Читать книгу Tranquillitatis - Karlheinz Vonderberg - Страница 19
22.März, 10.00h
ОглавлениеDas John F. Kennedy Space Center (KSC) ist der Weltraumbahnhof der NASA auf Merritt Island in Florida. Im Dezember 1968 starteten hier die ersten bemannten Raumflüge, die schließlich zur bemannten Raumfahrt führten.
Die riesige Rakete, die nun wieder Menschen zum Mond transportieren soll, war schon auf die Startrampe gefahren. Techniker untersuchten alle Teile und überprüften alle Funktionen. Das Betanken wurde vorbereitet. In allen Zeitungen, in allen Nachrichten und auf allen Webseiten wurde von dem bevorstehenden Start berichtet:
„Zwei Astronauten fliegen zum Mond, um an der Landestelle von Apollo 11 das Gravitationsphänomen zu untersuchen. Der Amerikaner Tim Bird und die Chinesin Ling sollen die schwierige Aufgabe übernehmen, das Gelände, insbesondere den Untergrund der Landestelle, nach Ursachen für die Schwankungen des Gravitationsfeldes zu untersuchen. Die NASA und die chinesische Raumbehörde weisen jedes Gerücht zurück, es ginge auch oder vorzugsweise um die Bergung eine unbekannte Technik, die von fremden Intelligenzen dort zurückgelassen worden sein soll. Seit Wochen bereits brodelt die Gerüchteküche. Erste Bilder von Aliens kursieren, und die Vermutungen über UFOs und die Geheimbasis AREA 51 heizen die Diskussionen an. Aus gut unterrichteten Kreisen ist zu hören, man vermute ein besonderes Mineral auf dem Mond, das für die Effekte verantwortlich ist. Tim Bird meinte bei einer Pressekonferenz, er freue sich auf diesen Routineflug, zumal es sein erster Einsatz im All sei. Die Antwort auf die Frage, warum gerade er ausgesucht worden sei, diese Aufgabe zu unternehmen, beantwortete er mit einem Lächeln und dem Satz: „Jetzt bin ich eben dran. Das ist alles.“ Die Chinesin Ling sagte auf dieser Pressekonferenz, dieser Flug sei für Amerika nur ein kleiner Schritt, aber er sei für China ein Riesenschritt. Damit spielte sie geschickt auf die ersten Worte von Neil Alden Armstrong an, als er als erster Mensch den Mond betrat.“
Tim und Ling sahen sich aber nur als das nächste Glied in einer langen Kette von Menschen, die den Weg ins All antraten. Da war Juri Alexejewitsch Gagarin, der russische Kosmonaut, der am 12. April 1961 mit dem Raumschiff Wostok 1 zum ersten Mal die Erde umrundet hatte. Ein himmlisches Vergnügen, das 108 Minuten dauerte. Dann die nicht ganz ernst zu nehmende Antwort der USA mit dem Mercury-Programm. Allan Shepard machte am 5. Mai 1961 den ersten Satz in die Schwerelosigkeit. Die erste Umrundung der Erde gelang erst mit der Mercury-Atlas 6. Schließlich der grandiose Augenblick der Mondlandung am 21. Juli 1969 mit Apollo 11.
Ling hatte bei dieser Liste von Ereignissen hinzugefügt, dass das erste russisch-amerikanische Projekt am 17. Juli 1975 stattfand, als sich eine Apollokapsel und ein Sojus-Raumschiff trafen, ankoppelten und der erste Besuch von Bord zu Bord stattfand.
„Die Menschen vergessen diese Vorkommnisse schnell“, fügte sie hinzu. „Sie verinnerlichen nichts und leben von Moment zu Moment. Nichts hat bei ihnen Bestand!“
„Und nun findet das amerikanisch – chinesische Projekt statt, Ling. Wer hätte das geahnt, als in den letzten Jahrzenten des vorigen Jahrhunderts die bemannte Weltraumstation installiert wurde. Immer schön dicht an der Erde! Nicht auf dem Mond, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Doch die ISS bracht dann ja den internationalen Durchbruch. Wie viele chinesische Astronauten waren denn schon auf der ISS?“
Ling dachte nach. Er hatte sie auf dem falschen Fuß erwischt.
„Das finden wir doch sofort im Internet“, konterte sie. „Wie viele amerikanische Frauen waren denn dort an Bord?“
Tim lachte. Typisch Ling! Nun gut, sie verstanden sich prächtig. Und nun standen sie hier, bei dieser riesigen Maschine, die sie auf den Mond bringen sollte, der dort oben zu sehen war: bleich und klein. Kein bisschen einladend.
Doch Ling dachte für sich selbst: „Die Farben machen der Menschen Augen blind, die Töne machen ihre Ohren taub.“ So hat es Meister Laotse gelehrt.
„Die NASA erwartet eine Million Zuschauer beim Start. Das Fernsehen überträgt das Ereignis in alle Länder der Erde. Die UNO hat den Mond und alles, was sich dort befindet, als Besitz der gesamten Menschheit reklamiert. Dazu nahm die NASA nicht Stellung.“
Die Uhr, die den Countdown anzeigte, stand bei 2d 14h 37 min, als Tim und Ling zum ersten Mal die Landefähre und die Kommandokapsel betraten. Bisher hatten sie an der perfekten Kopie trainiert. Im Gegensatz zu Apollo 11 war die Kommandokapsel nicht mehr durch einen Astronauten besetzt. Diese Routineaufgaben wurden vollautomatisch von Computern übernommen und von der Erde aus überwacht. Auch die Landeprozedur sollte von Computern durchgeführt werden. Tim und Ling mussten nur eingreifen, wenn es unvorhergesehene Schwierigkeiten geben sollte. Jeder der beiden war in der Lage, die Fähre zu landen.
„Die Sitze sind prima angepasst, Ling“, stellte Tim fest, als er es sich in seinen Schalensitz bequem machte. „Das wird ein interessanter Ritt durch den Raum zum Mond. Ich habe nur Bedenken, weil nicht das trainieren konnten, was dort auf uns wartet. Ob das Standardtraining ausgereicht hat?“
„Keiner hätte mehr trainieren können, Tim“, kam die Antwort. „Wichtig ist, dass wir uns dort aufeinander verlassen können. Das werden wir alles auf der Reise dorthin noch einmal besprechen. Ich sehe keine Gefahr für uns. Die Herausforderung war die Entschlüsselung. Es wird keine besondere Überraschung dort für uns geben.“
„Sondern?“, fragte Tim, während er die Funktionstüchtigkeit der verschiedenen Bedienelemente überprüfte.
„Wir werden feststellen, dass die Anomalie vollständig zum Erliegen kam. Wenn wir Glück haben, finden wir etwas, was auf außerirdische Intelligenzen hinweisen könnte. Aber ich bin da skeptisch.“
„Diese Phänomene sind aber ein Faktum“, beharrte Tim auf seiner Ansicht. „Wie sollten sie anderes hervorgerufen worden sein als durch Maschinen?“
„Wenn wir das wüssten, könnten wir auf diesen Flug verzichten, Tim. Habe doch einfach Geduld. Wir werden es in ein paar Tagen wissen. Und vor allem werden wir als erstes internationales Astronautenteam auf dem Mond sein. Das alleine ist doch schon Grund genug, sich zu freuen, oder etwa nicht?“
Das Gespräch wurde durch die Startkontrolle unterbrochen.
„Wir haben merkwürdige elektrische Entladungen im Magnetsystem der Treibstoffpumpen festgestellt. Die Techniker werden das überprüfen. Daher müsst ihr eure Kontrolle etwas verschieben und die Kapsel verlassen.“
Tim bestätigte die Anordnung. Sie verließen die Landefähre und die Kapsel und begaben sich in den Fahrstuhl, der sie nach unten brachte.
„Das ist sicher etwas Harmloses“, meinte Ling. „Bei derartig großen metallischen Objekten wie der Rakete kommt es immer wieder zu elektrischen Aufladungen. Wir werden sicher bald weitermachen können.“
Ling zupfte an ihren Haaren und strich eine Strähne, die in ihr Gesicht gefallen war, zur Seite. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich bei ihr breit. Da war einmal die Anspannung vor dem großen Abenteuer, aber auch das Wissen, das es eine Fahrt ins Ungewisse war. Tim hatte recht, wenn er meinte, es sei gefährlich, so dicht an der magischen Stelle zu landen. Ein Glück, dass er ein unbekümmertes Gemüt hatte, das sich immer mit Schwung und Aussicht auf Erfolg den neuen Herausforderungen stellte. Er war eben eine dieser jungen Männer, die in früheren Jahrhunderten Seefahrer oder Gladiatoren geworden wären. Sie sah zu ihm hinüber und fixierte seine blauen Augen. Für sie als Chinesin war diese Farbe faszinierend, denn sie kam nur selten in ihrer Heimat vor. Tim hatte etwas Anziehendes, aber auch etwas Unstetes an sich, fand sie. Es war nicht diese Reife, die sie von ihren chinesischen Partnern kannte.
Sie verließen den Fahrstuhl und gaben ihn für die Techniker frei, die sich um das Problem der elektrischen Entladungen kümmern sollten. In einem Einsatzwagen fuhren sie zurück zum Kontrollraum. Tim war verstimmt. Er wollte dort oben in den engen Raum der Kapsel zurück und einen Talisman deponieren, für den er schon einmal einen Platz suchen wollte. Außerdem wollte er Ling ein wenig näherkommen. Sie gab sich freundlich, aber etwas spröde, fand er. Wenn sie schon so viel Zeit im All und auf dem Mond verbringen sollten, dann wäre es doch gut, ein wenig vertraut miteinander zu sein. Bisher hatte er nie solche Schwierigkeiten gehabt, ein persönlicheres Gespräch zu führen. Aber immerhin wusste er, dass sie ihn genau so sympathisch fand wie er sie. Er wollte nicht mehr als gute Freundschaft, das sollte genügen.
Als sie im Frühstücksraum der NASA saßen und Ling Tee und Tim Kaffee tranken, hörten sie die Meldungen.
„Kontrollraum, hier Technik-Kontrolle. Wir sind auf Höhe der Treibstoffventile angekommen und nehmen eine erste Begutachtung vor. Keine äußeren Schäden zuerkennen. Wie öffnen die Abdeckung VM-D21 und melden uns dann wieder.“
Tim und Ling hörten sich den Dialog an. Tim packte nun schon dritte Stück Zucker in den Kaffee und rührte langsam um. Ling schlürfte den grünen Tee, den sie immer ohne Zucker trank, höchsten einmal mit ein wenig Honig. Der Duft stieg ihr in die Nase. Sie konnten jetzt nichts mehr machen, nur noch warten.
„Wollen wir im Quartier noch einmal die Ergebnisse der bisherigen Analysen durchgehen?“, fragte Ling. „Wir könnten auch noch ein wenig über das Mathematik-Problem diskutieren.“ Ling wollte keine Zeit verschwenden, und vielleicht schaffte sie es ja, Tim ganz vorsichtig beizubringen, wie er sich in ihren Augen ein wenig nach vorne entwickeln könnte. Doch dafür die richtigen Worte finden war nicht leicht.
„Hast du denn noch eine Idee?“, wollte Tim wissen und schob den Kaffee nun endgültig von sich weg.
„Wir haben ja schon herausgefunden, dass beide Zahlen das Produkt von nur zwei Primzahlen sind, aber die Ergebnisse haben uns nichts gesagt. Vielleicht gibt es ja noch eine andere Betrachtungsweise der Werte, wer weiß. Lass und einfach mit den Zahlen spielen.“ Dem konnte und wollte Tim nicht widersprechen. Mit Ling zu arbeiten und zu diskutieren war einfach Klasse. Vielleicht öffnete sie sich ja dann ein wenig.