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Robotermythos und Roboterwahrheit

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Wir Menschen haben uns schon immer neue Techniken oder Technologien ausgedacht, die uns helfen und unser Leben bereichern können. Vom Behauen der Dinge mit Steinen bis zu ihrer Lieferung mit Drohnen, wir freuen uns über jede Möglichkeit zur Entlastung von anstrengender Arbeit. Es ist einigermaßen leicht vorstellbar, dass unsere ganze Arbeit für uns erledigt wird, wenn man dabei an eine funktionelle Version unserer selbst denkt. Kein Wunder, dass die Idee künstlicher Menschen so populär ist. Der Vorläufer des Roboters, der Automat, hat eine lange Geschichte. Automaten sind Maschinen, die den Anschein erwecken, als seien sie energetische Selbstversorger, die eigenständig und unabhängig funktionieren. Der Name kommt aus dem Griechischen und bedeutet „nach eigenem Willen handelnd“. In Wahrheit funktionieren sie rein mechanisch und führen voreingestellte Wiederholungshandlungen aus, die vielleicht selbstgewählt scheinen, aber doch bloß automatisiert sind.

Die homerischen Mythen erzählen vom griechischen Feuergott Hephaistos, der über die Macht verfügte, Bewegung hervorzubringen. Hephaistos war eine in der Kunst des Schmiedens bewanderte und ziemlich produktive Gottheit. Aus seiner Hand stammen neben Pfeil und Bogen des Eros, dem Flügelhelm des Hermes nebst dessen geflügelten Sandalen sowie dem Hüfthalter Aphrodites auch zwanzig selbstfahrende Dreifüße auf Bronzerädern. Diese als Diener eingesetzten Automaten rollten in den Götterhallen immerfort rein und raus. Des Weiteren schuf er bronzene Wachhunde, feuerspuckende Pferde und den riesigen Adler, der zur Folterung des Prometheus ausgesandt wurde. Zu seinem Repertoire gehörten aber auch menschenähnliche Figuren wie der riesige Talos, der Beschützer von Kreta – eine terminatorartige Gestalt, die über die Insel patrouillierte und Piraten abwehrte, indem sie sie mit Steinen bewarf. In anderen Geschichten wird Talos als „der Letzte aus der Generation von Bronzemännern“ beschrieben.

Dessen ungeachtet, dass es sich hierbei um mythische Geschichten handelt, ist man doch auch im realen Leben fündig geworden. 1972 nämlich wurden bei Riace in Kalabrien zwei lebensgroße griechische Bronzeabgüsse nackter Männer im Meer entdeckt. Die Bronzen, die auf 460–450 v. Chr. datieren, sind im Museo Nazionale della Magna Grecia in Reggio Calabria untergebracht. Ihre Zähne sind aus Silber, ihre Lippen und Brustwarzen aus Bronze. Diese frühklassischen Statuen, die stehend fast zwei Meter messen, bringen die Mythen vom Schmiedegott und von Laodameias nachgebautem Ehemann in Erinnerung. Die Bronzen von Riace sind zwar keine Automaten, doch dafür ein schöner Beleg für das Geschick, das die alten Griechen bei der Herstellung lebensnaher Skulpturen entfalteten.

Beispiele für richtige Automaten gibt es allerdings aus der hellenistischen Zeit in Griechenland. Das berühmteste davon ist der Mechanismus von Antikythera. Dabei handelt es sich um einen von einem unglaublich komplizierten Räderwerk betriebenen Analogrechner zur Vorausbestimmung astronomischer Positionen, der hauptsächlich aus Bronze besteht und irgendwann zwischen 250 und 60 v. Chr. geschaffen wurde. Entdeckt hat man ihn 1902 auf einem Schiffswrack vor der griechischen Insel Antikythera. Die schiere Qualität und Ausgereiftheit dieses Mechanismus zeugt von der hohen wissenschaftlichen Kunstfertigkeit jener Zeit. Er ist ebenso verzwickt wie faszinierend, und es gab keine vergleichbar komplexen Vorrichtungen, bis es 1 500 Jahre später in Europa zur Entwicklung mechanischer astronomischer Uhren kam. Ich habe Ehrfurcht vor diesem Mechanismus, und das nicht nur, weil es sich bei ihm um einen 2.000 Jahre alten Computer von verblüffender Finesse handelt. Denn wenn es möglich war, das zu fabrizieren, was haben die Griechen dann wohl sonst noch hervorgebracht?

In Rom und Ägypten soll es Berichten zufolge bewegliche Statuen gegeben haben – Puppen mehr oder weniger –, die pantomimische Bewegungen ausführten und dabei Weisheiten übermittelten. Das Schauspiel funktionierte durch einen Mechanismus von Hebeln und Fäden. Die Beschreibung, die John Cohen 1975 in seinem Buch Human Robots in Myth and Science davon gibt, erinnert in ihrer Art an den Film Der Zauberer von Oz, der aus Jahrtausenden von Erzählungen über Orakelköpfe schöpft, die weise Ratschläge und Befehle erteilten. Der sprechende Kopf ist ein häufig auftauchendes Motiv: Es gibt eine Fülle von Geschichten über eherne Köpfe – mechanische Köpfe aus Bronze, die sprechen und weissagen konnten.

E. R. Truitt ist außerordentliche Professorin für Geschichte am Bryn Mawr College und eine Expertin für mittelalterliche Roboter, die realen wie die fiktionalen. In ihrem Buch Medieval Robots schildert sie, wie in mittelalterlicher Zeit diverse Darstellungen absonderlicher Automaten europaweit in Handschriften auftauchten. Roboter waren Wundergestalten und dienten der Unterhaltung, bevor sie Wirklichkeit wurden.

Ein Thron, der König Salomon gehörte, findet in der Bibel Erwähnung, im Ersten Buch der Könige, das um das Jahr 550 v. Chr. herum verfasst wurde: „Ferner ließ der König einen großen Thron aus Elfenbein anfertigen und mit bestem Gold überziehen. Sechs Stufen führten zum Thron hinauf. Seine Rücklehne war im oberen Teil rund und zu beiden Seiten des Sitzes befanden sich Armlehnen. Zwei Löwen standen neben den Lehnen.“ (1. Könige 10,18–19). 1 500 Jahre später soll es am byzantinischen Hof in Konstantinopel eine viel ausgefeiltere Version dieses Wunderdings gegeben haben. Dieser Thron des Salomon, heißt es, war ein mit Gold überzogenes Wunder aus Elfenbein, das mit Rubinen, Saphiren, Smaragden und mechanischen Tierfiguren verziert war, die den Herrscher die Stufen hinauftrugen und seine schwere Krone hielten. Beschrieben wurde es in byzantinischen Texten und von Liutprand von Cremona, einem Diplomaten des 10. Jahrhunderts. Gab es den Thron des Salomon also wirklich oder nur im Reich des Mythos? Archäologische Hinweise auf ihn gibt es nicht, es kann aber sein, dass die byzantinischen Eroberer sich der Legende von Salomons Thron bedienten, um ihre eigene mechanische Version zu bauen, wobei dann noch die Frage bestünde, wie ausgefeilt diese Version war.

Es gibt Geschichten von Automaten aus der ganzen Welt. Das antike Bagdad besaß bewegliche Statuen, die vom Wind angetrieben wurden, und mechanische Vögel, die auf künstlichen Bäumen sangen. Die Ming-Dynastie in China kannte anscheinend Tiger-Automaten. 1495 zeichnete Leonardo da Vinci den Entwurf eines Roboter-Ritters, der seine Gliedmaßen bewegen konnte. Im 20. Jahrhundert hat man nach seinem Entwurf ein Modell davon angefertigt, und es funktionierte.

Truitt beschreibt in ihrem Buch eine Fülle von mittelalterlichen Automaten und befasst sich eingehend mit den ihnen zugrundeliegenden Konzepten. Auf einem Blatt einer aus dem 15. Jahrhundert stammenden Bilderhandschrift des Roman de la Rose (Rosenromans) ist eine Frau abgebildet, die in einer Schmiede arbeitet und aus Körperteilen Menschen erschafft; dabei liegen Menschenhände und -füße verstreut um sie herum.2 Dies ist Natura, die Kunsthandwerkerin, eine Metapher und Repräsentationsgestalt der Natur. Damals glaubte man, Gott habe die Natur erschaffen, der Mensch dagegen könne sie nur nachmachen und mechanische Abbilder von ihr erzeugen. Automaten sind Nachahmer. Zwar konnten sie durchaus beeindruckend sein, gemessen aber an den Wundern der göttlichen Schöpfung, galten sie als bloße Simulakren.

Die Astronomen des Spätmittelalters und der Frührenaissance erklärten das Universum anhand eines Räderwerks: machina mundi, die Welt als Maschine – als ein Uhrwerk, das von Gott aufgezogen wurde. Das Weltall, mitsamt den darin lebenden Geschöpfen, wurde als eine Reihe klar umrissener, beweglicher Teile betrachtet. Dieser Glaube an die harmonische Bewegung der Himmel und der Systeme, die unsere Körper beherrschten, fand in der Herstellung von Automaten seinen Widerhall. Im Frankreich des 14. Jahrhunderts stattete der Graf von Artois seinen Garten mit mechanischen, fellbedeckten Affen aus, damit die Besucher annehmen sollten, er sei bedeutend genug, sich echte zu halten. Im Laufe des 15. Jahrhunderts kam es zu einer Zunahme bei der Fertigung von Automaten, galt es doch als Zeichen von Wohlstand und Macht, wenn man sich welche zulegte.

Die mechanischen Mönche sind ein schönes Beispiel. Diese 38 cm großen Figuren mit bekleidetem Holzkörper und einem inneren Räderwerk ließen sich aufziehen und in Bewegung setzen, und während sie über eine Fläche liefen, schien es, als beteten sie dabei und küssten ihren Rosenkranz. Diese mehr als 500 Jahre alten Automaten, die in der Robots-Ausstellung des Londoner Wissenschaftsmuseums gezeigt werden, geben einen faszinierenden Einblick in die zum Leben erweckte religiöse Bildhauerkunst. Wie auf Röntgenaufnahmen ersichtlich, bilden die Ketten und Rädchen das metallene Skelett- und Muskelgefüge, das, den Himmeln gleich, harmonisch ineinandergreift. Etwa zur selben Zeit wurden in Japan zashiki karakuri gefertigt – Puppen mit einem verborgenen Mechanismus, die Tee servieren und mit Pinseln malen konnten.

Im späten 16. Jahrhundert gewann der Mythos vom Golem an Zugkraft. In der jüdischen Folklore war ein Golem ein aus Lehm geformtes menschenähnliches Wesen, dem mittels Magie Leben eingehaucht wurde. Der Überlieferung nach wurde er durch Schriftzeichen zum Leben erweckt – konkret durch einen der hebräischen Geheimnamen Gottes –, woraufhin er als Arbeiter dienen konnte. Der Schöpfer wirkte gewissermaßen als Programmierer, da er genau genommen einen Code in die Hardware eingab. Das Muster, nach dem die Legenden funktionierten, ist auch mit Blick auf heutige Roboter relevant: Ein Golem gehorchte seinem Besitzer, hielt sich wortwörtlich an alles, was dieser ihm auftrug, und dabei verfügte er nicht über das geringste Empfindungsvermögen. Wie ein Großteil unserer Roboter-Sciencefiction gingen auch jene Geschichten nicht immer gut aus. Viele der Mythen, die um den Golem kreisen, nahmen einen unerwarteten und gefährlichen Verlauf.

Mit dem 17. Jahrhundert wurden die Automaten ausgeklügelter und imposanter. Einer der berühmtesten Schöpfer solcher Vorrichtungen war ein kunstfertiger Spielzeughersteller namens Jacques de Vaucanson. 1738 konstruierte er einen flötenspielenden Automaten – eine lebensgroße Holzfigur, die ein System von Blasebälgen enthielt, das es ihr erlaubte, zu „atmen“ und die Flöte zu spielen. Dies war keine geringe Leistung. Die Flöte nämlich ist ein schwieriges Instrument, und um sie zu spielen, braucht es eine beherrschte und sachte Zungenbewegung, es braucht Atem und nicht zuletzt Finger. Mit all seinem tüftlerischen Geschick schuf Vaucanson einen Automaten, der selbstständig zwölf Melodien spielen konnte. Eine bahnbrechende Errungenschaft.

Vaucansons nächstes ehrgeiziges Ziel war es, einen Automaten zu schaffen, der offensichtlich viszerale Körperreaktionen zeigen und dem Anschein nach fressen, trinken, verdauen sowie ausscheiden konnte. Das gelang ihm 1739 mit der Konstruktion seines berühmten Meisterwerks, der verdauenden Ente. Diese hatte die Größe einer realen Ente und besaß über 400 bewegliche Teile. Sie fraß, verdaute und defäkierte nicht wirklich, doch wie es dank Vaucansons überzeugender Arbeit schien, konnte sie Futter picken und an Wasser nippen, es herunterschlucken und dann die Reste ausscheiden – bei denen es sich freilich um eingefärbte Brotkrumen handelte, die zuvor an der entsprechenden Stelle platziert worden waren.

Vaucanson hatte die Messlatte mit seinen Konstruktionen höher gehängt. Dreißig Jahre später stellte der ungarische Erfinder Wolfgang von Kempelen seinen berühmten mechanischen Türken her, eine schachspielende Maschine, bestehend aus einer türkisch gekleideten Figur und einem davor befindlichen Schränkchen, auf dem ein Schachbrett lag. Die Figur konnte nicken oder den Kopf über Züge ihres Gegners schütteln, sie konnte die Figuren greifen und Züge mit ihnen ausführen und sie konnte sogar Grimassen schneiden. Außerdem verstand sie sich ausgesprochen gut aufs Schachspielen. Leider war das Ganze ein Schwindel. Das Schränkchen enthielt zwar eine komplizierte Anordnung von Rädern und Rädchen, die aber waren nur deshalb dort platziert worden, um jeden zu täuschen, der sich den Möchtegernautomaten genauer ansehen wollte. In Wahrheit verbarg sich darin ein Schachmeister, der den Mechanismus von innen steuerte: Obwohl viele Skeptiker versuchten, der Sache auf den Grund zu gehen, wurden die wirklichen Zusammenhänge der geheimen Arbeitsweise erst 1857 und damit fast 100 Jahre später gänzlich enthüllt. Sicher, der mechanische Türke war ein Schwindel, und dennoch hat er grundlegende Fragen aufgeworfen: die Frage nach der Automatisierung und die nach Maschinen, die nicht nur Arbeit verrichten, sondern vielleicht auch denken können.

Die im späten 18. Jahrhundert beginnende industrielle Revolution beeinflusste stark, wie die Menschen der Automatisierung der Arbeit gegenüberstanden. Großbritannien war das Land, das den Weg in die Industrialisierung ebnete. Es brachte die Mechanisierung in Gang, führte die Dampfkraft und Werkzeugmaschinen ein. Die Folgen waren dramatisch, denn schließlich wurde das tägliche Leben durch die Neuerungen fast komplett umkrempelt. Wenn auch nicht immer auf positive Weise: Obgleich der Lebensstandard insgesamt stieg, wurde das Leben in bestimmten Bereichen viel härter, speziell was die Gesundheit betraf und wenn man an Kinderarbeit denkt. Mechanisierungsfortschritte führten zu verstärkten Automatisierungsbemühungen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfreuten sich Automaten wachsender Beliebtheit, da immer mehr produziert wurden und sie sich zu rechnen begannen.

Aber der Roboter? Der musste bis zum 20. Jahrhundert warten.

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