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Die Einweisung in die Psychiatrie ist unausweichlich

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Immer wieder plagen mich fürchterliche Träume. Wenn ich dann aufwache, habe ich nur Angst. Aber auch am Tage springt mich so ein "Angsttiger" an und umklammert mich, dass ich mich nicht mehr rühren kann. Bisher konnte ich der Angst noch einen - wenn auch unsinnigen - Grund geben. Doch jetzt ist es anders. Ich kann diese Angst nicht mehr greifen, nicht mehr an-greifen. Jetzt kann ich plötzlich nichts mehr tun. Jetzt hat die Angst gewonnen. Wie lange werde ich das aushalten können? Meine Gedanken gehen immer öfter in die Richtung, wie ich dieses Leiden und auch mein Leben beenden könnte.

Zu der Angst schleichen sich Kontrollzwänge in mein Leben. Sie werden immer schlimmer. Selbst wenn ich etwas mehrere Male kontrolliert habe, bin ich nie sicher, dass alles in Ordnung ist. Der Hintergrund der Angst ist, dass ich etwas sagen könnte, dass meiner Familie schadet. Der Hintergrund der Kontrollzwänge ist, dass ich etwas tun oder nicht tun könnte, was meiner Familie schadet. Dieses Verhalten weitet sich auch auf meinen Arbeitsplatz aus, ich befürchte immer mehr, dass ich Fehler mache, die anderen Schaden zufügen. Angst und Kontrollzwang haben mich so fest im Griff, dass sie mich bei meiner Arbeit sehr behindern.

Meine Kolleginnen und Kollegen dürfen nichts erfahren. Aber das Arbeiten fällt mir immer schwerer. Ich brauche zu viel Zeit für die Kontrollen - alles noch einmal lesen, Briefumschläge wieder öffnen, um zu sehen, ob der Brief wirklich drin ist -, dass ich das Gefühl habe, ich schaffe nicht genug. Also bleibe ich immer über den Feierabend hinaus. Oftmals mag ich gar nicht aus dem Büro gehen, denn solange ich hier bin, kann ich ja noch Kontrollen durchführen.

Bisher habe ich außer mit meinem Mann und meiner Therapeutin mit niemanden gesprochen. Doch ich kann es nun nicht mehr verbergen. Ich muss mich der Familie gegenüber öffnen. Das ist nicht so schwer, wie ich gedacht habe. Mir wird großes Mitgefühl entgegengebracht, und es strecken sich viele Hände mir entgegen, die mich alle halten wollen.

Doch einen Klinikaufenthalt können alle helfenden Menschen um mich nicht verhindern. Ein Zusammenbruch im Büro und ein Anruf bei meiner Therapeutin bringen den Stein ins Rollen. Meine Therapeutin kann die Verantwortung für mich nicht mehr tragen, ich stehe vor dem körperlichen und seelischen Zusammenbruch. Ich habe schon für den nächsten Tag ein Bett in der Psychiatrie, zum Glück bin ich eine offene Patientin. Das bedeutet, ich kann nach Absprache die Klinik verlassen, wann immer ich will. Die Tür zur Station wird für mich aufgeschlossen, und wenn ich zurückkomme, muss ich klingeln. Das Gute in den nächsten 4 Wochen ist, ich habe für nichts die Verantwortung. Das entlastet. Aber es ist schwer, dort und mit den fremden Menschen zu leben. Mich einem neuen Therapeuten anzuvertrauen, ist so gar nicht meine Sache. Er versteht mich nicht und kann sich meine Angstattacken nicht vorstellen. Vielleicht kann ich es auch nicht richtig rüberbringen. Er ist nicht sehr engagiert, es ist eben ein Klinikarzt. Aber das Schlimmste ist, ich in der Psychiatrie. Auch mein Vater war in der Psychiatrie, das hat mich damals sehr betroffen gemacht. Es ist schwer, mich selbst davon zu überzeugen, dass es da einen großen Unterschied gibt, nämlich der Grund der Einweisung. Aber trotzdem, ich bin drin!

Eines Morgens springt mich die Angst an wie ein Raubtier. Ich liege auf dem Bett, zittere, rolle mich zusammen, versuche, mich wieder auszustrecken. Der Körper tobt, die Seele auch. Der Arzt ist noch nicht da, kommt erst eine Stunde später. Er wollte doch einmal eine Panikattacke bei mir erleben, weil er sich das gar nicht vorstellen konnte. Darum lehne ich die Medikamente ab. Eine liebe Praktikantin sitzt lange Zeit bei mir am Bett. Es tut mir alles weh. In meinem Kopf entsteht ein Bild: Eine verschlossene Tür. Und ich spüre das Näherkommen des Autos von meinem Vater. Es ist grausam. Was das bedeutet, erkläre ich in einem späteren Kapitel.

Endlich kommt der Arzt, er guckt sich die Situation einen Augenblick an, verordnet dann Medikamente. Ich bitte, mir nur die normale Dosis zu geben, ich möchte nicht total ruhiggestellt werden, was hier leicht passieren kann. Er spricht beruhigend auf mich ein. Später ist das das Thema unseres Gespräches.

Ein paar unangenehme Begebenheiten wecken wieder etwas von meinem Kampfgeist, und mein Verhalten passe ich dem an, was man von mir erwartet. Das ist meine Chance, so schnell wie möglich entlassen zu werden. Hier ist nicht der richtige Ort für mich.

Aber ich finde in dieser Zeit eine Freundin, eine Mitpatientin. Wir haben viele intensive Gespräche in der Klinik geführt und konnten uns gegenseitig stützen. Diese Freundschaft hält nun schon fast 20 Jahre. Wir können über alles reden, und wenn eine etwas sagt, weiß die andere, wovon sie spricht.

Ich habe dann weiterhin meine Therapiestunden. Der vertraute Raum in der Praxis und meine verständnisvolle Therapeutin, die schon so viel über mich weiß, sind einfach besser für mich, als die unpersönliche Atmosphäre der Klinik. Das Aufarbeiten der Kindheitserlebnisse geht weiter. Und die Angstanfälle auch.

Sage es niemandem, sonst...

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