stellte er Fragen, war aber insgesamt sehr zufrieden.
„Macht es euch gemütlich, denn ich habe eine merkwürdige Nachricht für euch“, meinte Mike nach dem Vortrag der einzelnen Manager. „Wir werden von der CIA überwacht, stellt euch das vor. Als wären die in der Lage, uns zu überwachen. Es ist doch eher umgekehrt. Lassen wir sie. Etwas anderes macht mir mehr Sorge.“
Er sah in die gespannte Runde. „Die Chinesen machen eine neue Rakete startklar. Es ist durchgesickert, fragt mich bitte nicht, wieso ich das weiß, dass sie wohl nicht an den unverschuldeten Tod der beiden Astronauten glauben. Aber ihnen fehlt jedwede Vorstellung, was da passiert sein könnte. Sie wollen sie bergen und die Landstelle untersuchen. Doch das geht wegen der Verstrahlung nur mit Robotern. Mal sehen, was ich da machen kann.“
Er schenkte sich ein Glas Wasser ein, hatte aber wieder dieses merkwürdige Bild vor Augen, es sei duftender, roter Wein. Er ignorierte das Bild einfach. Der Schluck Wasser schmeckte aber doch schal.
„Auch ich bin aktiv gewesen und habe mich um unser Projekt gekümmert. Erfolgreich, wie ich melden kann. Ich habe zwei Astronauten gefunden, die in Russland ausgebildet wurden. Ihr Können ist nur ein wenig eingerostet, aber das kriegen wir schnell wieder hin. Das könnten die Richtigen sein. Sie wollen ins All, brauchen Geld und hängen in Russland untätig herum. Sie sind auf dem Weg hierher, angeblich auf einem kleinen Urlaubstrip.“
Er schob das Wasser mit einer verächtlichen Handbewegung zur Seite. Herlith hob die Hand. Mike nickte ihr zu. Sie zupfte an ihrem lockigen Haar und zog eine Locke lang, um sie dann loszulassen. Die Haarlocke sprang wieder in ihre spiralige Form. Das war ein Zeichen für innere Anspannung, wie Mike wusste.
„Wir werden die Milliardengrenze überschreiten, wenn wir das Projekt durchziehen. Können wir da zwei Russen trauen?“ Das war typisch für Herlith. Was sie nicht selbst kontrolliert hatte, barg immer einen Keim des Versagens.
„Hast du eine Alternative, Herlith?“, wollte Mike wissen.
„Ja, die habe ich“, kam die schnelle und entschlossene Antwort. „Ich bin die Alternative. Ich möchte mit zum Mond. Ich bin fit und gut ausgebildet. Auf mich kann die CALCAG sich verlassen.“
Mike lächelte. Wie immer entschied er solche Situationen schnell und endgültig, wie alle im Raum wussten.
„Gut, Herlith. Wo ein so starker Wille ist, da findet die CALCAG auch den passenden Weg. Wozu haben wir denn die ESA gekauft, oder jedenfalls fast gekauft? Das ist das Angebot: Du beginnst morgen mit deinem Training. Ich werde das umgehend klären. Einzelheiten erfährst du später. Gut, dass du zu den Frauen gehörst, die nicht lange packen müssen. Conny und Wolfhardt werden unser Projekt von hier aus weiterleiten. Ich werde euch über alles auf dem Laufenden halten. War das alles?“
Es kamen keine Fragen mehr. Herlith war die Einzige aus der Gruppe, die es zum Mond zog. Das Erlebnis mit Tim und Ling hatte wohl jeden, der vorher mit einem solchen Gedanken gespielt hatte, endgültig abgeschreckt. Mike ließ ein paar Erfrischungen hereinbringen. Das lockerte die Atmosphäre auf. Er zeigte auf das Buffet. „Bedient euch! Ihr habt es verdient.“
Zuerst aber suchten sie auf der Rückseite des Mondes den Krater Tsiolkowskiy. Conny hatte ihn als Erste gefunden und zeigte auf die Stelle. Wolfhardt suchte in seinen Utensilien nach einer Nadel. Passenderweise fand er eine mit einem kleinen CALCAG - Fähnchen am Nadelkopf. Er steckte sie in den Krater.
Sie stärkten sich noch am Buffet. Mike bemerkte wieder, dass seine Augen zum Rotwein abglitten. Nun ja, einen kleinen Schluck konnte er sich heut leisten. Sie hatten gute Arbeit abgeliefert. Er goss sich Rotwein ein und genoss den Duft und den Geschmack.
Nun konnten die Führungsmitglieder wieder in die vertrauten Räume zurückkehren. Mike hatte dem Projekt den Namen RÜCKSEITE gegeben. Dann wanderten seine Gedanken schon weiter. Einer Analytikerin, die in seinem großen Mitarbeiterstab dafür zuständig war, alle Informationen über Gruppen im Internet zu sammeln und auszuwerten, die sich für Raumfahrt und Weltall interessierten, hatte um Rücksprache gebeten. Normalerweise delegierte er diese Rücksprachen an einen der Direktoren, aber in diesem Fall hatte er eine telefonische Rücksprache mit Herlith angeordnet, weil der Begriff „Mondrückseite“ gefallen war. Herlith war ja unmittelbar damit befasst, und sie verstand es gut, Mitarbeiter, die sich nur wichtigmachen wollten, schnell und für immer abzuwimmeln. Mike gab sich dem Rest des Rotweins hin.
Herlith kehrte in ihre Räume zurück. Endlich! Sie kümmerte sich zuerst um ihre Pflanzen, dann legte sie „Vier Jahreszeiten in Kyoto“ wieder auf und ließ die Musik auf sich wirken. Das Gespräch mit dieser unbekannten Mitarbeiterin, das Mike ihr aufgedrückt hatte, wollte sie erst später führen. Erst einmal wollte sie entspannen. Sie setzte sich auf das harte Kissen, schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihren Atem. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder zum morgigen Tag ab. Sie musste sicherlich hart trainieren, um fit genug zu sein, aber sie würde es schaffen. Ein Versagen kam nicht in Frage!
Dann stand sie wieder auf und forderte das Gespräch mit der Mitarbeiterin an. Sicher wollte sich da nur mal wieder jemand für einen besseren Posten empfehlen. Doch in diesem Fall war Herlith die richtige Adresse!
„Die Verbindung steht, Frau Herlith“, hörte sie Herlith legte das Gespräch auf Zimmerlautstärke. So konnte sie herumgehen und sich an ihren Skulpturen freuen, während sie das Gespräch abwickelte.
Eine etwas zaghafte, weibliche Stimme meldete sich und gab an, sie sei mit der Überwachung des Internets betraut, insbesondere mit der Überwachung der Gruppen, die sich für Raumfahrt interessieren. Sie berichtete von ihren Ergebnissen. Herr Salbowski hätte ein paar Schlüsselbegriffe vorgegeben, die besondere Sorgfalt und Aufmerksamkeit erregen sollten. Herlith reagierte sofort, als sie hörte, was die Analytikerin gefunden hatte. Nun war sie voll und ganz konzentriert. Das durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Da steckte vielleicht doch mehr dahinter.
„Das ist sehr gute Arbeit“, lobte sie. „Warten Sie einen Moment, ich werde Herrn Salbowski in einer Konferenzschaltung einbeziehen. Das wird ihn auch interessieren.“
Sie bat Mike, sich dieses spezielle Ergebnis anzuhören, und die Analytikerin bekam ganze vier Minuten, ihm ihre Überlegungen vorzutragen.
„Nicht weiter hier am Telefon“, beschloss er sofort, als er die ersten Sätze gehört hatte. „Sie können mir das selbst vortragen. Sie rufen aus dem dritten Stock an, nicht wahr? Ich schicke Ihnen den Fahrstuhl und erwarte Sie hier. Beeilen Sie sich bitte.“
Mike besprach sich noch kurz mit Herlith, dann machte er sich zu seiner Sekretärin auf. Die Analytikerin wartete schon.
Mike ging schnell mit ihr in sein Arbeitszimmer und ließ die junge Frau eintreten. Er kannte sie nicht, doch auf dem Display seines Monitors stand ihr Name: Sonja Rickers. Die Sekretärin hatte mal wieder gute Arbeit geleistet.
Er ließ sie eintreten und sah sie kurz an. Er hatte sie noch nie bewusst gesehen. Sonja Rickert war eine von vielen Analytikern, die für ihn arbeiteten. Sie war, wie er ablesen konnte, 27 Jahre alt, unverheiratet und seit fünf Jahren für ihn tätig. Bisher war sie noch nie aufgefallen. So, wie sie aussah, war das auch kein Wunder. Sie war 1,70m groß, blond, schien etwas unsicher zu sein und blickte mit den blass-blauen Augen immer wieder in andere Richtungen. Sie trug kein Make-up wie die anderen Frauen hier im Hause. In ihrem blassen, schmalen Gesicht fielen ihm die hohe Stirn und die leicht vorstehenden Wangenknochen auf. Was er nicht wusste, war, dass sie oft von der großen Liebe träumte, von ihrem Märchenprinzen, und das alles nur ihrer Katze erzählte,
„Sie haben vier Minuten, Sonja. Herlith meint, sie hätten etwas Interessantes für mich gefunden. Nehmen Sie Platz und fassen Sie sich bitte kurz.“
Sonja Rickert schluckte. Er, der mächtige Mike Salbowski, kannte ihren Namen! Jetzt bloß nichts falsch machen.
„Unter anderem werte ich Informationen aus, die im Internet zum Thema Mond und Raumfahrt auftauchen, Mister Salbowski. Dabei achte ich besonders auf die Stichworte, die für die Suche vorgegeben sind.“
„Nennen Sie mich Mike, Sonja. Wir sind eine große Familie. Fahren Sie fort,“ unterbrach er sie kurz.
„Ja, Mister..,eh, Mike, seit etwa 3 Jahren gibt es dort eine Webseite www.das-universum-ist-gottes-besitz.com. Sie gehört zur AUG, der Anti-Universe-Group, die von Justus Frahm, einem religiösen Fanatiker in Bern, gegründet wurde. Diese Web-Seite ist gut aufgemacht und wird täglich mindestens einmal aktualisiert. Diese Gruppe hat zum Ziel, die Weltraumfahrt zu verhindern, weil sie glauben, dass das Universum der Sitz Gottes ist. Bisher wurden nur religiöse Fantastereien veröffentlicht, aber die letzte Information nahm direkten Bezug auf den Mond, und das schien mir auffällig. Ich habe die Seite ausgedruckt und mitgebracht.“
„Berichten Sie, Sonja, das geht schneller als lesen. Legen Sie die Papiere auf den Schreibtisch, bitte, und denken Sie an meine Zeit.“
Sonja schluckte wieder. „Sicher mache ich alles falsch, was man falsch machen kann!“, schoss es ihr durch den Kopf.!
„Es lässt sich auf wenige Sätze reduzieren, Mike. Ich zitiere: „Der Griff nach der Rückseite des Mondes ist der Griff des Antichrists nach der im Dunklen verborgenen Macht. Dort hat der Widersacher seine Waffen und seine Schätze verborgen, um für den Tag des Kampfes gerüstet zu sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass er Menschen dorthin sendet, um seine Arbeit vorzubereiten.“ Zitat Ende. Mir erschien diese Aussage im Zusammenhang mit Ihrem Stichwort „Rückseite des Mondes“ zu konkret, daher habe ich mich gemeldet.“
Mike saß einen Moment erstarrt auf seinem Stuhl. Er erkannte sofort, auf was Sonja gestoßen war, und er dachte verzweifelt darüber nach, ob es ein zufälliges Ereignis sein könnte. Nein, das war kein Zufall. Dieser Justus Frahm hatte Informationen, die er nicht haben durfte. Doch woher hatte er diese Kenntnisse? Gab es ein Informationsleck in seiner Organisation? Vielleicht sogar in seiner nächsten Umgebung? Mittlerweile waren viele Menschen mit dem Mondprojekt beschäftigt, doch alle waren zu Stillschweigen verpflichtet. Er war alarmiert. Entschlossen stand er auf und griff nach den Papieren, die er sich gleich ansehen wollte.
„Das war genau das Richtige, was Sie gemacht haben“, lobte er Sonja. „Es erscheint mir wichtig genug, an der Sache zu bleiben, ganz dicht dran zu bleiben. Ich entbinde Sie von allen Aufgaben, die Sie sonst noch haben, Sonja. Sie kümmern sich ausschließlich um diese AUG. Ich möchte alles wissen, was es darüber zu wissen gibt. Vom Tag ihrer Gründung bis heute. Drucken Sie alles aus oder speichern Sie alles auf CD-Roms. Außer Ihnen dar niemand wissen, woran Sie gerade arbeiten.“
Er fuhr mit dem Zeigefinger der linken Hand über seine Augenbrauen. Er hatte eine Idee, aber da musste Sonja mitspielen.
„Wären Sie für eine Sonderaufgabe bereit, Sonja? Es ist für mich durchaus wichtig. Sie müssen aber freiwillig dazu bereit sein. Es könnte etwas heikel werden.“
Er sah Sonja an, fixierend, eine Entscheidung fordernd, jetzt!
Sonja sah eher zum Boden als in Mikes Augen. Sie war als Berichterstatterin gekommen, und sollte nun als Sonderbeauftragte des großen Mike Salbowski den Saal verlassen? Ihr Inneres sagte, sie solle die Finger davonlassen, aber ihr Kopf nickte.
„Sehr gut, Sonja! Das lobe ich mir. Einsatz für die Firma zeigen, wie es erwartet wird. Sie werden es noch weit bringen, da bin ich mir sicher. Nehmen Sie Kontakt auf mit diesem Herrn in Bern auf. Zeigen Sie Interesse an seiner Überzeugung. Was immer Sie benötigen, um an Informationen zu kommen, sagen Sie es, und Sie werden es bekommen. Sie erstatten nur noch mir Bericht. Ich werde alles Nötige veranlassen. Packen Sie schnell zusammen, was Sie in Bern brauchen. Das Flugzeug wird sie in drei Stunden erwarten. Meine Sekretärin wird alles mit Ihnen regeln. Danke für Ihren Besuch.“
Sonja Rickert verließ das Zimmer. Sie hatte einen Sonderauftrag, und Mike Salbowski kannte ihren Namen. Plötzlich fühlte sie sich ein wenig wichtiger, aber auch ein wenig unsicherer. Bern! Dort war sie noch nie gewesen. Nun galt es, diese Chance zu nutzen.