Читать книгу Tranquillitatis - Karlheinz Vonderberg - Страница 20
23. März, 11.4h
ОглавлениеAls sie in Tims Quartier angekommen waren, fuhr Tim den Rechner hoch. Sofort erschien auf dem Bildschirm die Meldung:
LETZTE SITZUNG NICHT KORREKT ABGESCHLOSSEN
BERICHT? J/N
Tim war verblüfft. Er hatte in den letzten beiden Tagen diesen Rechner nicht benutzt. Was sollte die Meldung? Er sah Ling an und fragte sie, ob er den Zugangscode, den er ihr gegeben hatte, benutzt hatte. Ling schüttelte den Kopf. Das Training hatte ihr keine Zeit gelassen.
„Das ist kein gutes Zeichen, Tim. Wir leiden ja nicht an Alzheimer!“ Tim nickte und wandte sich dem Rechner zu.
J für Ja.
UNVOLLSTÄNDIGER DOWNLOAD ALLER DATEIEN: ZEITLIMIT ZUR EINGABE DER ZWEITEN PIN ÜBERSCHRITTEN
„Du hast ein Programm geschrieben, das während einer Arbeitssitzung noch einmal ein anderes Passwort abfragt?“ Ling war erstaunt. Das war sicher eine gute Idee, die sie sich merken sollte.
„Das ist eine einfache, zusätzliche Sicherung“, bestätigte Tim. „Nach einer bestimmten Zeit fragt der Rechner nach diesem Code. Ich gebe ihn ein und kann sofort weiterarbeiten. Das stört die Arbeit überhaupt nicht, macht sie aber sicherer. Aber ich habe keinen Download der Dateien durchgeführt. Diese Meldung bedeutet…“
„. dass es jemandem gelungen ist, sich in deinen Rechner einzuhacken!“, vervollständigte Ling. „Wir müssen feststellen, was gefunden wurde und wie das passieren konnte. Wir haben hier doch höchste Sicherheitsstufe, oder nicht?“
Tim nickte, aber da erschien schon die nächste Meldung.
SOLL VOLLSTÄNDIGE ÜBERPRÜFUNG DURCHGEFÜHRT WERDEN?
„Diese Funktion ist normalerweise blockiert“, wunderte sich Tim. „Vollständige Überprüfungen dauern viel zu lange. Ich habe die Überprüfung grundsätzlich auf klar definierte Abschnitte beschränkt. Was soll das hier?“
Er wollte schon das N für Nein drücken, als Ling ihn zurückzog. Der Duft des Parfums, an dessen Namen er sich jetzt nicht erinnerte, stieg in seine Nase. Die Komposition dieses Duftes war ganz anders, als er es von amerikanischen Frauen kannte, irgendwie schwebender, melancholischer. Aber er mochte ihn.
Ohne ihn zu fragen, gab Ling den Befehl ein:
LISTE LETZTE 10 EINGABEN AUF
Auf dem Bildschirm erschienen 10 Zeilen, von denen Tim sofort die ersten 8 erkannte. Es waren Aufrufe seiner eigenen Programme. Dann aber stutzte er und zeigte auf den Bildschirm.
„Die beiden letzten Eingaben stammen nicht von mir. Sieh dir das an.“
LING-PRIM-A
LING-PRIM-B
„Ich habe dir keine Programme geschickt, auch keine Dateien“, beteuerte Ling. „Da hat sich jemand an deinem Rechner zu schaffen gemacht. Schicke die beiden Programme auf eine CD, dann können wir sie in Ruhe untersuchen. Außerdem solltest du feststellen lassen, was heruntergeladen wurde.“
Sie nahm auf einem Stuhl Platz und überließ Tim den Hocker vor dem Computer.
Tim legte ein CD ein und lud die beiden LING – Programme herunter, dann löschte er sie auf dem Rechner. Anschließend überprüfte er, was heruntergeladen worden war: fast alle seine Ergebnisse! Wie konnte das sein?
DATUM DES DOWNLOADS tippte er schnell ein.
19/03 ;17.44
Tim überlegte. Die letzten zehn Tage waren mit dem Trainingsprogramm gefüllt, da hatte er den Rechner nicht benutzt. Und Ling ging es auch so. Jemand, der den Zeitplan kannte, hatte diese Zeit auch genutzt. Wer hatte aber den Rechner aktiviert und wieder abgeschaltet?
Er griff nach dem Telefonhörer, um die Sicherheitsingenieure zu informieren, als die Alarmsirenen ertönten. Die auf- und abschwellenden Töne füllten alle Räume. Rote Leuchten flackerten auf.
Dann hörten sie das laute Bersten und Krachen, das von draußen hereindrang. Da ihre Räume kein Fenster besaßen, mussten sie auf den Monitor des Rechners zurückgreifen und im Intranet auf GESAMTSICHT gehen. In neun kleinen Bildern konnten sie nun alle wichtigen Bereiche des Space-Centers sehen, auch die Rakete auf der Startrampe.
Eine schwarze Rauchwolke quoll aus der Raketenstufe, die den Treibstoff aufnehmen sollte. Löschwagen rasen auf die Rakete zu. Sie sahen Männer in schweren Schutzanzügen, die viel Gerät aufbauten. Überall herrschte Hektik, doch zugleich war es auch geordnet. Es war eben nur schwer, das Handlungsschema zu erkennen. Verblüfft sahen sie auf den Monitor. Was lief da ab?
Später erfuhren sie, dass hinter der Abdeckung VM-D21 Sprengstoff versteckt worden war. Die letzte Meldung des Technikers lautete:
„Abdeckung VM-D21 gelöst und entfernt. Optisch alles okay, aber ..da ist ein Rohr, das hier nicht hingehört. Ich überprüfe…“
Dann gab es die Explosion. Die Schäden waren nicht so groß, aber nun musste die gesamte Anlage Stück für Stück überprüft werden, und das dauerte sehr sehr lange.
Tim und Ling konnten nicht starten. Die Sabotage war erfolgreich gewesen, der Diebstahl der Dateien auch. Alle Untersuchungen sollten ergebnislos verlaufen.
Wer war an ihren Daten interessiert, und wer verfügte über das notwendige Wissen, um in den Rechner einzudringen? Wer wollte die Mission zum Mond torpedieren?
Tim und Ling wurden zum Leiter des Projektes gerufen und über den Stand der Ermittlungen informiert.
„Das ist die schlechte Nachricht“, hörten sie. „Wer immer sich an dem Computer zu schaffen machte, muss ein Experte gewesen sein. Da gibt es nicht sehr viele, die das können. Das FBI hat diesen Fall übernommen. Aber ich bezweifle, dass sie weit kommen werden. Die Sache mit der Rakete muss ein anderer ausgeführt haben, einer, der genau wusste, wo er die kleine Bombe verstecken konnte. Es hätte eine Katastrophe werden können! Zum Glück war der Treibstoff noch nicht in den Tanks.“
Er machte eine kleine Pause.
„Die gute Nachricht ist, dass eine chinesische Trägerakte fast fertig ist. Euer Start verzögert sich dadurch nur um fünf Tage. Die Landefähre passt für das Vorhaben und ist ziemlich baugleich mit der hiesigen. Wie immer die Chinesen genau das gleiche Teil bauen konnten, nun wird es uns helfen. Noch heute werdet ihr nach China ausgeflogen. Wir werden aber die Reserverakete aufbauen, nur für alle Fälle!“
Schon am nächsten Tag landeten Ling und Tim in China. Es war nicht ganz einfach für sie, die vertraute Umgebung zu verlassen und sich mit neuem Personal vertraut zu machen. Ihre Ausrüstung brachten sie vollständig mit. Tim hatte einen Stick mit seinen privaten Dateien beladen. Er wollte jede freie Minute an den mathematischen Problemen weiterarbeiten. Sie hatten über vier Tage Zeit, sich mit dem Fluggerät vertraut zu machen. Doch offenbar hatten die Chinesen von den Amerikanern viel gelernt, denn die Kommandokapsel und die Landfähre waren Tim und Ling fast sofort vertraut.
Ling tröstete Tim mit einem Zitat von Laotse: „Was halb ist, wird voll werden. Was krumm ist, wird gerade werden.“
Tim antwortete mit Konfuzius: „Der Meister sprach: Der Edle stellt Anforderungen an sich selbst, der Gemeine stellt Anforderungen an die anderen Menschen.“
Tim und Ling stürzten sich sofort in die Arbeit. Sie bemerkten, dass die Arbeitshaltung hier nicht so locker war in den USA. Es wurde weniger gelacht, geraucht, herumgerannt. Irgendwie wirkte alles viel ernsthafter, seriöser, sicherer. Sie übten, bis jeder auch die Aufgaben des anderen fast auswendig kannte. Sie wurden das perfekte Team! Das Zahlenproblem hatte sie schon vergessen.