Читать книгу Sage es niemandem, sonst... - Karlotta Pauly - Страница 15

Ich war doch erst 13 Jahre Als ich 13 Jahre alt war – ich war noch sehr kindlich, spielte noch mit Puppen, war nicht aufgeklärt und verstand vieles nicht, was die Mädchen sich in der Schule erzählten – passierte bei uns zu Hause etwas Schlimmes. Mein Vater hatte eine Straftat begangen. Es fielen oft die Worte Polizei, Prozess, Verurteilung. So langsam wurde mir klar, was passiert war, da meine Mutter oft etwas sagte ohne zu merken, dass ich auch da war. Mein Vater hatte sich in der Nähe eines Kinderspielplatzes aufgehalten und sich unsittlich den Kindern gezeigt. Ich bekam aber nichts erklärt. Es war eine schlimme, unruhige Zeit zu Hause.

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Mein Vater machte dann eine Entziehungskur, da alles auf den Alkohol zurückgeführt werden sollte. Es machte einen besseren Eindruck, wenn er sich vor dem Prozess in eine Therapie begab. Er ging für ein halbes Jahr nach Schleswig in das Landeskrankenhaus (Psychiatrie). Meine Mutter suchte sich eine Stelle als Reinmachefrau in einer Schule, da der Aufenthalt privat bezahlt werden sollte. Meine Mutter fuhr jeden Sonntag nach Schleswig und besuchte meinen Vater. Einmal musste ich mitfahren. Ich war doch erst dreizehn. Für mich war mein Vater in einem Krankenhaus. Als wir dann auf dem Gelände von einigen geisteskranken Menschen angesprochen wurden, machte mir das große Angst. Doch wir durften dann das Gelände verlassen und haben uns die Stadt angesehen und den Dom und mein Vater war wieder der Riese, der alles bestimmte und zu dem ich in Angst aufsah.

Was bin ich da an diesem Tag überhaupt gewesen? Ich bin etwas, was man benutzt hat, um den Ärzten eine heile Familie vorzustellen und dem Vater das Gefühl des Familienoberhauptes zu geben, was ich dann auch deutlich zu spüren bekommen habe. Er ist immer noch auf seinem Podest, allwissend, herrisch, bestimmend, ich bin so klein und habe überallhin zu folgen.

Ich weiß nicht mehr wie wir nach Hause kamen, irgendwann brach dieser Tag für mich mittendrin ab. Was für mich von diesem Tag blieb, waren meine Eindrücken von den Kranken, von einem riesengroßen Vater, der, obwohl er etwas Schlimmes getan hatte, nicht kleiner wurde, und einer Mutter, die eigentlich gar nicht da war.


Was ich dann zu Hause in der nächsten Zeit mitbekam war, dass mein Vater nachts die Klinik heimlich verließ – undenkbar, dass er über einen Zaun stieg und sich das Zeug zerriss. Er trank. Er wurde rausgeworfen. Er kam wieder nach Hause.


Kaum war er da, wurde er polizeilich überwacht. Das machte ihn sehr nervös. Er trank weiterhin. An einem Sonntagmittag kam er nach Hause und meine Mutter hatte ihm einen Brief auf den Nachtschrank gelegt. Es war ein amtliches Schreiben. Nach einer Weile hörten wir einen merkwürdigen Laut. Meine Mutter rannte ins Schlafzimmer, ich hinterher. Er lag auf seinem Bett, hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten, überall war Blut. Plötzlich waren mehrere Polizisten im Zimmer. Auf dem einen Bett lag mein Vater, auf dem anderen Bett saß meine Mutter und weinte. Ich saß neben ihr und tröstete sie. Ich hörte, wie mein Vater immer wieder jammerte: „Ich sterbe, ich werde sterben“. Ein Polizist sagte sehr hart zu ihn: „So schnell stirbt man nicht!“ Irgendwann sagte jemand, bringen sie doch das Kind hier raus. Aber keiner tat es, ich hätte mich auch nicht rausbringen lassen. Ich musste doch bei meiner Mutter bleiben, obwohl sie mich gar nicht bemerkte. Dann kam ein Krankenwagen und meine Mutter fuhr mit meinem Vater ins Krankenhaus.


Dann kam sie allein wieder. Sie sagte uns, dass sie ihn im Krankenhaus lassen musste. Der Arzt hatte ihr gesagt, dass ein Mensch der Hand an sich legt, das nächste Mal Frau und Kindern etwas antut. Dieser Satz verfolgte mich die nächsten Jahre und stürzte mich immer wieder in schreckliche Angst.


Wie kann ich das Gefühl eigentlich aushalten? Wie konnte ich das überhaupt als Kind aushalten.

Jeder von uns verzog sich scheinbar in sich selbst, besonders meine Mutter. Mein Bruder wurde zum Familienkasper und zum Tyrannen für mich, mein großer Bruder ging schon aus dem Haus und hatte Freunde. Ich hatte niemanden und war für alle sowieso noch zu klein. Außerdem konnte ich mich nicht nach außen öffnen, da ich schon so lange gelernt hatte, dass das was bei uns war, niemanden etwas anging. Und da ich nirgends hingehen durfte, wusste ich nicht einmal, wie es in anderen Familien war und hielt unser Leben auch noch für normal.


Aber erst einmal war Ruhe bei uns. Mein Vater wurde wieder nach Schleswig verlegt, aber in die geschlossene Abteilung und meine Mutter nahm mich nie wieder mit.


Dann kam der Prozess. Das Urteil fiel milde aus und mein Vater wurde von Tag zu Tag unberechenbarer. Ich war inzwischen ca. 15 Jahre alt, war in dieser turbulenten Zeit konfirmiert worden. Das Fest mit der Familie ist nicht erinnerungswürdig.

In der Therapie bin ich bis hier gekommen. Doch dann habe ich einfach Angst vor dem, was weiter geschieht. Ich muss die weitere Aufarbeitung verschieben, aber es lässt sich nichts unterdrücken. Ich muss es aussprechen, es aufschreiben. Ich muss mich der Erinnerung an die schlimmsten Nächte meines Lebens stellen. Ich habe diesen Zustand wohl über ein Jahr lang ertragen.

Sage es niemandem, sonst...

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