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Weihnachten – oder das traurige kleine Mädchen

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Weihnachten mit unseren Kindern war immer etwas Besonderes für mich. Ich versuchte immer es so zu machen, wie ich es gern gehabt hätte. Schon die Vorweihnachtszeit war so wichtig und mit viel Spannung angefüllt durch Basteleien und kleine Überraschungen. Unsere Kinder freuten sich auf Weihnachten, und ich freute mich mit Ihnen. Ich wusste zu der Zeit nur, dass Weihnachten bei uns nie schön war, ich konnte mich aber nicht erinnern.

Als ich in der Vorweihnachtszeit 1995 nun so eine entsetzliche Leere und überhaupt keine Freude empfinde, kann ich es erst nicht einordnen. Als dann meine Therapeutin sagt, ich sollte das Fest doch aus der Sicht eines Kindes sehen, geht es mir noch schlechter. Ich sagte nur: Das Kind ist zu traurig. Damit kann sie im Moment nichts anfangen und ich eigentlich auch nicht. In den nächsten Tagen kommt mir dann immer deutlicher ein Weihnachtsfest aus der Kindheit ins Bewusstsein. Ich taste mich langsam an alles heran.

Ich war etwa 5 Jahre alt und es war Weihnachten. Bei uns zu Hause hatte das Fest keine religiöse Bedeutung, absolut keine. Es war aber ein besonderer Tag, Spannung und Aufregung überall. Wir durften nicht in die Stube. Wir warteten, aber das Warten wurde lang. Wir warteten nicht nur auf die Bescherung, sondern wir warteten darauf, dass mein Vater nach Hause kam. Es war kein freudig gespanntes Warten, sondern es war ein trauriges Warten – ich erlebte es noch öfter in den nächsten Jahren. Immer wieder ging ich zum Fenster. Er kam nicht. In den anderen Häusern konnte ich an den Lichtern in den Fenstern erkennen, dass dort schon Weihnachten war. Würde es bei uns vielleicht gar nicht Weihnachten werden. Ich wünschte es mir aber doch so sehr. Ich hoffte, dass mein Vater bald kommen würde.


Als es meiner Mutter zu viel wurde, machte sie mit uns Bescherung. Aber was für ein Gefühl in mir die lange Wartezeit und die Bescherung ohne den Vater auslöste, hatte wohl nicht mehr so richtig etwas mit Freude zu tun. Es war wohl mehr Unsicherheit. Doch nach dem Gedichtaufsagen durften wir an die Geschenke. Ich bekam eine Puppe, die meine Oma genäht hatte. Die hatte ein Kleid und einen Hut aus demselben Stoff. Ich hatte eine Puppe und fand sie schön – sie war natürlich nicht mit heutigen Puppen zu vergleichen, denn auch der Kopf und das Gesicht waren genäht bzw. gestickt. Aber ich hatte nun endlich eine Puppe und fing an zu spielen und vergaß alles was vorher war.


Dann kam mein Vater nach Hause. Er war böse, weil wir ohne ihn angefangen hatten. Wir mussten augenblicklich aus der Stube. Meine Mutter musste alles wieder herrichten. Wir mussten wieder warten! Würde die Puppe noch da sein? Dann durften wir wieder in die Stube, mussten wieder unsere Gedichte aufsagen und durften unsere Geschenke ansehen. Dann mussten wir uns zu unserem Vater auf das Sofa setzen und es wurden Weihnachtslieder gesungen. Diese Lieder bedeuteten mir nichts. Ich musste dicht bei meinem Vater sitzen, dessen Geruch nach Alkohol und Rauch ich nicht mochte, und dessen Stimme so mächtig klang, obwohl er überhaupt nicht musikalisch war. Ich fürchtete mich vor ihm. Ich hätte auch viel lieber gespielt, ich durfte die Puppe jetzt nicht einmal bei mir haben. Als wir dann endlich spielen durften, nahm er die Puppe in die Hand, besah sie sich und sagte, dass sie hässlich sei und nur der Name „Vroni“ zu ihr passen würde. Ich sagte ihm, dass ich diesen Namen nicht mochte. Wie er diesen Namen aussprach. Ich war sehr traurig, denn er hänselte mich immer wieder, indem er diesen Namen oft sagte. Aber ich wusste schon, dass ich ihm jetzt nicht mehr widersprechen durfte, also ließ ich es über mich ergehen. Nur ich hätte die Puppe so gern liebgehabt, wusste jetzt aber nicht mehr, ob nicht mein Vater vielleicht Recht hatte.


Die Puppe blieb für die nächsten Jahre meine einzige Puppe, aber sie bekam nie einen Namen.



Das sehnsüchtige Warten und - dann ein ganz grauer Heilig Abend tauchen aus der Verbannung auf. Wieder nutze ich meine Möglichkeiten, um die Gefühle aus mir heraus zu lassen. Mein Körper und meine Seele sind zu klein, um dieses Ausmaß der Empfindung weiterhin verborgen zu halten.

Sage es niemandem, sonst...

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